Die Droschke, die die Polizeiinspektoren nutzten, um schnell zu einem Tatort zu kommen, stand glücklicherweise vor dem Revier und war verfügbar. Inspektor Andrews nannte das Ziel und schon ging es los. „Diesmal aber gesittet fahren. Das letzte Mal sind wir beinahe zu Tode gekommen“, warnte er den Kutscher, der das Gefährt lenkte. Der Mann grinste daraufhin nur und fuhr mit gemächlichem Tempo durch die Straßen.
So kamen Inspektor Andrews und der Constable mit heilen Knochen und ohne andere Blessuren am Themseufer an. Der Fundort der Leichen war noch abgesperrt. Kein Mensch war zu sehen, die Neugierigen fanden es wohl nicht mehr interessant genug, nachdem die beiden Toten abtransportiert worden waren.
Andrews sah sich um. Um den Tatort herum waren unzählige Fußspuren zu sehen. „Ob wir hier etwas finden?“, murmelte er unwillig und suchte weiter.
Auch Constable Williams hielt die Augen offen.
Als erstes schauten sie sich die Fußspuren an. „Hier fand eindeutig ein Kampf statt. Es waren mindestens vier Personen, wovon zwei höchstwahrscheinlich die Toten waren. Sie müssen sich sehr gewehrt haben. Der Erdboden ist an dieser Stelle recht aufgewühlt. Das kommt nicht nur vom Flusswasser, das hier wohl manchmal herüberschwappt“, fasste Inspektor Andrews die Sachlage zusammen. Constable Williams schrieb die Erkenntnisse in sein Notizbuch, um kein einziges Detail zu vergessen.
„Ich habe hier noch Blut gefunden“, sagte er und zeigte auf einen Stein am Boden, sowie einen etwas größeren Fleck, der nicht mehr richtig sichtbar war. Nur wenn genau geschaut wurde, war dieser erkennbar.
Der Inspektor bückte sich und schaute sich den Stein an. „Den nehmen wir mit. Ob es das Blut von einem der Opfer ist, wissen wir allerdings nicht. Aber höchstwahrscheinlich ist es das Blut eines der Opfer. Es fiel wohl mit dem Kopf auf diesen Stein, wurde durch den Aufprall ohnmächtig oder war sofort tot. Der Täter nahm an, es lebt noch und hat es zur Vorsicht erdrosselt. Wenn der eine Tote auf den Stein gefallen sein sollte, dann müsste dies mit der offenen Stelle am Kopf übereinstimmen.“
„Hier führen noch Fußspuren vom Tatort weg“, sagte Williams. „Sie gehen zum Flussufer hin. Es könnte sein, sie sind mit einem Boot angekommen und auch wieder weggefahren.“
„Sie haben Recht. Ob alle zusammen hergekommen sind?“
„Wer weiß“, erwiderte Williams. „Ich glaube aber, das tut nichts zur Sache. Wir wissen nur, zwei der mindestens vier Personen, die hier waren, sind tot.“
Andrews nickte darauf nur. „Suchen wir weiter“, sagte er dann.
Während die beiden Polizisten ihre Arbeit taten, kam ein weiterer Constable dazu. „Das ist ein Tatort! Was tun sie hier?“, fragte der.
„Wir tun unsere Arbeit“, antwortete Andrews, der wie Constable Williams immer in Zivilkleidung seinen Job verrichtete.
„Ich sagte bereits, das ist ein Tatort“, wiederholte der fremde Constable. „Sie haben hier nichts zu suchen.“
„Wer bestimmt das?“, erwiderte Andrews und beachtete den anderen einfach nicht. Er ließ sich ungern von der Arbeit abhalten und von vorwitzigen Constables, die er nicht kannte, erst recht nicht.
„Ich bin Constable Freeman vom Polizeirevier in der Kensington Street“, antwortete der Constable. „Ich habe den Befehl, darauf zu achten, dass niemand unberechtigterweise herumschnüffelt.“
„Mir doch egal“, murrte Andrews. „Und wir haben den Befehl, uns hier umzusehen. Von ihnen lassen wir uns nicht abhalten. Aber wieso sind sie von der Kensington Street hier? Die beiden Leichen wurden in unser Revier gebracht. Also sind wir zuständig.“
„Das wusste ich nicht“, erwiderte Freeman. „Mir wurde nur gesagt, dass noch jemand kommt und sich genauer umschaut. Dass sie das sind, sagte niemand. Ich wusste auch nicht, dass die Leichname zu ihnen gebracht wurden und sie nun zuständig sind.“
„Außerdem ist diese Gegend unser Bezirk“, sagte Andrews. „Weshalb sind sie eigentlich vor Ort, wenn ihr Revier nicht zuständig ist?“, wollte er noch wissen.
„Ich war gerade in der Nähe, als die Toten gefunden wurden. Daher dachte ich, die Zuständigkeit liegt in meinem Revier“, sagte Freeman.
„Falsch gedacht“, erwiderte Inspektor Andrews. „Sie können jetzt gehen. Wir brauchen sie nicht mehr. Danke, dass sie aufgepasst haben.“
„Aber…“, wollte Freeman widersprechen.
„Das Revier in der Baker Street ist für diese Gegend zuständig. Also gehen sie bitte und lassen sie uns in Ruhe unsere Arbeit tun.“
„Aber…“, stammelte Freeman erneut.
„Wenn jemand fragen sollte, berufen sie sich auf mich. Ich bin Inspektor Theodore Andrews vom Revier in der Baker Street.
„Ja, Sir, danke, Sir“, erwiderte Freeman und salutierte. „Ich gehe dann man mal.“ Sagte es und entfernte sich.
„Komischer Typ“, sagte Andrews kopfschüttelnd zu Constable Williams, nachdem der Mann gegangen war.
„Sir, ich habe noch etwas gefunden“, rief Williams plötzlich aufgeregt.
„Zeigen sie mal“, antwortete Andrews.
„Das habe ich hier an diesem Stein gefunden“, sagte Williams und reichte seinem Chef einen Fetzen Papier, auf dem etwas geschrieben stand. Die Schrift war etwas verwischt, da das Papier feucht geworden war. „Was mag das wohl heißen?“, murmelte er. „Schauen sie bitte mal. Können sie etwas entziffern?“
„Ich weiß auch nicht“, erwiderte Williams, nachdem er sich das Papier noch einmal genauer angeschaut hatte. „Lassen wir es im Revier trocknen. Wenn wir Glück haben, können wir danach die Buchstaben entziffern.“
„Williams, wenn ich sie nicht hätte“, erwiderte Inspektor Andrews, worauf der Constable schon wieder rot wurde.
Die beiden Polizisten suchten weiter. Sie fanden noch einen Knopf mit einem Ornament, sonst nichts, was auf die Identität der Toten hinwies.
„Ich glaube, wir werden nichts weiter finden“, sagte Andrews und trat ans Flussufer. Nachdenklich blickte er auf das dunkle Wasser, dessen Wellen leise ans Ufer plätscherten. Williams stellte sich neben ihn und tat es ihm gleich.
„Ich frage mich immer noch, ob die Morde in Zusammenhang stehen“, sagte Andrews wie nebenbei.
„Hm“, machte der Constable nur. „Wie ich schon sagte, es ist eigenartig, dass die letzten beiden Toten just an der Stelle gefunden worden, wo die erste Leiche angespült wurde. Die erste wurde definitiv nicht hier getötet, die letzten beiden aber. Was will uns der Mörder damit sagen? Oder anderen sagen?“
„Wenn ich darauf nur schon eine Antwort wüsste“, meinte Andrews darauf und kratzte sich am Kopf.
„Machen wir weiter?“, fragte Constable Williams. Während er sprach, stupste er mit dem Schuh einen Stein weg. „Was haben wir denn da?“, sagte er plötzlich und bückte sich. Neugierig schob er den Stein noch weiter weg und buddelte mit der Hand etwas tiefer. Ein Griff kam zum Vorschein, der vorher vom Stein und etwas Erde bedeckt war. Williams zog am Griff und förderte ein Stilett mit einer langen schmalen Klinge zutage.
„Wo haben sie denn das auf einmal her?“, fragte der Inspektor.
„Das lag da halb hier drunter“, antwortete Williams und zeigte auf den Stein zu seinen Füßen. Dabei schaute sich das Messer genauer an. „Hier ist Blut dran“, stellte er fest und hielt die Stichwaffe dem Inspektor hin.
„In der Tat“, sagte er erstaunt. „Ob das eine Tatwaffe ist?“
„Ganz bestimmt“, erwiderte Williams. „Smith sagte doch, der eine Tote wurde erstochen. Das deckt sich ebenfalls.“
„Schauen wir mal, ob das alles zusammenpasst, wie wir es uns denken“, sagte Andrews und gähnte.
Constable Williams lächelte. „Suchen wir weiter“, wollte er wissen.
„Ich glaube nicht, dass wir hier noch etwas finden, was uns weiterhelfen könnte“, erwiderte Inspektor Andrews. „Machen wir für heute Feierabend. Es wird bald dunkel. Da können wir hier nichts mehr machen. Morgen sehen wir uns dann in alter Frische.“
„Ja, Sir“, antwortete Williams, der sich auf den verdienten Feierabend freute. Der Tag war lang und aufregend genug.