Es wäre perfekt gewesen, wenn Giaci nicht am Ende noch so emotional geworden wäre. Aber ich konnte ihn so gut verstehen, denn er musste sich so lange zusammennehmen und zurückhalten und plötzlich war alles über ihm zusammengebrochen. Wobei das Größte war wohl, nach seinem Vater, dass Gio sich entschuldigt hatte. Das zog ihm dann endgültig den Boden unter den Füßen weg.
Letztendlich hielten wir uns alle gemeinsam in den Armen, bevor wir uns in unsere Wohnungen zurückzogen. Jeder musste diese Neuigkeiten erstmal für sich selbst verdauen. Am späten Nachmittag wollten wir uns wiedertreffen, bis dahin sollten sich die Gemüter wieder beruhigt haben. Giaci verkroch sich in sein Zimmer, Sandro und ich blieben im Wohnzimmer. Wie in alten Zeiten kuschelten wir uns aneinander auf dem Sofa. Die Fenster weit geöffnet, hingen wir einige Minuten unseren Gedanken nach.
»Wie geht es Dir jetzt?«, fragte Sandro schließlich leise in meine Haare hinein, weil er mich so eng an sich gezogen hatte, als wenn er mich nie wieder loslassen wolle.
Ich seufzte.
»Unwirklich. Als wenn diese letzten Jahre nur ein böser Traum gewesen wären. Wenn ich das hier geahnt hätte, wäre mir alles leichter gefallen. So war ich immer nur froh, dass immer jemand da war, der mir geholfen hat, wenn ich nicht mehr weiter wusste. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, alles ohne dich zu schaffen. Schaffen zu müssen. Mein einziger Lichtblick war immer Giaci.«
Sandro verzog sein Gesicht zu einem Lächeln, wie ich mit einem kleinen Seitenblick feststellen konnte.
»Ich wusste, dass du in der Mutterrolle aufgehen würdest. Ich bin sehr stolz auf dich, weil du das alles so perfekt geschafft hast, trotz der traurigen Umstände. Giaci ist ein Prachtjunge - auch wenn er nun schon so schnell seine eigenen Wege gehen wird.«
Er wirkte fast ein wenig verlegen, als er plötzlich das Thema wechselte.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie es mir ging, als ich in das Alter kam, mit einem Mädchen mehr anfangen zu wollen, als nur joggen oder ins Kino zu gehen. Dann kamt ihr mit diesen ganzen Vorschlägen für Studpartneros für mich an und ich dachte, ich drehe durch, weil ich doch nur dich wollte. Ich war kurz davor, alles zu beichten, aber dann sah ich wieder Giaci an und ...«
Es klingelte.
Wir sahen uns ratlos an.
»Noch nicht genug Neuigkeiten für einen Tag?« Sandro zuckte mit den Achseln.
Dann hörten wir einen Schlüssel im Schloss.
»Angelina?«, tönte es fragend aus dem Flur.
Ich sprang auf und lief hinaus.
»Francesco!«
War dieser noch mit vorsichtger Miene in den Flur getreten, hellte sich diese sofort auf, als er in mein strahlendes Gesicht blickte und ich ihm lachend um den Hals fiel.
»Ich dachte, du kommst erst morgen wieder. Wie kommt es denn, dass du schon wieder da bist?«
Verlegen erwiderte er meine Umarmung.
»Ich dachte, du würdest vielleicht seelische Unterstützung brauchen, weil doch heute ...«
Er brach ab, als Sandro, respektive Alessio, zu uns in den Flur trat. Irritiert schaute er erst ihn dann mich an.
»Was ist passiert?«, fragte er vorsichtig.
Ich zog ihn lächelnd zu Sandro.
»Er ist wieder da - Sandro. Erkennst du ihn wieder?«
Verblüfft starrte Francesco zu ihm, schüttelte dann den Kopf.
»Ist nicht wahr ... du warst ... bist ...?«
»Ja, Francesco, es hat ja lange gedauert, aber nun haben wir es gemeinsam endlich geschafft, wieder eine Familie zu werden.«
Francesco wurde blass, dann aber schlich sich ein ehrliches Lächeln über sein Gesicht und er nahm Sandro herzlich in den Arm.
»Willkommen zurück, Sandro! Die Überraschung ist dir allerdings gelungen. Da war die ganze Aufregung fast für umsonst.«
Er drehte sich zu mir um und zog mich wieder in eine Umarmung.
»Ich freue mich so für euch!«
»Wir nehmen dich nachher mit - wenn wir bei Gio und Sophia feiern gehen. Hast du Lust?«
Natürlich sagte er zu.
****
Gegen fünf Uhr am Nachmittag fanden wir uns alle nebenan ein.
Francesco und Giaci begrüßten sich sehr liebevoll, was Sandro zufrieden registrierte.
In gelöster Stimmung tauchten wir bei unseren besten Freunden auf - genug Grund zum Feiern gab es ja.
»Was habt ihr nun für Pläne?«, fragte Sophia uns nach einer Weile.
Sandro warf mir einen Blick zu, dann gab er die Antwort für uns.
»Vermutlich bleiben wir noch eine Weile hier. Aus verschiedenen Gründen, wegen euch, aber auch wegen Giaci, bis der weiß, was er tun will in Zukunft. Aber irgendwann werden wir in die Toskana zurückkehren. Angelina und ich hängen zu sehr daran.«
Gio und Sophia lächelten sich an.
»Das können wir gut verstehen und uns geht es genauso. Nur dass wir noch etwas länger warten müssen, bevor wir wieder zurück können. Giaci - wenn du nächste Woche nun "erwachsen " wirst, was hast du für Ambitionen?«
Eine feine Röte überzog Giacis Gesicht. Verlegen schaute er erst auf den Boden, erst zu Sandro, mir und schließlich auch zu Gio und Sophia.
Dann holte er tief Luft.
»Ich werde in jedem Fall noch eine Weile hier bleiben. Es gibt da einen guten Grund für. Ich habe ein Mädchen kennengelernt, das mir sehr viel bedeutet. Sie ist zwei Jahre jünger als ich und deswegen ... wird das mit ihrer Altersfestsetzung wohl noch ein wenig dauern. Ich will ihr da jedenfalls keinen Druck machen und werde geduldig warten. Noch kann ich natürlich nicht sagen, wie lange das dauern wird, aber danach sehen wir erstmal, wo sie leben möchte und ob wir dann immer noch sicher sind, dass wir zusammen bleiben wollen.«
Ich starrte ihn an, sah in Sandros erstauntes Gesicht und fragte leise: »Hast du davon gewusst?«, was er mit einem grinsenden Kopfschütteln beantwortete. Dann meinte er lakonisch:
»Wir kommen heute nicht aus den Überraschungen heraus. Wie heißt sie denn? Bring sie doch gern mal mit, damit wir sie auch kennenlernen können.«
Giaci war es etwas unangenehm, dass er plötzlich so im Mittelpunkt stand, nun musste er sich den Fragen stellen. Aber seine Augen leuchteten so sehr, dass mir klar war, dass es in ihm brannte, endlich auch dieses Geheimnis zu lüften.
»Sie heißt Isabella. Mit dem Besuch wollte ich warten, bis mein Vater auch dabei sein kann.«
Er warf Sandro einen treuherzigen Blick zu, ich konnte seine Beweggründe so gut nachempfinden. Auf diese Art und Weise konnte er seine komplette Familie vorstellen. Jetzt stand dem ja nichts mehr im Wege und wir würden sie bald kennenlernen. Ich für meinen Teil war schon wahnsinnig gespannt auf Giacis heimliche Liebe, gerade nachdem ich ihn so lange an Alessios Seite gesehen hatte, worüber ich jetzt nur noch leise schmunzeln konnte.
Wie schnell sich alles geändert hatte - an nur einem einzigen Tag.
Ich lehnte mich ein wenig zurück und genoss den Anblick unserer Gruppe, die mich sehr daran erinnerte, wie ausgelassen wir oft in der Toskana gefeiert hatten, wie friedlich alles gewesen war und fröhlich, unbeschwert.
So schnell wie ein Unglück in ein Haus einziehen konnte, so rasch konnte einem das Schicksal auch wieder das Glück bescheren.
Ich wollte es festhalten, obwohl ich wusste, dass das nicht funktionierte. Aber ich hatte begriffen, dass auch nach den schwärzesten Tagen wieder die Sonne aufging.
Ich war so froh, dass heute einer dieser Sonnentage war.