Sie schienen verliebt.
Es hatte mich überrascht, aber nicht schockiert. Niemand konnte vorhersehen, wie sich jemand entwickelte und welche Vorlieben er haben würde. Es war nebensächlich, aber es erklärte ihre Geheimniskrämerei, da sie sich wohl erstmal selbst über ihre Gefühle im klaren werden wollten.
Ich sprach natürlich mit Francesco darüber, später müsste ich mich auch mit Sophia und Gio auseinandersetzen.
Bisher konnte ich ja nur von einer Annahme ausgehen. Ob sie tatsächlich stimmte und wenn ja, wann sie die uns gegenüber bestätigen und offenbaren würden, war noch völlig unklar.
Francesco reagierte ähnlich überrascht.
»Ach. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Wobei es ja eigentlich aufgrund ihres Alters logisch ist, dass sie jetzt dahinterkommen könnten, jedenfalls wenn du damit recht hast. Dann können wir ja zufrieden sein, dass Sophia und Gio die offiziellen Eltern von Alessio sind. Somit gäbe es dahingehend keine Probleme von offizieller Seite, von wegen Geschwistern und so. Trotzdem. Sie sind noch sehr jung. Noch ist gar nicht gesagt, dass es stimmt oder sich das vertieft. Wir sollten in Ruhe abwarten.«
»Ja, das sehe ich genauso. Außerdem könnten wir unauffällig in Gesprächen einstreuen, wie wir alle dazu stehen. Wenn es sich dann bewahrheiten sollte, hätten sie dann vielleicht keine Bedenken, es uns auch irgendwann zu erzählen.«
»Solange sie mit der Schule klarkommen und nicht andauernd schwänzen, sollen sie ihr Geheimnis weiter hüten.«
Damit war das zunächst für uns erledigt.
Sophia und Gio lebten sich ebenfalls gut ein. Dennoch vermissten sie ihre Freunde aus der Toskana ebenso, wie ihre in der Welt weit verstreuten Kinder, gerade weil sie nun ihre lang gewohnte Umgebung verlassen mussten. Ich wunderte mich daher nicht, dass sie Maria und Marcella einluden, uns in Praia da Manta Rota zu besuchen.
Maria brachte ihre Freundin mit und deren Schwester Ricarda, Marcella kam ohne ihren Mann, der war beruflich unterwegs und unabkömmlich.
Ambra war der Mittelpunkt allen Interesses, denn die kleine Schwester hatten sie bis dato noch nicht kennengelernt.
Giacomo und Alessio waren fast genauso aufgeregt, wie Amber, hätten es aber im Leben nicht zugegeben. Trotzdem kamen sie nach der Schule auffällig schnell nach Hause, um die Ankunft bloß nicht zu verpassen.
Francesco freute sich, dass er Maria wiedersah. Es verband uns eine gemeinsame, schöne Zeit, an die wir uns gern zurück erinnerten. Auch Marias langjährige Freundin Isabella war uns bekannt, nur Ricarda kam neu dazu. Als sie endlich eintrafen, lagen wir uns nacheinander alle in den Armen. Die Jungs besahen sich das kopfschüttelnd und gaben nur die Hand, aber grinsten freundlich. Zu mehr wollten sie sich nicht hergeben, aber das war völlig in Ordnung.
Marcella und Ricarda sollten bei uns schlafen für die Tage, damit es bei Gio und Sophia nicht zu voll wurde in der Wohnung. Wir mussten alle zusammenrücken, aber das bekamen wir hin. Gegessen wurde allerdings meistens bei meinen Zieheltern, die waren solch große Gelage eher gewohnt, aber wir halfen alle mit.
Francesco war mit Feuereifer dabei. Ein wenig amüsiert beobachtete ich ihn dabei, als er überall und nirgends helfen wollte, meistens dabei aber eher im Weg stand. Allerdings beschwerte sich niemand darüber.
»Magst du Amber rüberschicken? Dann behalte ich alle Kinder hier, während ihr da drüben werkelt.«
Angelina sah Francesco fragend an. Der war sofort einverstanden.
»Gute Idee! Ich schick sie gleich zu dir«, gab er zurück und wollte umgehend los, aber ich hielt ihn noch auf.
»Frag doch Marcella und Ricarda, ob sie auch hierher kommen wollen. So viele müssen ja nicht mithelfen, oder?«
Schlagartig hielt Francesco inne und ich sah ihm an, dass ihn irgendwas daran nicht gefiel. Er überlegte kurz, nickte dann aber.
»Ja gut, ich frage sie.«
Damit verschwand er auch schon und ich rief die Jungs zu mir, damit ich sie darauf einstimmen konnte, dass sie gleich mit Amber spielen sollten, damit sie sich nicht so überflüssig vorkam. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen, aber sie fügten sich. Sie mochten Amber beide, aber manchmal war der kleine Wirbelwind selbst für die Jungs ein wenig zu viel.
Es dauerte nicht lang, dann kamen Marcella und Amber in die Küche.
»Hey, wir haben gehört, dass hier weniger Hektik ist. Wollen wir Limonade machen? Das Essen wird ja bei Sophia vorbereitet.«
Marcella lachte, als Giaci nach Ambers Hand griff und sie einfach mit in sein Zimmer zog. Scheinbar hatten sie sich schon Gedanken gemacht, was sie mit ihr spielen konnten, ohne dass sie alles durcheinander brachte.
Ich lächelte Marcella an.
»Hast du richtig vernommen. Ja, lass uns Limonade machen. Ich habe vorhin noch frische Zitronen vom Markt mitgebracht. Damit haben wir genug zu tun und können endlich mal wieder in Ruhe quatschen. Du musst unbedingt erzählen, wie es euch ergangen ist und wie ihr lebt. Habt ihr schon Kinder geplant?«
Ich hatte während meiner Rede schon die Utensilien aus den Schränken hervorgeholt, die wir für die Limonade brauchten.
Wir verstanden uns auf Anhieb wieder so wie früher, arbeiteten Hand in Hand und redeten über die vergangenen Jahre. Das Thema Sandro schloss ich wohlweislich aus, denn es hätte mich gleich aus der schönen Stimmung hinauskatapultiert. Aber mit Alessio und Giacomo gab es genug zu besprechen, was mir auch großen Spaß machte. Marcella erzählte mir viel von ihrem Mann, dem Auftrag, den er gerade ausführte und dass sie später Sophia und Gio noch eröffnen wollte, dass sie ihr erstes Kind erwarteten. Klar, dass sie nun hoffte, dass ihr Mann bald wieder heimkehren würde, aber wenn alles klappte, sollte das schon in wenigen Wochen der Fall sein.
»Dann werden sie Großeltern, das wird sie sehr freuen!«
Ich umarmte und beglückwünschte sie - die Überraschung war ihr gelungen. Ich war gespannt, ob Sophia schon etwas ahnte. Sie hatte ja einen sehr geschulten Blick für so etwas. Andererseits war sie natürlich durch die Aufregung ziemlich abgelenkt.
Als wir mit der Limonade fertig waren, gingen wir hinüber ins Kinderzimmer. Es sah so schön aus, wie sie alle auf dem Boden saßen und sich über ein Puzzlespiel beugten, gemeinsam die richtigen Teile suchten, um sie in der Mitte einzufügen. Fast zu schade, um sie zu stören.
Giaci und Alessio steckten die Köpfe zusammen und betrachteten sehr angestrengt ein Teil, dass Alessio in der Hand hochhielt. Dann setzte Alessio es in das Bild ein und es passte. Giaci klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und Ambra quietschte zustimmend.
»Es passt! Gleich haben wir es geschafft!«
Ich zog Marcella von der Tür weg. Wir konnten sie ruhig noch zu Ende spielen lassen.
Es wurde ein traumhafter Nachmittag und Abend. Wir lachten viel und erzählten uns Anekdoten aus der Vergangenheit. Die Kinder hörten staunend zu. Ich und auch Franceso und Marcella, wir dachten auch daran. dass einige unserer Liebsten leider nicht dabei waren, aber überwiegend genossen wir es, mal wieder in geselliger Runde eine schöne Zeit zu verbringen.
Selbst Giaci und Alessio fühlten sich wohl und kamen sich schon sehr erwachsen vor, als sie abends länger aufbleiben wurden. Nur Amber wurde von Sophia etwas früher ins Bett geschickt. Sie war einfach müde und hatte gar nichts dagegen.
Für die nächsten Tage hatten wir einige Ausflüge auf dem Programm. Am Wochenende ganztägig, danach teilweise nur am Nachmittag, damit die Kinder teilnehmen konnten. Sie freuten sich schon darauf und wir Erwachsenen nicht minder.
Die Neuigkeit mit ihrer Schwangerschaft erzählte Marcella ihren Eltern noch am selben Abend und die Freude war natürlich groß.
Als ich abends im Bett lag, dachte ich, dass wir es hier als neuen Wohnort ganz gut getroffen hatten. Trotzdem vermisste ich die Toskana, aber ich wusste ja, dass ich irgendwann heimkehren würde.
Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief ich nach einem ereignisreichen Tag endlich ein.