Unruhig lief Stanley Brown in dem kleinen Zimmer umher, das er im Hurenhaus bewohnte. War er nicht gerade unterwegs, verbrachte er seine Zeit in seinem Bordellzimmer und hielt Hof. Hier empfing er Bandenmitglieder, Bittsteller und allerlei anderes Gesindel, das etwas von ihm wollte oder von dem er etwas verlangte. Meist war letzteres der Fall.
Es gab schon Begebenheiten, dass er Bittstellern einen Gefallen tat. Allerdings nicht ohne eine gebürtige Gegenleistung. Die fiel oft in Form von klingender Münze aus, oder in Gefälligkeiten, an denen er gut verdienen konnte. Daher war es für Stanley kein Problem, auch einmal über eine längere Zeit ein Zimmer im Hurenhaus zu mieten. Eigentlich war er dort bereits Dauergast, denn einen festen Wohnsitz hatte er nicht.
Stanley hatte mit Mitte Vierzig ausgedient. Er hatte es nicht nötig, am Hungertuch zu nagen. So genoss er sein Leben in vollen Zügen und tat den lieben langen Tag nichts anderes, als sich bedienen zu lassen, Befehle zu erteilen, oder einfach auch mal gar nichts.
Er blickte auf ein bewegtes Leben zurück, das er die meiste Zeit in der Londoner Unterwelt verbracht hatte. Mit viel Ehrgeiz hatte er sich zum Bandenchef der Wild Wolves hochgearbeitet. Die Wild Wolves waren eine Gruppe von Beutelschneidern, Auftragsmördern, Vagabunden und anderem Gesindel, das für Geld alles machte.
Seinen Vorgänger hatte Stanley eigenhändig ins Jenseits befördert und dessen Leiche auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Kein Hahn krähte nach dem Kerl.
Heute hatte Stanley seine beiden Handlanger, die er erst vor Kurzem rekrutiert hatte, zu sich beordert. Ihm war da etwas zu Ohren gekommen, was ihm gar nicht gefiel. Die beiden hatten ihren Auftrag nicht richtig ausgeführt. Das hatte Stanley so in Rage gebracht, dass er die Tür zu seinem Zimmer, sowie einen Stuhl zertrümmert hatte. Das wiederrum hatte die Wirtin auf den Plan gerufen. Die schrie ihn an und wollte ihn hinauswerfen. Doch die Münzen, die er ihr zusteckte, beruhigten ihr aufgebrachtes Gemüt schnell. So zog er kurzerhand in ein anderes Zimmer, das eine der Huren für ihn räumen musste. Das Weib murrte zwar auch, doch der böse Blick, den die Wirtin der Frau zuwarf, ließ sie verstummen.
Während Stanley unruhig und nachdenklich hin und her lief, klopfte es an die Tür. „Was?“, rief er genervt. Er wollte nachdenken, was zu tun war, um das Beste aus dem Dilemma zu machen. Oder, was noch besser war, das aufkommende Unglück am besten zu verhindern. Er wusste, Inspektor Andrews war ein harter Hund, der, hatte er sich erst einmal festgebissen, nicht wieder losließ. Das tat er erst, wenn er am Ziel war. Vorher war er wie ein Pitbull.
„Boss, die beiden Versager sind da. Sie warten unten im Flur“, sagte Carter Thompson, Stanleys rechte Hand. Carter stand vor der Tür und wartete darauf, dass er eintreten durfte.
Stanley ging zur Tür und öffnete den Riegel, den er innen vorgelegt hatte. „Bring sie hoch“, sagte er zu Carter, „und bring mir noch Bier mit“, befahl er seinem Handlanger noch.
Carter machte auf dem Absatz kehrt und polterte die Treppe hinunter. „Lola“, schrie er die Hurenwirtin herbei. „Bring noch Bier für Stanley, aber flink!“
„Flink kostet Geld“, antwortete die Wirtin gewitzt, blinzelte Carter zu und hielt die Hand auf.
Carter seinesgleichen erhob seine und drohte der Frau Prügel an. „Mach gefälligst, was dir gesagt wird“, schnauzte er sie an. „Stanley wartet nicht gerne. Vor allen Dingen nicht, wenn er schlecht gelaunt ist.“ Der Mann grinste fies. „Und Stanley ist heute ganz besonders schlecht gelaunt. Das will ich dir mal so nebenbei gesagt haben.“
„Ja, ja, ich geh ja schon“, murrte die Wirtin und verschwand im Schankraum, von wo sie nach kurzer Zeit mit einem gefüllten Krug Bier wiederkam.
„Hoffentlich ist das keine Plörre“, scherzte Carter.
„Hau endlich ab, du Arsch“, schimpfte Lola, drehte sich kokett um und verschwand wieder im Schankraum.
„Kommt mit, ihr Versager“, sagte Carter zu den beiden Männern, die unschlüssig am Eingang standen und der Dinge harrten, die kommen sollten. „Der Boss wartet schon und er ist nicht gerade gut gelaunt. Macht euch also auf was gefasst.“ Carter feixte. Er wusste, was mit Männern geschah, die versagten oder nicht das taten, was von ihnen verlangt wurden.
Mit hängenden Köpfen schlichen die beiden hinter dem vierschrötigen Kerl die Treppe nach oben. „Rein da“, sagte der, nachdem er eine Tür am Ende des Flurs geöffnet hatte. Er stieß dem ersten die Faust in den Rücken, sodass er ins Stolpern kam und mehr ins Zimmer fiel als ging. Der andere kroch hinterher.
Stanley stand am Fenster und starrte hinaus. „Boss“, machte sich Carter bemerkbar. Er ging zum Tisch und stellte den gefüllten Bierkrug neben Stanleys Becher.
„Du kannst gehen. Aber bleib vor der Tür“, befahl Stanley seinem Handlanger. Der machte die Tür von außen zu und wartete davor.
Die beiden Männer standen nun mit hängenden Köpfen mitten im Raum und wussten nicht, ob oder was sie sagen sollten. Doch das mussten sie auch nicht, denn Stanley erhob das Wort.
„Ihr seid also die beiden Versager, die nicht mal eine Leiche verschwinden lassen können“, begann er und starrte die Männer an. Die wagten es immer noch nicht, einen Ton zu sagen. Stanley goss sich aus dem Bierkrug ein und nahm einen großen Schluck. Dann rülpste er leise und sprach weiter. „Wisst ihr überhaupt, was das heißt, wenn der Inspektor herausbekommt, dass unsere Gang hinter dem Mord steht? Das ist das Ende für uns. Ihr werdet verhungern!“ Stanley brüllte seine Wut heraus, dass den Zweien die Ohren klingelten und auch Carter vor der Tür erschrocken hochschaute. Der Bandenboss knallte seinen Becher auf die Tischplatte, dass das Gefäß in tausend Stücke zersprang.
Die zwei Männer zuckten erschrocken zusammen und zogen den Kopf ein. „Sir, es tut uns leid. Das wollten wir nicht“, brachte endlich der eine stockend hervor. Sein Gesicht war vor Scham rot angelaufen.
„Davon kann ich mir jetzt auch nichts kaufen. Der Leichnam wurde bereits gefunden und liegt nun in der Pathologie“, brüllte Stanley weiter. „Seid froh, dass der Kerl noch nicht identifiziert wurde. Der Smith, der Pathologe, ist wie Inspektor Andrews ein gewitzter Pitbull, der nicht Halt macht, bis er Ergebnisse hat.“
„Wie können wir das wieder gut machen?“, fragte der andere.
„Wieder gut machen? Träumt mal schön weiter! Das ist nicht wieder gut zu machen. Ihr hättet das von Anfang an richtig machen müssen!“ Stanley setzte seinen ungeduldigen Weg im Zimmer weiter. Würde er noch fester auftreten, wäre bald eine Fußspur am Boden zu sehen.
„Wir konnten doch nicht ahnen, dass die Themse die Leiche wieder ausspuckt“, verteidigten sich die Männer.
„Ach ja!“, knurrte Stanley. „Ihr konntet nicht ahnen, ihr wusstet nicht… Was wisst ihr überhaupt, ihr Versager!“ Stanley geriet immer mehr in Rage.
„Wir machen das wieder gut, versprochen“, lenkten die beiden ein, in der Hoffnung, ihr Boss beruhigt sich bald und die kommende Strafe möge nicht zu hart sein.
„Habt ihr den Toten vorher nochmal untersucht, ehe ihr ihn ins Wasser geworfen habt? Und habt ihr ihn auch mit Steinen beschwert?“, fragte Stanley plötzlich. Als Antwort kam nur ein Kopfschütteln.
„Hätten wir das tun sollen?“, fragte der eine.
„Oh nein, an was für Deppen bin ich nur geraten?“, fuhr Stanley erneut hoch. „Natürlich hättet ihr das tun sollen. Ersteres, um festzustellen, ob er Gegenstände bei sich hat, die ihn mit uns in Verbindung bringen könnten. Und zweites, damit er, wie es geschehen ist, nicht wieder ans Tageslicht kommt! Ich fasse es nicht!“
Darauf hatten die Männer nichts zu erwidern, deren Köpfe wieder zu Boden geneigt waren, in dem sie vor Scham am liebsten versunken wären. Doch nicht das kleinste Mauseloch tat sich auf, im den sie verschwinden konnten.
„Ihr könnt erstmal gehen. Aber haltet euch zur Verfügung. Ich lasse euch rufen, wenn mir was eingefallen ist“, sagte Brown plötzlich.
„Ja, Sir. Danke, Sir“, stammelten die beiden Männer und verließen flinken Fußes das Zimmer des Bandenchefs.
„Carter! Komm her!“, rief Stanley nach seinem Handlanger.
Carter betrat sofort das Zimmer und fragte nach Stanleys Begehr.
„Lass sie beschatten. Ich will alles wissen, was sie tun, wohin sie gehen, wen sie treffen.“
„Jawohl Chef“, erwiderte Stanley und verließ das Zimmer, um den Befehl in die Tat umsetzen zu lassen.
Am Abend saß Stanley mit Carter zusammen in seinem Zimmer und speiste mit diesem zu Abend. Später wollten sich die Männer noch zwei Dirnen kommen lassen. Vorher aber wollten sie besprechen, was mit den beiden Versagern geschehen sollte.
„Hast du meinen Befehl ausgeführt?“, wollte Stanley von seinem Handlanger wissen.
„Natürlich. Ich habe jemanden auf sie angesetzt. Zum Glück hängen die beiden zusammen wie Kletten. Sie gehen nie getrennt, immer nur zusammen. Das erleichtert mir die Arbeit“, berichtete Carter. „Die gehen bestimmt auch zusammen auf den Abort“, meinte er dann noch grinsend.
Beim Wort Abort schaute Stanley auf. „Apropos Kloake…“, nun grinste der Bandenboss. „Lassen wir die doch einfach verschwinden. Wenn Andrew sie erwischt und in die Mangel nimmt, singen die wie die Vögelchen.“
Carter überlegte nur kurz. „Das wird wohl das Beste sein“, erwiderte er dann. „Wir können uns keine Verräter leisten.“ Er sah Stanley an. „Soll ich das in die Wege leiten?“
„Mach das. Auf dich kann ich mich immer verlassen.“ Stanley klopfte seiner rechten Hand auf die Schulter. „Aber das kann bis morgen warten. Heute wollen wir uns noch ein wenig vergnügen.“ Er feixte anzüglich und rief nach Lola. „Bring uns zwei Mädchen!“, befahl er ihr, was Lola geschwind tat.