Wenn ich auch immer noch Alessios Namen mit mir herumschleppte, so fühlte ich mich doch wie früher - eben wie Sandro.
Neben Angelina lag mir jetzt Giacis Altersfestsetzung am Herzen. Er würde sie mit Gina erleben und ich wusste, dass er sich mit ihr prima verstand und machte mir deswegen keine großen Sorgen.
Die Tatsache, dass Giaci aber schon einige Zeit eine feste Freundin hatte, war selbst mir neu gewesen.
Ich musste fast schmunzeln, dass Giaci es tatsächlich mit den Heimlichkeiten seinen Eltern gegenüber schon vor meiner Offenbarung sehr ernst genommen hatte. Dieses Geheimnis hatte er auch mir gegenüber verborgen gehalten. Das war in Ordnung, solange er er keine weiterreichenden Pläne hatte, was sich aber augenscheinlich nun bald ändern sollte.
Auch wenn ich ein wenig traurig war, dass ich das Aufwachsen unseres Sohnes nicht mit mir als Vaterfigur miterleben konnte, so war diese Zeit doch etwas ganz Besonderes gewesen, was ich wie einen Schatz in mir hütete. Wer konnte schon sein eigenes Kind auf Augenhöhe begleiten?
Selbst als er Bescheid wusste, hat er sich mir mehr anvertraut, als das vermutlich nocrmalerweise der Fall gewesen wäre. Wir teilten die kleinen Geheimnisse, die es nur zwischen befreundeten Jungs gibt - das war anders, aber auch besonders.
Mir war klar, dass sich nun bald Giacis Überlegungen unser aller Urteil stellen mussten.
Er hatte mich schon ziemlich schnell in alles eingeweiht, was ihn so beschäftigte. Nach anfänglicher Skepsis konnte ich ihm jedoch weiter folgen, als ich erwartet hätte.
Es faszinierte mich, wie seine Gedankengänge ganz anders als gewohnt an unser aller Problem herangingen. Noch konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, wie er es zu ändern gedachte. Also wie konnten wir endlich erfolgreicher als bisher werden?
Jetzt wo ich wieder als Sandro da war, konnte ich mich wie früher mit Angelina beraten und ich hoffte inständig, dass sie sich Giacis Ausführungen auch anschließen konnte.
Er würde so viel Unterstützung brauchen, damit er das weiter entwickeln konnte, jeder mehr zählte, wir standen damit ja noch ganz am Anfang.
Angelina kam gerade aus dem Bad.
»Hallo Engelchen. Du siehst wieder hinreißend aus, mein Schatz«, murmelte ich vor mich hin. Irgendwie war es noch so neu, dass ich sie wieder mit meinen Augen ansehen konnte. Es fühlte sich endlich wieder richtig an.
Ihr schien es nicht viel anders zu gehen, weil sie zunächst irritiert auf meine Worte reagierte, nun aber frech grinste.
»Das könnte an der Dusche liegen ... Giaci schläft bestimmt noch eine Weile, hast du Lust auf einen Strandspaziergang? Oder willst du gleich frühstücken?«
Ich war aufgestanden, zu ihr hinübergegangen und hatte sie in den Arm genommen. Nun gab ich ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
»Ich springe auch noch schnell ins Bad, dann können wir gern los. Ich möchte mit dir sowieso noch reden, da ist eine schöne Kulisse dazu perfekt.«
»Reden? Über was?«
Sie schaute mich fragend an.
»Giaci und seine Gedanken. Ich möchte ihm gern helfen. Bisher ist er sich noch sehr unsicher - aber lass uns das nachher besprechen, okay? Ich beeile mich.«
Es war nur ein flüchtiger Kuss, den ich ihr gab, aber sie schaute mich mit ihren blauen Augen so an, dass ich es mir fast noch überlegt hätte und sie doch lieber wieder ins Schlafzimmer dirigiert hätte. Schließlich löste ich mich doch von ihr und hörte sie nur noch leise lachen. Sie kannte mich einfach zu gut.
Am Strand gingen wir Hand in Hand. Unsere Schuhe lagen in dem kleinen Rucksack, den ich auf dem Rücken hatte, während wir mit unseren Füßen in den ankommenden Wellen am Ufer entlangschlenderten. Menschen begegneten uns kaum und wenn waren sie in ihre eigenen Gedanken versunken und schauten auf das Wasser oder suchten nach Muscheln oder guten Ideen für was auch immer.
Einen besseren Ort zum reden gab es nicht. Also fing ich an.
»Ich finde, Giaci liegt gar nicht so verkehrt mit seinen Vorstellungen. Hat er mit dir mal genauer darüber gesprochen? Mit Sophia und Gio hat er es mal versucht, aber sie haben ihn wohl ziemlich ausgebremst, daher hat er sich dann eher verschlossen.«
Angelina seufzte neben mir.
»Ich glaube, ich habe ihm erst auch nicht viel Mut gemacht. MIt der Aussage, dass die Menschen sich nicht von selbst ändern würden, nur mit guten Worten, da habe ich ihm noch zugestimmt. Aber diese Vorstellung, dass die Savantoj aktiv eingreifen sollten, damit wusste ich nicht so recht etwas anzufangen. Ich weiß nicht, was er sich damit vorgestellt hat. Wie und was sollen - und können - wir ändern? Weißt du da mehr? Ich habe nicht mehr viel aus ihm herausbekommen danach. Obwohl ich ihm gesagt habe, dass ich ihn unterstützen werde, sobald er brauchbare Ideen hat. Ich hatte den Eindruck, dass er es selbst nicht genau wusste und einfach nur etwas träumt, was sich gar nicht umsetzen lässt. Ich wollte nicht, dass er sich verrennt. Trotzdem ist ja das Nachdenken über mögliche andere Lösungen nicht verkehrt. Leider hat er sich dann mit seinen Gedanken auch von mir zurückgezogen, wenn auch nicht völlig. Hat er denn Ideen, was man machen könnte? Also ich glaube, in der Zwischenzeit sind wir alle in der Lage, wenigstens darüber zu reden. Schon allein, weil er in der Zwischenzeit erwachsen ist. Wenn er sich mit etwas beschäftigt, was ihn berührt und begeistert, dann ist er sehr ernsthaft bei der Sache. Aber ich weiß nicht, ob er da nun schon mehr Vorstellungen hat, oder ob es immer noch nur eine vage Idee ist. Wir hätten ihn nicht so bremsen sollen. Vielleicht können wir ihn trotzdem dazu bewegen, wieder mit uns darüber zu reden. Ganz allein kann es niemand schaffen.«
Ich legte den Arm um sie und zog sie ein wenig näher zu mir.
»Nein, allein kann das keiner. Aber Giaci ist nicht allein. Ich glaube an ihn, auch wenn er noch nicht richtig weiß, wohin ihn seine Gedanken führen. Es war ein vorsichtiges Vortasten. Wichtig ist jetzt nur, dass er weiß, dass er zu uns kommen kann, wenn er Hilfe braucht. Gio hat mit seiner Entschuldigung bestimmt ein Umdenken erreicht. Das war wichtig für ihn, hat man schon an seiner Reaktion gemerkt. Das hat ihn richtig beeindruckt, aber er muss das erstmal verarbeiten. Und nun gibt es da ja noch die anderen Dinge, die gerade im Vordergrund stehen. Der Abschied von Gina, auf den er nun schon eine Weile hingefiebert hat. Endlich erwachsen, gleichwertiges Mitglied bei den Savantoj - das ist ja immer das erste große Ziel. Dann beschäftigt er sich garantiert auch viel mit seiner Isabella. So schnell bin ich ihn dann wieder los - ich habe mich noch nicht mal richtig an meine Vaterrolle gewöhnt, da ist er schon in seiner eigenen Welt. Aber gut, das gehört dazu. Ich bin schon gespannt auf die Kleine.«
Angelina legte ihren Kopf an meine Schulter und wir blieben stehen.
»Ich war bestimmt nicht weniger erstaunt als du. Aber sieh es mal so - wenn Isabella die Richtige ist, bekommen wir ja nur eine Tochter dazu und Giaci wird uns deswegen nicht vergessen, nur weil er auch sein eigenes Leben führt. Wir sind ja auch nicht nur Eltern ...«
Ich schob einen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an.
»Nein, das sind wir nicht. So weit sind wir auch noch nicht mit Isabella, warten wir es einfach ab. Wir Zwei haben eine Menge nachzuholen, darauf freue ich mich auch schon sehr. Elternzeit werden wir noch oft erleben, also mache ich mir darüber keine Gedanken im Moment. Ich denke, wir warten Giacis Fest ab und sehen danach, was er sich so vorstellt. Bis dahin sollten wir ihn vielleicht nicht auch noch mit Fragen löchern, oder? Es sind nur noch ein paar Tage. Die können wir nun auch noch warten - und uns in der Zeit vielleicht anderweitig beschäftigen.«
Ich schob alle störenden Gedanken von mir. Ihr zärtlicher Blick nahm mich gefangen und alles um uns herum versank in den goldenen Strahlen der wärmenden Sonne, die uns einhüllten und zudeckten, die leisen Geräusche des heranrollenden Wassers und der zeternden Vögel, die überall in der Luft vorbeisegelten und uns so wenig beachteten wie wir sie.
Als sich unsere Lippen so sanft berührten, fühlte ich, wie ein Schauer über ihren Körper lief, der nichts mit der sanften Brise des Windes zu tun hatte.
Wie lange wir dort so eng umschlungen standen und uns küssten, weiß ich nicht.
Das überwältigende Gefühl, dass ich endlich wieder angekommen war in meinem Leben, nahm ich jedoch glücklich mit auf den Rückweg.