Nachdem ich mein Erstaunen weggesteckt hatte, nickte ich.
»Neben der Kerze auf dem Nachttisch«, murmelte ich verwirrt und beobachtete ihn, wie er danach griff.
Er setzte sich auf die Bettkante, nestelte ein Hölzchen aus der Packung, dann drehte er sich zu mir und zündete es an, hielt es vor mich. Zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt.
Ich starrte auf die kleine Flamme, dann in sein Gesicht und ich bemerkte erstaunt, wie gebannt er mich ansah, während das Hölzchen immer weiter herunterbrannte.
Mein Blick musste ein einziges Fragezeichen sein, ich erkannte, dass er das Hölzchen abbrennen lassen wollte - ohne es loszulassen. Noch ehe es soweit war, drang durch meinen Kopf ein Gedanke, den ich sofort wieder verwerfen wollte, so absurd erschien er mir in diesem Moment.
Doch er ließ sich nicht fortwischen.
Ich erkannte etwas, was mir den Atem nahm.
»Geh niemals an Feuer ...«, murmelte ich heiser.
Mir wurde schwindelig, ich sah, wie er ungerührt mit den Fingern die Flamme empfing, bis sie verlöschte. Das musste weh getan haben, aber sein Gesicht sprach nur von - Liebe.
Ich konnte es nicht glauben, aber ich wollte. So sehr.
»Sandro ...?«
Mehr als ein Flüstern war es nicht.
Ja, mein Schatz. Endlich, endlich bin ich wieder bei dir.
Ich hörte seine Stimme in meinem Kopf, aber was mich viel mehr flashte - er war bei mir!
Sandro war in Alessio immer bei mir gewesen!
Unerkannt und so vermisst.
Ich konnte nicht mehr und brach in Tränen aus. Es war einfach zuviel. Meine Hände klammerten sich an Alessio fest, mein Kopf lag an seiner Brust und die Tränen strömten nur so aus meinen Augen. Ich schniefte vor mich hin, während seine Hände mich beruhigend streichelten. Ich verstand nichts von dem, was er immer wie ein Mantra wiederholte, weil es eine Weile dauerte, bis die Worte in meinem Bewusttsein ankamen.
»Alles wird gut. Jetzt wird alles wieder gut. Beruhige dich, mein Schatz, es wird wirklich alles wieder gut ...«
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich mich etwas gefangen hatte, aber ich fühlte Sandro neben mir, schon allein wegen seiner Geduld, die er mir immer gegeben hatte, wenn ich etwas verarbeiten musste. Das war schon immer so gewesen und er hatte sich nicht geändert.
Aber langsam kamen sie hoch. Die vielen Fragen, die mir auf der Seele brannten.
»Was ist mit Giaci?«
Er lächelte mich glücklich an.
»Ich bin stolz auf unseren Sohn. Natürlich liebe ich ihn über alle Maßen. Trotzdem bist du doch diejenige, die mein Herz besitzt.«
»War er - ich meine, wusste er mehr als ich?«
Sandro nickte zögernd.
»Es ließ sich nicht so lange vermeiden. Ich versuche, es dir zu erklären, ja? Als Giaci geboren wurde, habe ich mein Schattenherz in ihm verankert. Darum konnte ich dann nicht mehr mit dir sprechen. Es passte sich dem Körper an, ein Säugling, der weder mit meinen Erinnerungen noch meinen Gefühlen etwas anfangen konnte. All das konnte nur mit dem Kind mitwachsen und sich wieder auffüllen. Das war aber nur als kurze Zwischenlösung gedacht. Mein Problem war, ich musste so schnell wie möglich einen anderen Körper in ungefähr demselben Alter finden, in dem ich mich neu verankern konnte, denn Giaci ist mit uns verwandt und ich hätte niemals wieder mit dir zusammen sein können, wenn ich es dort gelassen hätte. Ein möglichst kleines Kind, dem ich so wenige Erinnerungen wie möglich verwischen würde, weil es noch jung war. Mein Plan war, dass ich einen Jungen in der Entbindungsklinik finde. Alessio war für mich das größte Glück, weil du ihn aufgenommen hast - weil du eine Bindung zu ihm hattest, die ich brauchte, um mich in ihm neu zu verankern. Mit so viel Glück hatte ich nicht gerechnet, aber es war eine Schicksalsfügung, denn so konnte ich tatsächlich fast bei dir aufwachsen, immer in deiner Nähe sein. Nur es hatte einen Haken. Bei der neuen Verankerung in Alessio blieb ein kleiner Teil meines Schattenherzens bei Giaci. Dieser Teil hielt sich an dem Teil von Giaci, das du ihm gegeben hast, fest, hinterließ dort eine bleibende Verbindung zu uns beiden. Das konnte Giaci die ganze Zeit spüren. Es verunsicherte ihn. Er konnte mit diesem starken Gefühl nichts anfangen, aber ich musste dafür sorgen, dass es nicht in eine falsche Richtung ging. Er hätte sich in mich verlieben können - was alles über den Haufen geworfen hätte. Darum musste ich ihn einweihen. Die Studpartneros haben mich dann etwas aus der Bahn geworfen. Ich wollte von Anfang an dich dafür haben, wusste nur nicht, wie ich das hinbekomme. Giaci konnte mich verstehen, darum hat er auch nichts dagegen gesagt.«
Erschöpft hielt er inne und fuhr sich durch seine Haare.
»Aber ... warum hast du mir nichts gesagt? Es hätte so viel einfacher sein können. Warum diese Geheimniskrämerei? Ihr habt mich in die Irre geleitet und mich in dem Glauben gelassen, dass euch eine Liebe verbindet, die nichts mit Vater und Sohn zu tun hat. Warum, Sandro? Oder Alessio?«
Ein Schatten fiel über sein Gesicht und er lehnte sich seufzend in die Kissen zurück. Dann zog er mich an sich heran und gab mir einen Kuss.
»Es war schwieriger, als ich dachte. Dabei fügte es sich so gut zu Beginn. Im Grunde habe ich es für Giaci getan. Ich musste mich entscheiden, wem ich es mehr zutrauen würde, mit einer längeren Wartezeit umzugehen. Warten auf die Wahrheit. Du hättest Giaci sehen sollen, als ich es ihm gesagt habe. Nach dem ersten Schock und Unglauben, dass das möglich sein konnte, hat er es so glücklich akzeptiert, dass ich sein Vater bin. Seine Augen strahlten und er war so stolz, dass ich mein Geheimnis nur mit ihm geteilt habe, da wurde mir bewusst, wie sehr er einen Vater vermisst hatte. Seinen Vater. Francesco hat sich immer rührend um ihn gekümmert, keine Frage und du als seine Mutter warst über alle Zweifel erhaben, aber Giaci hat genau in der Zeit auch seinen Vater gebraucht. Und den konnte weder Francesco ersetzen noch Gio. Plötzlich hatte er mich. Ich war da. Er konnte mich alles fragen und was ich konnte, habe ich ihm erklären können. Er hatte zumindest das Gefühl, dass ich nur für ihn da war. Da habe ich erst gemerkt, wie sehr ihn das belastet hat, dass er ohne Vater aufwächst. Ich hatte die Befürchtung, dass ich ihm das wieder wegnehme, wenn ich es dir und den anderen sage. Dann hätte er sich damit beschäftigen müssen, dass sein Vater ein Teenager ist, wie er selbst. Nicht wie bei allen anderen Savantoj. Die ganzen Jahre vorher hatte er gar keinen Vater, also einen toten, dann bekommt er ihn urplötzlich - und dann wird er vor aller Augen wieder degradiert auf einen Jungen. Das wollte ich ihm ersparen. Ich hatte die stille Hoffnung, dass du eine etwas längere Wartezeit besser verkraften kannst, als er. Jetzt ist es für ihn, wie bei allen anderen Savantoj auch - wir sind offiziell in einem Alter, es gibt nichts mehr, was ihn durcheinander bringen könnte. Nun hat er alles so, wie alle anderen auch. Ich hoffe, dass du mir das verzeihen kannst.«
»Was meinst du? Dass du dich wieder geopfert hast, wie es so deine Art ist, wenn du jemanden liebst? Es ist wahnwitzig, was du getan hast. Gleichzeitig aber so unendlich liebevoll und uneigennützig. Ich verstehe deine Gedanken und ich bin froh, dass du Giaci schon so lange ein Vater gewesen bist, ohne dass ich es bemerkt habe. Es tut mir leid, dass ich dich so barsch behandelt habe dafür. Ich wusste ja nicht ...«
»Shhht ... Lass uns diese Zeit einfach abhaken. Ich bin so froh, dass ich dich endlich wieder habe.«
Er zog mich in einen innigen Kuss, den ich mit jeder Faser genoss.
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Frage an meine geneigten Leser:
Da ist er nun wieder.
Wie soll sich Sandro/Alessio in Zukunft nennen? Ich bin da ein wenig unentschlossen.
Damit entscheidet sich auch, wie er Angelina in Zukunft nennt: Angelina-Engelchen (wobei ich letzteres langsam für überholt halte?) oder Lina?
Ich wäre froh, wenn Ihr Euch dazu äußern würdet, ich bin da gerade noch etwas überfragt. Die Beiden wollen einfach nichts dazu sagen. :-(