Sandro und ich überlegten uns gerade, was wir mit dem Nachmittag noch anfangen konnten, als es plötzlich Sturm klingelte.
Erstaunt sahen wir uns an, dann liefen wir beide in den Flur, ich riss die Tür auf.
Außer Atem, leichenblass und eindeutig zutiefst verstört stand eine junge Frau dort. Abgehackt brachte sie gerade noch heraus:
»Giaci ... Sie müssen mitkommen.«
Mein Herz setzte aus, dann klopfte es umso wilder.
»Was ist passiert? Wo ist er?«, rief ich und griff nach dem Arm des Mädchens.
Sandro hatte sich schon Schlüssel und Handy gegriffen und schob mich hinaus.
»Isabella, richtig?«, fragte er hastig.
Sie nickte zitternd. Er nahm uns rechts und links an die Hand und wir rannten hinaus. Isabella versuchte uns auf den neuesten Stand zu bringen.
»Er hatte keinen Unfall, auch wenn er plötzlich zusammengebrochen ist. Er kam auf mich zu und dann ...«
»Was ist genau passiert?«, versuchte es Sandro wieder, während wir die Straßen entlangliefen in Richtung Strand.
Erschreckend war, dass wir dort viele Blaulichter sahen und Sirenen hörten von Polizei und Feuerwehr, was uns zusätzlich erschreckte, während Isabella versuchte, den Unfall des Lastwagens zu schildern.
Ich sah nach vorn, immer wieder ängstlich zu Isabella und Sandro und suchte verzweifelt nach Giaci. Kaum waren wir am Strand eingebogen, sah ich den Rettungssanitäter, der bei Giaci kniete. Ich war erleichtert, erstens, weil nur einer bei ihm war, was bedeuten musste, dass ihm nichts Ernsthaftes zugestoßen war und zweitens, dass wir ihn endlich gefunden hatten.
»Da ist er - seht doch!«
Ich rannte vor, die beiden anderen hörte ich hinter mir folgen.
Ich sank neben Giaci in den Sand, schaute auf sein blasses Gesicht, seine noch geschlossenen Augen.
»Was ist mit ihm?«, rief ich atemlos.
»Sie sind ...?«, fragte der Rettungssanitäter routiniert und brachte mich damit einen Moment aus dem Konzept.
»Die Eltern und seine Freundin. Aber was ist nun mit ihm?« Ich wollte endlich eine Antwort, da flatterten die Lider von Giaci. Ich starrte dahin und nahm die Antwort des Sanitäters regungslos entgegen, weil ich nur auf Giacis Augen sah, während Sandro und Isabella auch ankamen und zuhörten.
»Vitalwerte sind alle in Ordnung. Warum er das Bewusstsein verloren hat, weiß ich nicht. Aber er scheint gerade aufzuwachen ...«
Er kontrollierte seine Geräte, die er an Giaci angeschlossen hatte und nickte zufrieden.
Giaci blinzelte.
Fragend ging sein Blick von einem zum anderen, dann konnte man sehen, wie er sich erinnerte und er Ausschau nach Isabella hielt. Ein erleichtertes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
Ich griff nach seiner Hand, Sandro strich ihm über den Kopf und Isabella stand hilflos daneben, atmete aber auf, als er sie anlächelte.
»Was ist mit dir? Warum bist du einfach umgekippt?«, fragte Bella das, was uns alle brennend interessierte.
Giaci zog die Schultern kurz hoch, dann aber kam ihm wohl eine Erinnerung und sofort verzog er wieder schmerzerfüllt das Gesicht.
Sandro fragte sofort nach.
»An was denkst du? Schieb es weg, schnell!«
Er hatte nun nach seiner Schulter gegriffen und drückte diese energisch. Giaci sah ihn an und es kostete einige Sekunden, bis er Sandros Anweisung folgen konnte.
»Hast du es auch gesehen, Angelina?«, fragte mich Sandro und ich nickte wortlos, blickte kurz zu ihm hoch.
»Was gesehen?«, fragte Isabella ängstlich nach, aber wir schüttelten synchron nur den Kopf.
»Später, Bella, nicht jetzt«, murmelte ich nur.
Sie sagte nichts mehr, war aber verwirrt, was ich ihr nicht verdenken konnte. Nur vor dem menschlichen Sanitäter wollten wir nicht darüber sprechen.
Giaci hatte, wie erwartet ein rotes Licht in seinen Augen. Weil wir dieses Licht selbst hatten, konnten wir das auch bei ihm sehen. Aber in dem Moment, wo sich Giaci erinnert hatte, an was er dachte, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, drohte er gleich wieder zu kollabieren. Das hatte Sandro sofort erkannt. In Giacis Augen hatte sich das rote Licht in ein goldenes verwandelt - wir hatten es beide gesehen!
Bella nicht, weil sie ihre Altersfestsetzung noch vor sich hatte.
Ich merkte, wie Sandro sich leise mit dem Sanitäter unterhielt. Es ging darum, ob wir Giaci mit nach Hause nehmen konnten. Da er keinerlei Verletzungen aufwies und offensichtlich wieder gut beisammen war, gab der Sanitäter widerstrebend nach, nachdem nach ihm gerufen wurde, um bei dem verletzten LKW-Fahrer mitzuhelfen. Er nahm Sandro noch das Versprechen ab, dass wir gut auf ihn achten und ihn nicht ohne Aufsicht lassen sollten und machte sich dann mit seinen Gerätschaften auf den Weg zu dem eigentlichen Unfallort.
Wir kümmerten uns um Giaci, der noch etwas verwirrt auf dem Strand saß, aber ansonsten wieder völlig klar war.
»Lasst uns erstmal nach Hause gehen. Da können wir über alles reden, einverstanden?«, fragte Sandro halblaut. Ich nickte und gemeinsam mit Bella, zogen wir Giaci an den Händen hoch in die Senkrechte.
Sandro stützte ihn, während wir uns auf den Rückweg machten. Zum Unfallort warf ich nur einen kurzen Blick, aber das meiste würde uns Giaci erzählen müssen und helfen konnten wir dort sowieso nicht, dann brauchten wir da auch nicht herumzustehen.
Außerdem brannte es mir unter den Nägeln, diese merkwürdige Ohnmacht von unserem Sohn zu ergründen, denn irgendeine Ursache musste es dafür geben. Dieses merkwürdige Licht, das jetzt wieder verschwunden war, wollte ich auch dringend entschlüsseln und ich wusste, dass es Sandro ebenso erging.
Schon nach wenigen Schritten ging Giaci wieder sicher an unserer Seite, aber Sandro ließ ihn dennoch nicht los. In seinem Gesicht konnte ich lesen, dass er schon eine Vermutung hatte und deswegen besonders vorsichtig blieb. Behutsam tastete ich mich in seinen Kopf vor.
Bist du besorgt?
Er warf mir einen kurzen Blick zu und nickte unmerklich.
Ist Giaci in Gefahr?
Vermutlich nicht, aber ich will es genau wissen. Warte, bis wir daheim sind, okay?
Jetzt nickte ich zustimmend.
Giaci hatte Bella an die Hand genommen. Ich nahm an, dass sie sich etwas deplatziert vorkam, aber wir bezogen sie mit ein.
»Bella, habt ihr miteinander gesprochen, bevor es passiert ist?«, fragte ich sie leise. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich mir zu.
»Nein, wir liefen aufeinander zu, als wir uns entdeckt hatten. Dann hat er plötzlich das Gesicht verzogen und fiel hin.«
»Giaci - nicht daran zurück denken, bis wir in der Wohnung sind! Das ist wichtig!«, schaltete sich Sandro sofort ein und Giaci reagierte umgehend und begann unzusammenhängendes Zeug daher zu reden.
Er rezitierte schließlich seine Prüfungsaufgaben mit der entsprechenden Lösung, was nicht die schlechteste Idee war, weil er sich damit auf etwas gänzlich anderes konzentrieren musste.
Auf diese Art und Weise kamen wir nach eniger Zeit endlich in der Wohnung an. Damit konnten wir uns darauf konzentrieren, wie wir Giaci helfen konnten. Wobei wir als erstes wissen mussten, was genau es ausgelöst hatte - und was es bewirkt hatte.
Wir setzten ihn in einen Sessel und standen zunächst etwas ratlos um ihn herum.
»Setzt euch um Gottes Willen, ihr macht mich nervös«, brummte er schließlich, woraufhin Bella unsicher lachte.
Als wir ihm gegenüber saßen, forderten wir ihn auf, zu erzählen was passiert war.
»Ich hatte mich mit Bella am Strand verabredet und war auf dem Weg dahin. Als ich über die Straße ging, brach plötzlich eine Ecke vorher dieser Tanklastwagen aus und überschlug sich - Richtung Strand. Da bekam ich Angst um Bella und rannte wie verrückt los. Kaum war ich auf der Promenade konnte ich sie sehen. Sie war unverletzt, also beruhigte ich mich wieder. Nur dann fiel mein Blick auf den verunglückten Wagen und dann wurde es verrückt.«
Hier machte er eine bedeutungsschwere Pause. Dann erzählte er endlich weiter.
»Ich konnte den Wagen erkennen und den Tank, der kaputt gegangen war bei dem Unfall. Die Ladung mit Treibstoff sickerte unaufhörlich auf den Strand und sickerte ein und dann kam dieses ohrenbetäubende Geräusch, immer lauter, bis ich es nicht mehr aushalten konnte und zusammenbrach.«
Ich sah zu Sandro hinüber, der genauso ratlos schaute wie ich.
Nicht nur das goldene Licht in Giacis Augen stellte uns alle vor Rätsel, weil wir nicht wussten, was es bedeutete. Nun hatten wir es auch noch mit einem Geräusch zu tun, das scheinbar nur Giaci gehört hatte und ihm gefährlich werden konnte.
Plötzlich hielt sich Giaci mit schmerzerfülltem Gesicht die Ohren zu. Er blinzelte uns entgeistert an. Wir erkannten das goldene Licht, bevor Giaci uns erneut vom Sessel rutschte.
Bella sprang entsetzt auf und weinte.