Die Jungs mochten vielleicht zehn Jahre alt gewesen sein, als ich anfing, mir über bestimmte Dinge zwischen den Beiden Gedanken zu machen.
Unser Umzug mach Portugal rückte näher, aber noch war genügend Zeit. Ich wollte nach Abschuss meines Studiums noch meine Masterarbeit schreiben, bevor wir das Weitere planten.
Zunächst dachte ich, die Jungs würden sich vielleicht über die Zukunft in Portugal austauschen, aber bald sah ich, dass es wohl etwas anderes sein musste. Nur sie hielten sich ausgesprochen bedeckt, verschleierten plötzlich, wohin sie gehen wollten.
Auch wenn ich ihnen bedingungslos vertraute, war ich mir meiner Verantwortung stets bewusst. Ich musste wenigstens erfahren, dass sie nichts Gefährliches anstellten, ansonsten wollte ich ihnen ihre kleinen Geheimnisse vor Francesco und mir nicht nehmen.
Mir war nie klar geworden, dass Sandro ähnlich empfunden haben musste, als ich in dem Alter war. Aber er hatte den Vorteil gehabt, dass ich oft in Gios Familie war und deswegen auch dort nicht ohne Aufsicht war. Ambra war zwar genauso ein Wildfang wie die beiden Jungs, aber sie hatte auch andere Interessen, sodass sich Giaci und Alessio doch oft lieber allein bei uns beschäftigten. Sie zogen sich oft in den Wald zurück, hatten mein kleines Häuschen irgendwann entdeckt und in Beschlag genommen, was ich irgendwie niedlich fand.
Erzählt hatten sie es mir nicht - eines ihrer kleinen Geheimnisse - aber da mir jeder Weg dort bekannt war, dauerte es nicht lange, bis ich es schon im Vorbeigehen entdeckte, was sie alles ausgebessert hatten, damit sie es wieder nutzen konnten. Sie fühlten sich dort sehr sicher und bemerkten nicht, wenn ich ab und zu einen kleinen Kontrollgang unternahm. Daher blieb es mir auch nicht lange verborgen, worüber sie sich unterhielten.
»Warum kannst du es mir noch nicht sagen?« Giacomos Stimme klang ungeduldig.
»Ich muss den richtigen Zeitpunkt abwarten, Giaci. Hab doch Geduld.«
Alessio versuchte, seinen Bruder zu besänftigen, mit mäßigem Erfolg.
»Ich will aber nicht warten. Du hast gesagt, es wäre etwas Schönes. Worauf wartest du dann? Oder worauf soll ich warten?«, grummelte Giaci zurück.
»Solange du so drängelst, ist es eben viel zu früh. Das verrate ich dir erst in Portugal - frühestens. Ich will erst wissen, wie wir da leben und wie es mit uns allen weitergeht. Also das dauert noch. Frag mich nicht andauernd danach. Ich hätte dir gar nichts sagen sollen, immer willst du alles sofort wissen.«
Jetzt hörte sich auch Alessio unzufrieden an. Was mich allerdings am meisten erstaunte, war seine Bestimmtheit. Bisher hatte ich eher den Eindruck gewonnen, dass er Giaci sehr oft nachgab und das machte, was dieser wollte. Hier jedoch schienen die Rollen vertauscht, was Giaci offensichtlich so gar nicht schmeckte. Ich hörte es an seinem entrüsteten Schnauben.
Weil ich vermutete, dass er bald wütend herausstürmen würde, zog ich mich erstmal zurück. Auf meinem Weg zum Haus zurück gübelte ich, um was es sich wohl bei Alessios Geheimnis handeln konnte. Es erschloss sich mir nicht, aber noch gab es wohl keinen akuten Handlungsbedarf. Ich nahm mir aber vor, auch in Portugal noch mehr auf die Beiden achtzugeben, bis ich dahinter gekommen wäre.
Von da ab beobachtete ich sie ein wenig anders, machte mir aber keine großen Sorgen. Sie tuschelten nicht und wenn sie sich ertappt fühlten, sahen sie immer noch ehrlich aus. Wenn da schlechtes Gewissen im Spiel gewesen wäre, hätte ich das erkannt.
Zunächst jedoch wurde Gianlucas Altersfestsetzung geplant. Diese sollte noch vor unserem Umzug und nach meiner Masterarbeit gelegt werden, so war es mit ihm abgesprochen.
Als ich fertig war mit meiner Arbeit war ich sehr erleichtert. Es hatte mich doch mehr Arbeit und Zeit gekostet, als vorher erwartet. Aber das Gefühl, es noch rechtzeitig geschafft zu haben, war toll und ich genoss die Freizeit, die mir jetzt zur Verfügung stand.
Gianluca lebte seit einiger Zeit fast ausschließlich bei seiner Studpartnero. Ähnlich wie Francesco bei Sophia und Gio damals, als es bei mir so weit war. Deswegen bekamen wir nicht so sehr viel mit von dem großen Ereignis, aber genug, um zu erleben, wie aufgeregt sich Sophia verhielt.
Der angesetzte Termin näherte sich. Francesco und ich würden nicht daran teilnehmen, dafür übernahmen wir Ambra in dieser Zeit, damit Sophia und Gio zu Gianluca fahren konnten, um ihn an diesem Tag zu begleiten.
Natürlich ließen wir viele Glückwünsche ausrichten. Für einen Savanto war das ein wichtiges Datum, bei unseren beiden Rackern und auch Ambra hatten wir noch ein paar Jahre Zeit und müssten uns sowieso erst in Portugal damit beschäftigen.
Nachdem Gianluca nach dem Fest mit seinen Eltern wieder zu Hause eintraf, begannen unsere Vorbereitungen für den Umzug nach Portugal. Gianluca sollte mit seiner festen Freundin in der Toskana bleiben und sich für die nächsten Jahre um beide Anwesen kümmern, soweit es seine Aufgaben zuließen. Das war lange vorher bereits besprochen, nun wurde es konkret.
Ich hatte mit Gio schon geklärt, dass zumindestens ich, nach der Altersfestsetzung von Giaci und Alessio, wieder in die Toskana zurückkehren wollte.
Für die Jungen wollte ich keine Entscheidung treffen, Francesco sollte sich auch selbst entscheiden. Wenn sie wollten, konnten sie sich mir anschließen, wenn nicht würden sie danach in Portugal bleiben, aber bis dahin war noch einige Zeit hin, die wir jetzt bald anders verbringen würden, als bisher.
Als es endlich soweit war, gestaltete sich der Umzug einfacher als gedacht. Natürlich waren alle drei Kinder hibbelig, aber wir hatten tatsächlich kaum Gepäck, weil wir nur unsere persönlichen Dinge mitnahmen. Alles andere blieb in der "Heimat".
Die Reise mit dem Zug gestaltete sich wie ein Ausflug, deswegen kam auch keine so große Abschiedsstimmung auf. Trotzdem war mir ein wenig wehmütig zumute. Aber die Kinder lenkten mich ab.
Auch Sophia, Gio und Francesco sorgten dafür, dass wir uns mit der Zukunft beschäftigten. Schule, Arbeit, Wohnung.
Bei unserer Ankunft erwartete uns ein ähnlich schönes Wetter wie daheim, dazu ein super toller Strand, der die Kinder sofort begeisterte und ein wenig dafür entschädigte, dass wir alle ab sofort in einer Mietwohnung wohnen würden. Wir hatten glücklicherweise in einem Haus zwei nebeneinander liegende Wohnungen gefunden. In der Nähe des Strandes, aber eben ohne eigenen Garten.
Die Praia da Manta Rota war beliebt bei den Einheimischen, aber natürlich auch bei den Touristen. Ein schönes Stückchen Erde, an dem man sich wohlfühlen konnte.
Wir lebten uns relativ schnell ein. Die Kinder fanden erfreulicherweise schnell neue Freunde, der Sprachkurs, den wir gemeinsam vorher absolviert hatten, zahlte sich rasch aus. Der Schulwechsel ging gut über die Bühne, zumal wir mit den Sommerferien beginnen konnten. Das passte den Kinder sehr gut in den Kram.
Ich brauchte nun eine Weile, ehe ich die neuen Lieblingsplätze der Kinder herausfand, speziell die der Jungs, aber irgendwann fand ich ihre geheimen Treffpunkte.
Trotzdem merkte ich irgendwann, dass ich was verpasst hatte.
Offensichtlich hatte Alessio nun sein Geheimnis offenbart, aber ich konnte es nicht herausfinden, denn sie schienen plötzlich sehr ruhig miteinander umzugehen, fast zu ruhig.
Nach einer gewissen Zeit vergaß ich es beinahe, aber am Ende des ersten Jahres, die Jungs waren jetzt dreizehn, sah ich sie zufällig versteckt in den Dünen.
Sie bemerkten mich nicht. Sie waren kaum auszumachen inmitten der vielen Sträucher. Wenn sie sich nicht bewegt hätten, wäre ich glatt an ihnen vorbei gegangen.
Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen, als ich sah, wie Alessio Giaci in seine Arme zog.
Ich war zu weit weg, um von ihrem Gespräch etwas mitzubekommen, aber ich konnte sie gut sehen.
Ich erkannte das Glück in Giacis Gesichtsausdruck.
Wahrscheinlich kannte ich nun auch ihr Geheimnis.