Unser erstes Date.
Es lief ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Am liebsten wäre ich gleich vor dem Eingang der Mensa stehengeblieben bis zum Nachmittag. Natürlich ging das nicht und hätte mir auch nichts von meiner Nervosität genommen. Diese zwiespältigen Gefühle, die in mir schlagartig erwacht waren, nahmen mich dennoch so gefangen, dass ich mich nicht wirklich auf meinen Lernstoff konzentrieren konnte.
Fasziniert war ich der Geschichte von Sandro und Angelina gefolgt, als mir Alessio davon erzählte und ich hatte genaue Vorstellungen davon, wie das so lief, wenn man seine Auraeho fand und erspürte. Ein Teil traf bei Isabella genau zu - diese Anziehungskraft, die sie auf mich ausübte, speziell, nachdem wir uns unabsichtlich berührt hatten. Da war ich mir sogar schlagartig sicher gewesen, aber bei den anderen Dingen war ich noch zutiefst verunsichert. Jedenfalls als wir uns das erste Mal zum Eis verabredeten. Da war es so, als wenn wir alles durch eine kuschlig weiche Decke wahrnahmen. Diese unbändigen Gefühle wurden verdeckt, verborgen, aber warum? Wenn wir uns berührten war es so, als wenn sich die Decke kurz anhob und uns einen Blick gewährte auf das, was uns noch erwartete. Davon aber hatte Alessio nichts gesagt. Er sprach immer nur von der Beherrschung und der Geduld, die er aufbringen musste, bis Angelina, meine Mutter, alt genug für die Altersfestsetzung war. Sie hatten jedoch noch eine Wandlung zu bewältigen. Ob es daran lag? Bei Isa und mir gab es solche Hindernisse nicht. Wir waren beide Savantoj. Nur warum hatten wir es dann nicht schon viel früher gespürt - und uns gesucht und gefunden? Ich war verwirrt, obwohl ich mir bei Isa hundertprozentig sicher war.
Bevor ich dieses Problem nicht gelöst hätte, würde ich mit niemandem darüber sprechen. Das war mir viel zu wichtig.
Ich fieberte auf das Date hin und beschloss, erstmal alles auf mich zukommen zu lassen und nur Isa mit einzuweihen, so weit sie mir folgen wollte in meinen Überlegungen. Das da etwas war, konnte nicht offensichtlicher sein. Deswegen wollte ich gleich heute nicht lange um den heißen Brei herumreden. Zu Zweit konnten wir dem merkwürdigen Geheimnis vermutlich besser auf den Grund gehen.
Ich hasste es zu spät zu kommen, also war ich eher immer etwas früher da.
Um nicht dumm herumzustehen, studierte ich die ausgehängte Menükarte, obwohl sie eigentlich schon überholt war.
»Morgen gibt es etwas anderes.«
Ohne mich umzudrehen lachte ich leise.
»Ich weiß. Schön, dass du da bist.«
»Wir waren verabredet, du erinnerst dich?«
Jetzt drehte ich mich doch zu ihr.
»Eine meiner guten Ideen. Wollen wir los?«
Sie nickte. Den Weg vom Unigelände runter zur kleinen Eisdiele in der Nähe hatten wir rasch hinter uns gebracht. Wir redeten über Belanglosigkeiten, die Lieblingseissorte, sie mochte am liebsten Schokolade, auch noch ein wenig über die Uni, aber davon hatten wir eigentlich schon genug an diesem Tag.
Als wir uns später mit unseren Eisbechern gegenüber saßen, wagte ich die direkte Frage.
»Was meintest du mit " ... weil es sich richtig anfühlt" vorhin?«
Sie erstarrte in ihrer Bewegung mit dem Löffel zum Mund, gab mir aber dann doch eine Antwort, bevor sie ihn in den Mund schob, was ich fasziniert beobachtete.
»Das werden wir hoffentlich herausfinden.«
Zwei Seelen, ein Gedanke. Ein Gefühl, dass uns beide anscheinend beschäftigte, nur war es nichts, was wir schon benennen konnten, also beschränkten wir uns darauf, uns weiter kennenzulernen.
Es machte Spaß, wir verabredeten uns danach regelmäßig, stellten mit der Zeit fest, dass wir uns auf magische Weise vertraut waren und beschlossen, es einfach hinzunehmen.
Als ich sie das erste Mal küsste, fühlte es sich wie eine Offenbarung an. Wir verstanden uns ohne viele Worte und wir waren uns einig, dass wir zusammengehörten. Unter der Oberfläche brodelte es, doch egal was es war - wir waren immer der Meinung, dass es sich richtig anfühlte. Es reichte uns für den Moment, wir waren glücklich und wollten es bleiben. Es war gar nicht so einfach, alles vor Alessio geheim zu halten, aber ich versuchte es. Bella gehörte zu mir, so wie Angelina zu Sandro.
Beides sollte nicht an die Öffentlichkeit bis Alessios Fest mit Angelina anstand.
Nun war es geschehen, meine Eltern offiziell wieder zusammen, ich freute mich für sie und genoss meine nunmehr intakte Familie.
Aber von diesem Zeitpunkt an veränderte ich mich - und damit auch die Beziehung zu Bella und darüber machte ich mir Gedanken. Es war erst ein paar Tage her, aber ich spürte in mir eine so große Sehnsucht zu Isabella, dass es wehtat. Und ich verstand nicht, warum. Es machte mir sogar etwas Angst, weil ich mich fragte, was sich plötzlich geändert hatte.
Verzweifelt gab ich meine Beziehung zu Isabella innerhalb der Familie nun bekannt. In der Hoffnung, dass sich damit alles normalisierte, aber es änderte sich nichts. Nach wie vor brannte ich darauf, sie zu sehen, zu fühlen und einfach bei ihr zu sein. Alles, was vorher unter der Decke gewesen war, schien sich nun obenauf zu zeigen und mich zu verfolgen.
Natürlich hatte mich Gios Entschuldigung ordentlich beeindruckt, aber niemand ahnte, dass mich auch diese Gefühle für Isabella gerade gehörig durcheinander brachten.
Morgen stand nun meine Altersfestsetzung mit Gina an.
Ich hoffte inständig, dass ich danach endlich wieder klarkam. Bella spürte es wie ich - es war etwas anders geworden, aber wir hatten gerade keine Zeit, um uns darüber auszutauschen. Wir schickten uns Nachrichten, aber das war nicht dasselbe. Ich musste sie sehen!
Womit kann ich dich an den Strand locken? Muss dich unbedingt nochmal sehen vorher.
...
An unserem Steg? Ich komme in zehn Minuten.
Ich atmete auf und machte mich sofort auf den Weg.
Sie konnte mich wieder erden. Es reichte schon, dass ich sie umarmen konnte, ihren wunderbaren Duft nach Sommerwiese und Blütenpracht aus ihren Haaren aufnehmen und von ihren süßen Lippen kosten konnte, die mich gleichzeitig berauschten und beruhigten. Sie verstand mich ohne Worte, klammerte sich an mir fest und so gaben wir uns gegenseitig den Halt, den wir gerade brauchten.
»Giaci, es fühlt sich doch immer noch richtig an. Du fühlst dich richtig an. Es ist nur so viel intensiver plötzlich, aber es ist okay, hörst du?«
Ich seufzte.
»Ja. Aber warum ausgerechnet jetzt?«
»Keine Ahnung, denk nicht darüber nach. Es wird sich schon zeigen. Nun geh und schlaf dich aus. Wir schreiben uns ...«
Ich küsste sie wieder und wieder, bis sie sich von mir löste und nach Hause ging, um mir den Abschied leichter zu machen. Verdammt, wie ich sie liebte - nicht nur dafür.
Das Fest war mehr für die anderen ein Erlebnis, besonders Angelina und Sandro und Ginas Eltern waren entsprechend etwas aufgeregt.
Gina und ich waren in der Zwischenzeit so vertraut, dass wir uns kaum noch überraschen konnten und wir sahen der ganzen Angelegenheit fast schon gelassen entgegen. Eine Art Lebensabschnitt ging dem Ende zu und wir bewältigten es mit gegenseitigem Respekt und einer Zuneigung, die jedoch den Status einer Freundschaft nicht überstieg.
Das Gefühl, was sich danach einstellte war allerdings doch etwas gänzlich anderes. Nun waren wir festgelegt auf unser Alter und so würden wir den Rest unseres Lebens verbringen.
Theoretisch begegneten wir unseren Eltern und Freunden jetzt auf Augenhöhe. Trotzdem fühlte ich mich noch nicht so gleichwertig, als wir gemeinsam von Ginas Elternhaus wieder nach Hause fuhren.
Dafür war aber meine Sehnsucht nach Isabella ins Unermessliche gestiegen.
Kaum waren wir daheim, schickte ich ihr schon eine Nachricht für ein schnelles Treffen. Meine Eltern ahnten bestimmt, wohin es mich zog. Sie sagten nichts, als ich mich gleich darauf wieder abmeldete und wünschten mir nur viel Spaß.
Mein Herz hämmerte in meinem Brustkorb und es hatte nichts mit den schnellen Schritten zu tun, die ich an den Tag legte, als ich mich zum Strand aufmachte, um Bella zu treffen.
Es erschien mir seit meiner Alterfestsetzung so besonders kräftig und ich konnte es mir noch nicht erklären. Insgesamt waren es einfach zu viele neue Eindrücke, mit denen ich mich noch nicht so befassen konnte, wie es vielleicht nötig gewesen wäre, aber bald konnte ich mich damit beschäftigen.
Als ich die letzte Straße vor dem Strand überqueren wollte, geschah etwas Unvorhergesehenes.
Ein Tanklaster, der an der Ecke auf eine Tankstelle fahren wollte, gab plötzlich Gas und raste über die Straße auf den Strand zu, überschlug sich an dem Übergang zur Promenade und flog in Richtung Strand, wo er unter lautem Gedöns hinknallte und qualmend liegenblieb. Erschrockene Schreie von allen Seiten, die Menschen liefen zusammen und mir blieb das Herz stehen und der Atem stockte.
Isabella!
War ihr etwas passiert? Hinter dieser Promenade lag unser Treffpunkt, der Steg!
Blindlings rannte ich los in Richtung Strand. Ihr durfte nichts passiert sein, sonst würde ich durchdrehen!
Gleich hinter der Promenade bog ich ab, da sah ich sie schon, wie sie mir zuwinkte, nicht weit entfernt von dem verunfallten Tanklastwagen. Mein Blick huschte kurz zu dem Lastwagen und dem Treibstoff, der im Sand rasend schnell versickerte, dann zurück zu Bella.
Erleichtert wollte ich aufatmen, da hörte ich plötzlich dieses schreckliche Geräusch, was mich unmittelbar in die Knie zwang.
Ein langsam ansteigendes Heulen, welches so laut wurde, dass mir der Kopf dröhnte, mein Blick verschwamm und ich nur noch hilflos meine Hand zu ihr ausstrecken konnte, bis ich dann doch zu Boden fiel.
Ihr Schrei ging in dem schrecklichen Heulen unter, als ich das Bewusstsein verlor.