Es war Nacht. Der Mond am Himmel wurde teilweise von Wolken verdeckt. Nur spärlich drang sein Licht bis zu den beiden unter der Brücke stehenden Männer. Nebel stieg vom Wasser auf, das wie Silber im Mondschein glitzerte. Auch der Schein der Gaslichter auf der Brücke erreichte den Grund nicht, dazu waren die Lampen zu schwach. So waren die beiden schwarz gekleideten Gestalten am Ufer der Themse so gut wie unsichtbar. Nur dunkle Schemen waren erkennbar.
Wellen schlugen gegen die Steine, die den Fluss nahe einer der vielen Brücken Londons begrenzten und nässten die ledernen Schuhe der Männer. Doch die schien die Feuchtigkeit nicht zu stören. Sie blickten auf das Bündel zu ihren Füßen hinab. Im Dämmerlicht war dies sogar von den beiden Heimlichtuern kaum zu erkennen. Außenstehende mochten denken, es handele sich um einen Felsbrocken, der wie von Geisterhand an dieser Stelle abgelegt und nun vom brackigen Wasser des Flusses umspült wurde. Doch es war ein Mensch, der verborgen in einem riesigen Tuch, vor den Augen nicht eingeweihter Personen geschützt wurde.
Zu Füßen der beiden Gauner lag Rowan Clark, der Boss einer Gang namens Wild Wolves, der schon lange Zeit ein Dorn im Auge des Chefs der Gang Black Ravens Stanley Brown war. Revierkämpfe und Kämpfe um Vorrechte in Hurenhäusern waren seit Langem an der Tagesordnung. Derweilen gab es Duelle unter den Gangmitgliedern, die nicht immer unblutig ausgingen. Nur mit Revolvern wurde nicht geschossen. Das Privileg beanspruchte Stanley Brown. Er besaß als Einziger eine Schusswaffe, die er hin und wieder auch benutzte.
Nun hatte Stanley kurzen Prozess gemacht und seinen Konkurrenten mit einem gezielten, hinterhältigen Schuss ins Herz ins Jenseits befördert. Nur von der Entsorgung der Leiche hielt Brown nicht viel. Das überließ er lieber seinen Handlangern. Die sollten sich die Hände dreckig machen und nicht er. Dass er seinen Gegner selbst erschoss, grenzte bereits ans Unmögliche. Doch persönliche Rache war ihm weitaus wichtiger.
Auch wenn es darum ging, der Obrigkeit Rede und Antwort zu stehen, hielt sich Stanley Brown im Hintergrund. Für was hatte er Leute, die für ihn den Hals riskierten. Verschwanden welche hinter Gittern oder wurden aufgeknüpft, wurden kurzerhand neue rekrutiert. So wie die beiden Männer, die nun die Leiche verschwinden lassen mussten, ohne dass man ihnen auf die Schliche kam.
„Was meinst du“, flüsterte der eine Handlanger dem anderen zu. „Sollen wir den Typen einfach hier entsorgen, oder doch lieber wieder wegbringen und im Park vergraben?“ Während er sprach, kräuselte sich fragend seine Stirn.
„Bist du blöd?“, schimpfte sein Kumpan aufgebracht. „Ich schleppe den Toten doch nicht umsonst hierher. Der Fluss ist genau richtig, ihn auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen. Außerdem hat es der Boss so bestimmt. Wo kämen wir denn hin, einfach seine Befehle zu missachten!“
„Na ich weiß nicht“, echauffierte sich der erste. „Was ist, wenn der Fluss den Toten wieder ausspuckt? Dann haben wir die Arschkarte gezogen. Stanley ist schön außen vor, während wir die Drecksarbeit machen müssen. Was ist, wenn wir beobachtet wurden?“ Ängstlich blickte er sich um.
„Ach, du und deine ewigen Unkenrufe. Was soll schon geschehen? Niemand hat uns gesehen“, meinte der andere leise lachend. „Und wenn, es ist dunkel. Wer soll uns schon erkannt haben. Außerdem gibt es nicht den kleinsten Zusammenhang zwischen der Leiche und uns. Wir kannten den Typen nicht einmal.“ Ehe er weitersprach, blickte er sich um. „Du weißt, das hier ist unser Gesellenstück. Wir müssen das ordentlich zu Ende bringen. Erst dann sind wir vollwertige Mitglieder der Black-Raven-Gang. Oder willst du für immer und ewig am unteren Ende der Hierarchie herumdümpeln.“ Er schnäuzte aus. „Dazu habe ich keinen Bock. Ich will aufsteigen.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, wisperte sein Freund. „Dann lass es uns endlich zu Ende bringen und nach Hause gehen. Der Boss liegt bestimmt schon mit seiner Hure im Bett und vergnügt sich, während wir…“ Er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.
„Halt endlich dein Maul und tun wir, was uns aufgetragen wurde“, unterbrach ihn sein Kompagnon erbost. Er bückte sich nach dem Bündel und zerrte daran. „Heilige Scheiße, ist der schwer. War der schon immer so schwer?“, knurrte er. „Nun hilf schon!“
Ächzend zerrten die beiden Gestalten das Bündel über die Steine bis an den Rand des Flusses. Die Strömung war hier stark. In der Hoffnung, den Leichnam endgültig entsorgen zu können, schubsten sie ihn in die Fluten. Ein leises Plätschern zeugte vom Erfolg. Es gluckerte, kleine Bläschen stiegen auf, während der Tote von der Strömung mitgerissen wurde und langsam in den Fluten der Themse versank.