Das Gespräch mit Adelia ergab sich bald nach dem Mittagessen, als wir beide wieder allein im Zimmer waren. Vorsichtig stimmte ich sie auf die Unterhaltung ein.
»Sag mal, darf ich dich mal was fragen? Wo wohnt ihr denn jetzt, wenn ihr aus dem Krankenhaus entlassen werdet? Sicher hier in der Nähe ...?«
»Ich habe eine kleine Wohnung in einem größeren Mietshaus gefunden. Wir haben ja nicht viele Sachen und wieviel Platz braucht man zum Schlafen? So kann ich noch Geld sparen für die Zeit ...« Sie brach ab, weil sie es nicht aussprechen wollte, aber ich verstand sie auch ohne viele Worte.
Ich überlegte einen Moment, wie ich es am besten ausprechen sollte, fasste mir dann aber ein Herz.
»Was hältst du davon, wenn ihr beide mit zu mir nach Hause kommt? In unserem Haus ist genug Platz und ihr wärt nie allein. Das hätte doch für euch beide Vorteile? Ich würde mich freuen, wenn sich unsere Wege hier nicht gleich wieder trennen würden. Dann hätten wir auch Gelegnheit, über die weitere Zukunft von Alessio gemeinsam zu beraten.«
Ich verstummte zaghaft und sah Adelia nun hoffnungsvoll an.
Ich erschrak, als ich die unterschiedlichsten Gefühle auf ihrem Gesicht ablaufen sah. Schmerz, Scham, Verlegenheit, Angst.
Spontan drehte sich Adelia weg und ging auf das Fenster zu, schaute hinaus und musste sich augenscheinlich erstmal sammeln.
»Ich kann dir doch nicht so zur Last fallen, Angelina. Das ist so lieb, dass du das anbietest, aber vermutlich werde ich bald schon keine Bereicherung sondern eine massive Belastung sein - und du hast selbst ein Neugeborenes, um dass du dich kümmern musst.«
Ich ging hinüber zu Adelia und nahm sie in die Arme.
»Was redest du denn da? Klar habe ich auch Giaci - aber ich habe auch viele Freunde, die mir helfen - sie werden UNS helfen. Wir sind Savantoj, wir helfen uns. Du solltest gerade deswegen mit zu uns kommen. Was willst du denn allein machen, wenn es dir schlechter geht? Sie werden dir Alessio dann einfach wegnehmen. Das kann dir bei uns nicht passieren. Gib dir einen Ruck - lass es uns versuchen. Die Wohnung hast du ja dann noch, falls wir uns nicht vertragen. Aber das glaube ich eher weniger, oder?«
Adelia schmiegte sich ergeben in meine Arme und versuchte, die Tränen zurückzukämpfen.
»Ich danke dir. Du hast wirklich ein großes Herz, dann nehme ich das Angebot mit Freuden an.«
Ich lachte und drückte die junge Frau herzlich an mich.
Wie ich mir dachte, waren Sophia und Gio zwar überrascht von meiner Entscheidung, unterstützten sie aber sofort, als sie von den Umständen erfuhren.
So holten sie uns auch beide ein paar Tage später gemeinsam ab und brachten uns nach Hause. Als Überraschung hatten sie unser Haus so umgeräumt, dass Adelia mit Alsessio ein eigenes Zimmer mit Kinderbettchen und Wickeltisch beziehen konnte, und ich in unserem gemeinsam Schlafzimmer mit Giaco einziehen konnte - natürlich mit einer ähnlichen Ausstattung.
Ich konnte mich wirklich auf alle verlassen, wir fanden unsere Ruhe so schnell, weil alles optimal vorbereitet war. Francesco blieb in der Nähe bei Gio und Phia, sodass wir jederzeit Unterstützumng bekommen konnten. Der Kühlschrank war voll und der Garten ordentlich, wir mussten nirgends gleich Hand anlegen und konnten uns um unsere Kinder kümmern.
Adelia fühlte sich sofort wohl und das machte mich ein wenig stolz, weil sie so in jedem Fall noch ein paar schöne Monate verbringen konnte, ohne größere Sorgen, bis auf die eine entscheidende.
Ich musste schnellstens eine Lösung für das Baby finden, damit sich Adelia auf sich selbst konzentrieren konnte. Solange sie die Sorge um Alessios Zukunft mit sich herumtrug, vernachlässigte sie sich selbst immer.
Ich lud daraufhin Gio, Sophia und Francesco ein paar Tage später zum Abendessen ein, damit wir gemeinsam unsere Optionen checken konnten. Ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass Alessio in ein Waisenhaus kam, denn meine Erinnerungen an diese Zeit in meiner eigenen Kindheit waren nicht die allerbesten.
Adelia sah dieser Begegnung zunächst mit gemischten Gefühlen entgegen. Sie fühlte sich zwar wohl bei Angelina, doch sie war ja nur ein Gast, jedenfalls dachte sie das so. Auch Sophia und Gio kannte sie schon von den Besuchen im Krankenhaus, von daher war sie vorbereitet, doch man sah ihr an, dass sie zutiefst verunsichert war, was Alessio betraf. Momentan sah sie noch kein Licht am Ende des Tunnels, sie wartete ab.
Meine Freunde trafen pünktlich ein, brachten noch einen Nachtisch mit, der aus einem frischen Obstsalat bestand und alle begrüßten sich freundlich, aber nicht überschwänglich.
Aber bereits am Tisch lockerte sich die Stimmung zusehends. Francesco und Gio blödelten herum, sodass sogar Adelia ab und zu herzlich lachen konnte, das verbesserte die Laune sofort.
»Lasst uns schnell essen, bevor die beiden Hauptpersonen wieder jegliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe selten warmes Essen zu mir genommen, als unsere Kinder noch so klein waren, stimmt's Phia?«
Gio grinste und gab seiner Angetrauten einen schnellen Kuss.
Adelia lächelte.
»Stimmt wohl. Das Problem ist, ich habe keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll. Viel Zeit bleibt mir vermutlich nicht mehr und ich habe leider überhaupt keine Vorstellung, wie das funktionieren kann.«
Ich sah reihum, mein Blick blieb an Francesco hängen, der mich kurz annickte.
»Darum sind wir ja heute alle beisammen. Wir können darüber sprechen, beraten und Du entscheidest dann, was wir machen. Ich schlage vor, Sophia sagt mal das dazu, was sie mit Gio schon im Vorfeld besprochen hat, damit wir alle wissen, an welchem Punkt wir ansetzen können.«
Ich schaute Sophia an und diese holte tief Luft.
»Adelia, wir haben uns Gedanken gemacht. Deine Situation ist so schlimm, dass wir alle Register ziehen müssen, wenn wir dir helfen sollen. Dir ist bekannt, dass die Behörden sich um Alessio kümmern würden, sobald du es nicht mehr kannst. Genau das wollen wir verhindern. Es ist die Zukunft, die wir alle nicht für Alessio im Sinn haben, nicht wahr? Darum müssen wir vorsorgen, damit sie nicht auf die Idee kommen. Als Savantoj haben wir die Möglichkeit, Papiere anzupassen. Offizielle Papiere, die den Kleinen als zu uns zugehörig ausweisen würden. Gio und ich sind der Meinung, dass wir gar keine andere Chance haben. Ich denke, da wirst du uns zustimmen?«
Adelia nickte zögernd, ahnte schon, was als nächstes folgen würde.
»Die Frage ist nun«, fuhr Sophia fort. »Wem von uns würdest du deinen Alessio anvertrauen wollen?«
Beide Babys fingen an zu weinen.
Irgendwie erleichtert, weil sie einer sofortigen Antwort entfliehen konnte, sprang Adelia auf und holte ihren Sohn aus dem Bettchen. Im Vorbeigehen strich sie über Giacis Köpfchen, sodass der sich auch etwas beruhigte.
Als sie in das Zimmer zurückkehrte, gab sie Alessio einen Kuss auf die Stirn.
Dann legte sie ihn mit Tränen in den Augen Angelina in die Arme, die ihn ergriffen in Empfang nahm.
Die Entscheidung war gefallen.