„Wieder einmal die Herren Inspektoren“, wurden Inspektor Andrews und Constable Williams von Lola Wilkins, der Bordellbesitzerin begrüßt. „Was führt sie dieses Mal zu mir?“
„Wenn schon, dann richtig, Constable“, berichtigte Williams die Frau seinen Dienstgrad.
Lola winkte nur ab. „Bulle bleibt Bulle“, meinte sie flapsig und winkte ab.
Andrews sog erbost die Luft ein. „Ich will mal das Wort Bulle überhören“, knurrte er. „Wir suchen sie erneut auf, weil wir noch einige Fragen haben“, gab er den Grund des Kommens an.
„Ich dachte, es sei alles geklärt“, wehrte Lola ab. Sie hatte keine Lust, ihre Zeit mit in ihren Augen sinnlosen Fragen der Polizei zu verschwenden. Das gab sie ohne Zögern zu.
„Sie werden nicht umhinkommen, uns ihre wertvolle Zeit zu opfern“, sagte Andrews mit ernstem Gesicht und trat einen Schritt auf die Frau zu. Er blickte ihr fest in die Augen. „Es sei denn, sie möchten die nächsten Nächte in einer Zelle verbringen, bis sie sich bequemen, unsere Fragen zu beantworten“, setzte er mit einem drohenden Unterton in der Stimme hinten an.
„Schon gut, schon gut“, antwortete Lola erbleichend. Auf keinen Fall wollte sie die nächste Zeit in einer dunklen Zelle verbringen. Die Hafträume in der Baker Street waren dafür bekannt, nicht besonders komfortabel zu sein. „Nun sagen sie schon, was sie auf dem Herzen haben. Da habe ich es hinter mir und kann wieder an meine Arbeit.“ Sie klimperte mit den Wimpern. „Wenn die Herren danach noch mögen, ich habe ein paar neue Mädchen.“ Sie lächelte süffisant.
„Die Mädchen interessieren uns nicht“, wurde sie von Andrews angefahren. „Wir sind hier, da wir noch Fragen an sie haben und nicht, weil wir uns mit irgendwelchen Dirnen verlustieren wollen.“
„Ich meinte ja nur…“, erwiderte Lola Wilkins, sie zeigte auf einen Tisch in der Ecke des Raumes. „Wenn wir uns setzen wollen, bitte…“ Andrews und der Constable folgten der Frau an den Tisch.
„Katie, übernimm du mal“, rief Lola ihrer Bedienung noch zu, worauf Katie wie ein Schlachtross hinter dem Tresen in Stellung ging und ihre Augen durch den Raum schweifen ließ.
„Möchten sie etwas trinken?“, fragte Lola die beiden Männer, nachdem sie sich am Tisch gegenübergesetzt hatten. Andrews und auch Williams lehnten ab. Daraufhin sah Lola die Polizisten neugierig an. Die sahen es als Aufforderung, mit der Befragung zu beginnen.
„Kennen sie einen Hunter Jones?“, kam Andrews ohne Umschweife auf den Punkt.
Lola überlegte.
„Wir wissen, dass er hier ein und aus geht“, meinte Andrews wie nebenbei.
Die Frau verstand. Ein Herausreden brachte nichts. „Ja, den kenne ich. Ein schmieriger Typ, dem ich nicht im Dunkeln begegnen möchte“, gab sie zu.
„Wann war er das letzte Mal hier?“
„Das war an dem Tag, als sie Stanley Brown und Carter Thompson festgenommen haben“, erwiderte Lola ohne Umschweife.
„Was wollte Jones?“
„Er schlich hinten im Hof herum und stellte meiner Bedienung dumme Fragen. Ich ertappte ihn, als er sich mit Katie unterhielt“, antwortete Lola. „Ich wollte nicht, dass er sich hier aufhält und scheuchte ihn weg.“
„Warum wollen sie nicht, dass er hier ist?“
„Der Typ ist wie eine Ratte. Besser, man kennt solche Leute nicht“, meinte die Frau. „Außerdem bin ich der Meinung, dass der Typ genug Dreck am Stecken hat. Damit will ich nichts zu tun haben.“
Als Inspektor Andrews sie fragend ansah, sprach Lola weiter. „Jones ist Thompsons Saufkumpan und Busenfreund. Und nicht nur das, hörte ich hinter vorgehaltener Hand plaudern. Er soll für Geld alles tun.“
„Auch einen Mord?“, fragte der Inspektor interessiert. Das Gleiche hatte er bereits von Adam Davies gehört und sah damit dessen Aussage bestätigt.
„Schon möglich“, sagte Lola darauf. „Zuzutrauen ist es ihm.“ Sie schaute die ihr gegenübersitzenden Männer an. „Ich habe gehört, wie Thompson zu Brown sagte, Jones mache das schon mit den beiden Versagern.“
„Haben sie das genau gehört und wissen sie, wen Thompson mit Versager meinte?“
„Ich habe das so gehört, wie ich sie hier höre. Als hätte ich danebengestanden. Ich war eben oben, um nach einem kranken Mädchen zu schauen. Da hörte ich Brown und Thompson in Browns Zimmer laut miteinander sprachen. Sie schienen sehr aufgebracht über einen Vorfall, den ich nicht zu benennen weiß. Ich wurde neugierig, um was es ging und näherte mich der Tür. Dort belauschte ich das Gespräch.“
„Und die beiden Versager?“, brachte Andrews den zweiten Teil seiner Frage in Erinnerung.
Lola zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe nur etwas von Versager gehört, aber wer die beiden sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Namen wurden meines Erachtens nicht genannt. Mir war es nicht ganz einerlei, zu lauschen. Brown ging mit Spitzeln nicht besonders zärtlich um. Daher wollte ich es nicht riskieren, ertappt zu werden.“ Dass sie ihren Geliebten nicht ins Bockshorn jagen wollte, verschwieg sie lieber.
„Verständlich“, meinte der Constable daraufhin, nachdem Inspektor Andrews keine Anstalten machte, weiterzusprechen. Er trat dem Inspektor unter dem Tisch leicht auf den Fuß, sodass der hochschreckte.
„Ja, sehr gut, Mrs. Wilkins“, sagte Andrews. „Noch eine Frage. Wissen sie, wo sich Hunter immer aufhält?“
„Das ist schwer zu sagen“, erwiderte Lola. „Der ist mal hier, mal da. Eine Wohnung hat er wahrscheinlich nicht. Ich wüsste auch nicht, dass er schon mal davon gesprochen hat, eine Wohnung zu haben. Ich nehme an, er schläft meist dort, wo er gerade gefällig ist.“
„Hm“, machte Andrews. „Ich hatte mir hier mehr versprochen. Überlegen sie doch mal genau. Vielleicht fällt ihnen etwas ein.“
„Na ja, der Jones hat manchmal hier bei einem meiner Mädchen geschlafen“, meinte Lola daraufhin. „Aber ob die was weiß?“ Sie machte ein wissendes Gesicht. „Angeblich plaudern Männer gerne etwas mehr, wenn sie mit einer Frau im Bett liegen“, meinte sie dann lächelnd.
„Dann fragen wir die halt mal, vielleicht hat er doch etwas mehr geplaudert als ihm lieb ist“, sagte der Constable mit einer Betonung auf geplaudert und stand auf. „Wer ist das Mädchen und wo befindet sich dessen Zimmer?“, fragte er die Bordellbesitzerin.
„Zweites Zimmer rechts. Sie heißt Bridget.“
„Ich übernehme das, Chef“, sagte Williams und ließ den Inspektor sowie Lola am Tisch zurück. Andrews nickte nur zustimmend und wandte sich wieder der Bordellbesitzerin zu.
Es war das erste Mal, dass Williams eine Befragung ohne Anwesenheit seines Vorgesetzten durchführte. Dementsprechend mulmig war es ihm. Doch er sagte sich, das müsse er allein schaffen. Immerhin wollte er nicht ewig Constable bleiben. Dass ihn der Inspektor für eine Beförderung vorschlagen wollte, spornte ihn noch mehr an.
Mit leisen Schritten begab sich Williams ins Obergeschoss. Die zweite Tür rechts war schnell gefunden. Er blieb davor stehen und horchte am Türblatt. Eindeutige Geräusche drangen aus dem Zimmer, die den jungen Constable erröten ließen. Trotzdem klopfte er an.
„Aufmachen!“, rief er nun laut.
„Komm später. Wir sind noch beschäftigt“, hörte Williams eine weibliche Stimme rufen.
„Lass den Deppen. Mach lieber weiter“, vernahm er nun eine Männerstimme, die kurz darauf ein lüsternes Stöhnen von sich gab.
„Nein, jetzt! Sofort aufmachen! Polizei“, bestand der Constable auf seiner Forderung und hämmerte mit der Faust erneut gegen die Tür.
„Auch das noch“, knurrte der Mann erbost.
Williams hörte das Bett knarren. Es raschelte. Schritte näherten sich der Tür. Sie wurde geöffnet. Der Constable blickte einem nackten Mann ins Gesicht und wurde sogleich wieder rot.
„Muss das jetzt sein?“, fuhr ihn der Kerl an. „Sie sehen ja, wir sind gerade beschäftigt. Außerdem habe ich bezahlt!“
„Mir egal“, erwiderte Williams und drängte den Mann grob zurück ins Zimmer. Auf dem Bett saß eine unbekleidete Frau, die ihre Blöße mit einer Decke zu bedecken versuchte.
„Ziehen sie sich etwas an und verschwinden sie gefälligst“, verlangte Williams von dem Freier. „Und sie, kleiden sie sich ebenfalls an“, forderte er die Frau auf, die sogleich hinter einem Sichtschutz verschwand.
Nachdem der Mann endlich unter lautem Protest und „ich will mein Geld zurück“ das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Constable Williams an die Frau. „Sie sind Bridget?“, fragte er sie.
„Ja, Bridget Morgan“, erwiderte sie, nachdem sie hinter dem Paravent hervorgetreten war. Sie schaute den Polizisten fragend an. „Was führt sie zu mir?“, wollte sie wissen. Gleichzeitig bot Williams einen Platz auf dem Bett an. „Es tut mir leid, einen Stuhl kann ich ihnen nicht anbieten“, entschuldigte sie sich.
„Dann stehe ich lieber“, meinte Williams und blickte die Frau an, die wieder auf dem Bett Platz genommen hatte. „Lola Wilkins sagte, sie kennen Hunter Jones“, begann er dann.
Bridget schaute erschrocken auf. Sie mochte Carter Thompsons besten Freund ganz und gar nicht. Aber da er ein Kunde war, der gut zahlte und des Öfteren nach ihren Diensten verlangte, musste sie ihn wohl oder übel ertragen. „Ich mag den nicht“, bekannte sie. „Ist eine miese Ratte, die uns Dirnen wie den letzten Dreck behandelt. Das auch nur, weil er für uns zahlt, wie er so oft herausposaunt und damit angibt, was für ein toller Hecht er ist“, sie winkte ab. „Vergessen wir es, der Kerl ist unterste Schublade.“
„Warum lässt Mrs. Wilkins das zu?“
„Weil er sehr viel Geld für eine Nacht zahlt, mehr als manch anderer Freier, deswegen!“, spuckte Bridget aus, als würde sie einen widerlichen Geschmack loswerden wollen.
„Warum zahlt er mehr als andere?“
„Ha…“, Bridget lachte laut. „Er mag perverse Spielchen. Damit wir mitmachen, zahlt er halt mehr.“
„So so“, machte Williams nur und wollte wissen, um welche Spielchen es sich handelte. Was er nun zu hören bekam, ließ ihm die Schamesröte ins Gesicht schießen.
„Er übernachtet ab und zu bei ihnen?“
„Ja, leider. Er besteht drauf, wenn er für die ganze Nacht bezahlt hat. Leider trifft es immer nur mich. Er weidet sich förmlich an meinem Widerwillen, ihn zu berühren und zu Willen sein zu müssen“, Bridget weinte fast. Warum sie gerade dem Constable ihr Leid klagte und sich ihm gegenüber öffnete, wusste sie nicht. Doch es tat gut, darüber sprechen zu können. Mit den anderen Mädchen, geschweige denn mit Lola, konnte sie nie darüber reden. Aber bei Williams sprudelten ihre Worte wie ein Wasserfall aus ihrem Mund. Lola meinte immer, wenn der Kunde zahlte, müsse sie tun, was er will und den anderen Mädchen waren ihre Belange egal.
„Wissen sie, wo sich dieser Hunter aufhält, wenn er nicht gerade hier im Bordell ist?“, fragte Williams.
„Tut mir leid, das weiß ich nicht“, antwortete Bridget. „Er spricht in unserem Beisein nie über private Dinge.“
„Schade, aber nicht zu ändern“, sagte Williams. „Mrs. Wilkins meinte, sie wüssten es eventuell, da er öfter bei ihnen übernachtet. Sie wusste es nämlich auch nicht und nahm an, er würde ihnen im Bett mehr ins Ohr flüstern als ihr.“
„Na ja“, sagte Bridget. „So ganz glaube ich das nicht. Aber wie will man das beweisen?“
„Gar nicht“, erwiderte der Constable. „Sie muss es schon freiwillig zugeben. Überlegen sie doch bitte noch einmal, wer wissen könnte, wo sich Hunter Jones aufhalten könnte.“
„Na wer könnte das schon besser wissen! Sein Busenfreund Carter Thompson kann ihnen da garantiert Auskunft geben“, sprudelte es aus der Dirne heraus.
„Busenfreund Thompson“, sinnierte Williams. „Warum ich nicht von selbst darauf gekommen bin.“ Er blickte Bridget an. „Sie haben mir sehr weitergeholfen“, bedankte er sich bei ihr.
„Gern geschehen“, sagte Bridget blinzelnd. „Wenn sie noch Fragen haben, ich beantworte sie gerne“, meinte sie dann und blinzelte noch mehr.
Der Constable runzelte die Stirn. Er bemerkte eindeutige Avancen hinter Bridgets Bemühungen, ging aber nicht darauf ein. Immerhin war er im Dienst und auch privat konnte er es sich nicht leisten, eine Dirne in Anspruch zu nehmen. „Wir kommen auf sie zurück“, sagte er und verabschiedete sich schnell. „Ach ja, da habe ich beinahe vergessen“, Williams machte an der Tür Halt. „Jones, mit was verdient der sein Geld, dass er hier Unsummen für Nächte mit Dirnen ausgeben kann. Ganz billig ist so eine Nacht bestimmt nicht.“
„Da haben sie Recht“, erwiderte Bridget. Dann erzählte sie das Gleiche wie vor ihr Adam Davies und Lola Wilkins.
„Danke nochmals“, entgegnete Williams, nachdem Bridget geendet hatte. „Das war es jetzt wirklich. Auf Wiedersehen.“
Inspektor Andrews wartete bereits vor dem Bordell auf Williams. „Wo bleiben sie denn?“, fragte er, genervt über das lange Warten auf den Constable. „Haben sie etwas herausgefunden?“
„Wir müssen Carter Thompson fragen, sagte die Dirne. Sie wusste nicht, wo sich dieser ominöse Hunter Jones versteckt. Oder wollte es nicht sagen. Ich glaube aber, sie hat große Angst vor ihm“, berichtete Williams. Dann erzählte er von der kurzen Vernehmung der Prostituierten und seinem Eindruck von ihr. „Ich glaube nicht, dass sie mich angelogen hat. Ich glaube eher, sie macht den Job nicht freiwillig“, endete er.
„Verlieben sie sich nie in eine Zeugin“, warnte der Inspektor. „Das geht nie gut aus und ist auch nicht sehr professionell.“
„Natürlich nicht, Sir“, beteuerte Williams errötend.
„Dann ist es ja gut“, meinte Andrews, über das knallrote Gesicht seines Kollegen grinsend. „Zurück ins Revier und zu Thompson“, sagte er noch und winkte eine vorbeikommende Droschke heran.