Isa hatte mir für mein Fest viel Glück gewünscht.
Es war irgendwie ein komisches Gefühl, dass ich morgen mit Gina schlafen würde, aber ich freute mich auch darauf, dass damit unsere Kindheit abgeschlossen wurde. Danach würde es für mich nur noch Isabella geben, davon war ich überzeugt, weil ... ja, weil sie eben meine Gefährtin sein würde. Seitdem mir mein Vater von seinem Schattenherz erzählt hatte, wusste ich, was auf mich zukommen würde. Trotzdem war es immer noch unser Geheimnis - Isas und meins.
Ich erinnerte mich noch gut daran, wie wir uns das erste Mal in der Uni über den Weg gelaufen waren.
Ich war in der Bibliothek und wollte gerade wieder nach Hause gehen. Als ich alles zusammengepackt hatte und aufstand, ging sie mit zwei Freundinnen an meinem Tisch vorbei.
Ein Buch rutschte von meinem Tisch, fiel auf die Erde und wir bückten uns beide spontan, um es aufzuheben - und stießen prompt mit den Köpfen zusammen. Verdutzt landete ich auf meinem Allerwertesten und schaut wohl nicht sehr intelligent zu ihr hin, die sich ihre Stirn rieb.
Dann schaute ich in die wohl faszinierendsten grünen Augen, die mir je begegnet waren. Ihre rotblonden Locken lagen wirr um ihren Kopf, aber ich fand es einfach nur hinreißend und süß.
»Tut mir leid«, brachte ich gerade noch so heraus und starrte sie weiter an. Bis sie anfing zu lachen.
»Ich habe gewonnen. Bitte sehr.«
Sie hielt mir das Buch hin und grinste unheimlich frech, aber sympathisch.
»Danke sehr«, murmelte ich und rieb mir über meine Augenbraue, die sie getroffen hatte.
Als wir wieder hochkamen, standen wir einen Moment ratlos herum. Immer noch lächelnd legte sie das Buch auf den Tisch und ging schließlich weiter.
Für einen winzigen Moment spürte ich einen kleinen Stich in meinem Herzen.
Damals wollte ich dem keine weitere Bedeutung zumessen, schließlich war es bei Sandro und Angelina schon so viel früher deutlich geworden, also konnte es nichts zu bedeuten haben.
Jedenfalls starrte ich ihr etwas unsicher und bedauernd nach, aber machte keine Anstalten, sie nochmal anzusprechen.
Das änderte sich in den nächsten Wochen aber.
Ich erwischte mich dabei, wie ich nach ihrem Haarschopf Ausschau hielt. Immer wenn ich dachte, ich hätte sie entdeckt, machte mein Herz einen Salto, nur um dann enttäuscht festzustellen, dass ich mich mal wieder geirrt hatte.
Es dauerte zwei lange Wochen, bis ich sie dann endlich in der Mensa wirklich sah. Inmitten eines Pulks von plappernden Mädchen, deren Gespräch sich um das Essen drehte.
Sie hatte mich nicht bemerkt, darum konnte ich sie ganz in Ruhe beobachten. Das tat ich auch, weil ich gar nicht anders konnte. Mein Blick schien festgeklebt an der Gestalt, die sich so zauberhaft bewegte, als wenn sie ein flatternder Schmetterling wäre, der sich die nächste Blüte aussucht.
Ich bedauerte zutiefst, dass sie zu weit weg war, um in ihre wunderschönen, grünen Augen zu sehen. Sie hatten in mir eine Saite zum klingen gebracht, die partout nicht mehr verstummen wollte. Das war mir noch nie passiert.
Ganz in Gedanken versunken überhörte ich die Frage eines Studenten, der sich mit an meinen Tisch setzen wollte und ich sah irritiert hoch, als er seine Frage wiederholte. Ich nickte zustimmend und wandte mich wieder dem Mädchen zu, dessen Namen ich bis dahin noch nicht kannte.
Gedankenverloren kaute ich auf meinem Brötchen herum.
Ich zuckte zusammen, als die Mädchengruppe mit ihren Tabletts plötzlich in meine Richtung zuhielten und sich dann am Tisch neben meinem niederließen.
Ihre Augen weiteten sich ein Stückchen, als sie mich erkannte, aber sie sah gleich wieder weg und wieder war er da - dieser kleine Stich der Enttäuschung.
Schnell schaute ich geflissentlich auf meinen Teller. War ich etwa verlegen? Das konnte ernsthaft nicht wahr sein!
Ich tat so, als wenn mich wahsnsinnig für die Tomatenscheibe auf meinem Teller interessieren würde und lauschte dabei dem Gespräch am Nebentisch, in der Hoffnung, dass es nicht auffiel. Ich wollte unbedingt ihren Namen herausfinden.
Ich hatte Glück - ein Mädchen sprach sie kurz darauf mit Isabella an, was ich daran merkte, wie sie mit einem Lachen antwortete, denn hinsehen wollte ich natürlich nicht so auffällig. Ihre Stimme hätte ich aber überall wiedererkannt. Ich erlaubte mir, kurz hinzusehen, kehrte aber mit meinen Augen sofort zu meinem Teller zurück, als ich den Blick der grünen Augen auf mir bemerkte.
Na, toll! Jetzt hatte sie mich erwischt.
Die Hitze, die mir in den Kopf stieg, ließ mich erahnen, wie sehr ich meine Farbe gewechselt haben musste. Ich warf trotzdem todesmutig noch einen Blick hinterher, der mich dann völlig aus der Bahn warf.
Sie sah mich jetzt offen an. Ohne ein Lachen, ganz ernsthaft, erstaunt - interessiert? Fragend?
Dann lächelte sie mir zu, aber ich schaute wieder weg und sie antwortete ihrer Freundin. Ich wollte am liebsten im Boden versinken.
Wie blöd konnte man sich anstellen?
Hastig beendete ich mein Frühstück, stand auf, nahm mein Tablett und ging schnell von den Tischen weg. Bloß raus aus der Schusslinie. Es konnte eigentlich nur noch schlimmer werden, oder?
Erst als ich aus der Mensa raus war, wagte ich es, wieder aufzuatmen.
Dann bereute ich meinen schnellen Abgang. Mist.
Mehr als ihren Namen hatte ich nun immer noch nicht heraus. Wer weiß, wie lange es nun dauern würde, sie mal wieder so nah zu erwischen. Aber es war auch blöd gewesen, weil sie in einem ganzen Schwarm voller Mädchen gewesen war. Ich hätte da ja kaum ein persönliches Wort mit ihr wechseln können, ohne gleich auf dem Präsentierteller zu sitzen.
Jemand tippte mir überraschend auf die Schulter. Als ich herumfuhr stand sie wahrhaftig vor mir.
Vor meinem scheinbar entsetzten Blick wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück. Ich hob entschuldigend die Hand und sie blieb abwartend stehen.
»Hi«, brachte sie heraus, mehr nicht.
»Hi Isa, entschuldige, ich hatte nicht mit dir gerechnet.«
Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Isa?«
Scheiße. Verquatscht.
»Ähm. Ja, sorry. So heißt du doch, oder? Habe ich vorhin irgendwie mitbekommen.«
Verdammt, wo sollte ich hingucken? Im Zweifel in diese grünen Augen ...
Als sie das Gesicht zu einem Lächeln verzog, wagte ich eine zaghafte Erwiderung.
»Nicht ganz. Isabella heiße ich. Meine Freunde nennen mich meist Bella.«
»Hmm. Okay. Darf ich dich trotzdem Isa nennen? Gefällt mir besser.«
Ich hatte wohl einen totalen Knall! Das würde ihr garantiert nicht schmecken. Wie kam ich dazu, so etwas ...
Ein Kichern.
Ich atmete auf. Sie war nicht sauer.
Dann kam der Magenschwinger.
»Dann willst du also nicht zu meinen Freunden gehören. Gut. Ich meine, gut zu wissen.«
Sie grinste mich wieder so frech an, wie damals in der Bibliothek. Ich hätte mir in den Allerwertesten treten können, aber nun war es zu spät. Jetzt musste ich zu meinen Worten stehen, sonst würde ich mich noch mehr blamieren.
»Ist das das einzige Kriterium, nach der du die Menschen in Freund oder Feind einsortierst?«
Ein Versuch, ihr wenigstens ein wenig Paroli zu bieten. Ich legte den Kopf ein wenig schief und musterte sie nun auch ein wenig provozierend, setzte ein hoffentlich ebenfalls freches Grinsen auf.
Innerlich jubelnd registrierte ich, dass sie nun auch ein wenig an Röte auf den Wangen zulegte, was ihr ausgesprochen gut stand, wie ich fand.
Ich konnte auf ihrer Nase ein paar Sommersprossen ausmachen. Süß, als sie die Nase ein wenig kräuselte, tanzten sie umher.
»Ich denke nicht, nein.«
»Was meinst du?«
»Meine Freunde. Sie werden nicht nach meinem Spitznamen beurteilt. Das hat sich einfach nur so ergeben.«
Ich nickte bemüht ernsthaft. Dann fiel mir etwas ein.
»Was kann ich denn für dich tun?«
Sie war mir ja offensichtlich gefolgt. Irgendeinen Grund musste es ja dafür geben.
Sie grinste sofort wieder.
»Du neigst dazu, immer irgendwelche Dinge wegzuschmeißen oder liegen zu lassen. Es ist ein wrklich schöner Stift, sogar mit Gravur. Giacomo.«
Mist - den hatte ich wohl liegengelassen, als ich so hastig mein Frühstück abgebrochen hatte.
»Dann habe ich wohl Glück gehabt, dass du wieder gut aufgepasst hast. Vielen Dank, Isa - Bella.« Betont entzerrte ich ihren Namen, was ihr ein Schmunzeln auf ihr Gesicht zauberte.
Ich griff nach dem Stift, den sie mir hinhielt und für einen Augenblick berührten sich unsere Finger, was bei mir ein leichtes Kribbeln verursachte.
Rasch zog ich meine Hand wieder weg, hielt aber den Stift erfolgreich in der Hand fest.
»Der war ein Geschenk. Blöd, wenn ich den verloren hätte. Darf ich dich vielleicht als kleinen Dank zu einem Eis einladen? Nach der Uni?«
Sie rieb sich die Finger, als wenn sie ebenfalls ein Kribbeln verspürt hätte und sah mich nachdenklich an.
Ich rechnete fast schon mit einer Abfuhr, als sie endlich nickte.
»Warum nicht? Treffen wir uns hier vor der Mensa - wann bist du fertig?«
Ich war froh, dass sie zugesagt hatte. Kurz überlegte ich.
»Ab fünfzehn Uhr kannst du mir eine Zeit nennen, die dir passt. Ich bin dann hier und hole dich ab.«
»Dann lassen wir es gleich bei fünfzehn Uhr«, stimmte sie zu.
Sie hob die Hand, als wenn sie mir zuwinken wollte.
Ehe ich begriff, was ich da tat, fing ich ihre Hand ab und hauchte ihr einen Kuss darauf.
Erschrocken über mich selbst, ließ ich sie wieder los.
»Entschuldige, ich konnte nicht anders. Es fühlte sich so ...«, begann ich stotternd und riss verblüfft die Augen auf, als sie meinen begonnen Satz zu Ende sprach.
»... richtig an«, wisperte sie. Sie sah erstaunt und amüsiert aus.
Dann ging sie und ich starrte ihr mal wieder hinterher.