Als Inspektor Andrews am nächsten Morgen ins Revier kam, war Constable Williams bereits vor Ort. Er saß in Andrews Büro und sichtete die Aufzeichnungen über den Vorfall des gestrigen Tages.
„Guten Morgen, Constable, so zeitig schon fleißig“, grüßte Andrews den Constable überschwänglich und setzte sich auf seinen Platz am Schreibtisch.
„Guten Morgen, Sir“, antwortete Williams und sah von den Aufzeichnungen hoch. „Mir ging der Fall die ganze Nacht nicht aus dem Kopf“, sagte er noch. „Mir kommt es vor, als hätten wir etwas übersehen.“
Andrews sah ihn neugierig an. „Was sollten wir übersehen haben?“
„Ich weiß es nicht, irgendwas…“
„Hm“, machte Andrews, wie immer, wenn er ratlos war und packte die Fundsachen vom Vortag aus der Schublade auf den Tisch. Das Papier war inzwischen getrocknet, doch die Tinte war trotzdem noch verschmiert und die Schrift kaum lesbar. Er nahm eine Lupe und schaute sich die Buchstaben genauer an. „Ich weiß auch nicht“, murmelte er und kratzte sich am Bart. „Kommen sie mal her. Sie haben bessere Augen als ich“, sagte er dann zum Constable.
Williams setzte sich neben den Inspektor und schaute mit ihm gespannt durch die Lupe. „Das hier sieht aus wie ein R“, sagte er nach einer Weile intensiver Betrachtung. „Der andere Buchstabe könnte ein C sein, aber auch ein O oder E in Schreibschrift.“
„Der erste Buchstabe hier ein R? Kein F?“
„Nein, ganz bestimmt ein R“, antwortete Williams. „Schauen sie“, sagte er und zeigte auf den oberen Rand des Buchstaben. „Der Rand ist nach unten gebogen, der sich dann weiter nach links fortsetzt. Bei einem F wäre er gerade oder leicht nach oben gebogen. Und hier in der Mitte, das geht auch nach unten und nicht gerade nach rechts.“ Er nahm einen Stift und ein leeres Blatt Papier und schrieb die Buchstaben zum Vergleich auf.
Andrews nickte darauf zustimmend. „Das ist plausibel“, sagte er. „Ein R wäre wirklich gut. Das käme mit Rowan, was ja auch mit R beginnt, gleich. Es wäre auch ein Zusammenhang mit Rowan Clark, über den wir gestern gesprochen haben und der unser erster Toter sein könnte.“
„Richtig, Sir“, erwiderte Williams und nickte zustimmend. „Wir sollten uns über diesen Clark erkundigen“, meinte er noch.
„Ja, das sollten wir wirklich tun. Dann werden wir mehr wissen.“
Die beiden Polizisten begutachteten noch eine Weile den Fetzen Papier, kamen aber nicht weiter. Mit dem Knopf konnten sie gar nichts anfangen, fanden auch keinen Zusammenhang dazu. „Wir sollten nochmal zu Doktor Smith in die Pathologie gehen“, meinte Williams. „Es ist zwar noch früh, aber wie ich unseren Doc kenne, hat er wieder die halbe Nacht durchgemacht.“
„Gute Idee“, meinte der Inspektor darauf. „Gehen wir.“ Er packte die Fundsachen zusammen und nahm sie mit.
„Guten Morgen, Smith. Sie sind ja auch schon bei der Arbeit“, grüßte Andrews den Pathologen.
„Guten Morgen, Sir“, tat es ihm Williams gleich.
„Ja, meine Herren. Der frühe Vogel fängt den Wurm, oder kann mich mal“, antwortete Smith und rieb sich die Augen.
„Sie sehen arg übernächtigt aus“, stellte Andrews fest, als der Doktor auch noch gähnte.
„Ach, wissen sie, ich bin gleich nach der Geburtstagsparty meiner Frau wieder hergekommen. Sie war zwar nicht gerade begeistert, aber sie weiß, wenn ich mich einmal in etwas festgebissen habe, bin ich nicht zu bremsen.“ Der Pathologe lachte laut, dass es schallte.
„Ihre Frau kann einem leidtun“, erwiderte Andrews.
„Na ja, sie wusste was auf sie zukommt, als sie mich ehelichte“, antwortete Smith, „immerhin hält sie es schon dreißig Jahre mit mir aus.“ Andrews nickte darauf nur.
„Aber sagen sie, haben sie Neuigkeiten für uns“, wandte sich der Inspektor nun dem eigentlichen Thema zu.
„Sehr viel mehr als gestern leider nicht“, antwortete der Pathologe. „Der eine ist durch den Sturz auf den Stein gestorben und wurde vorsichtshalber auch noch erdrosselt. Laut Spuren war er bereits tot als letzteres geschah. Der Täter wollte wohl auf Nummer sicher gehen. Er hat ein kleines Muttermal hinter dem linken Ohr. Das könnte uns wahrscheinlich bei der Identifizierung helfen.“
„Ganz bestimmt“, erwiderte Inspektor Andrews. „Gibt es sonst noch Ergebnisse?“
„Ja, natürlich“, antwortete Smith. „Der andere ist aufgrund des Stichs in die Nierengegend gestorben. Ich habe mir das genauer angeschaut. Ein großes Blutgefäß wurde getroffen. Er ist innerlich verblutet. Bei so einer Verletzung geht das sehr schnell. Der Täter muss das gewusst haben. Weitere Verletzungen gibt es beim zweiten Opfer nicht. Ich würde auch sagen, es waren mindestens zwei Täter.“
„Das deckt sich eingehend mit unseren Erkenntnissen vom Tatort. Wir gehen auch davon aus, dass es mindestens zwei Täter waren. Außerdem fanden wir einen Stein fern vom Flussufer, an dem Blut haftete und einen weiteren Blutfleck, der allerdings von Neugierigen arg unkenntlich gemacht wurde. Oder es war einer der Täter, der damit eine Spur verwischen wollte. Das war nicht mehr herauszufinden. Außerdem fanden wir ein Stilett und einen Knopf mit einem Ornament.“ Andrews zeigte auf die Fundstücke, die sein Constable auf den Schreibtisch gelegt hatte. „Williams, zeigen sie das Messer“, befahl er ihm.
Smith begutachtete das Messer, verglich die Klinge mit dem Einstichloch am Rücken des einen Toten. „Das passt“, sagte er wenig später und nickte anerkennend. „Wo haben sie das gefunden?“, fragte er noch.
„Am Tatort. Es lag unter einem Stein. Williams hat es durch Zufall gefunden.“ Er nahm nun den Knopf und hielt diesen dem Pathologen hin. „Das fanden wir ebenfalls am Tatort.“
Auch der Knopf wurde begutachtet. „Schauen wir doch mal, ob der zu einer der Jacken gehört“, sagte Smith und nahm die Kleidung der Leichname in Augenschein. „In der Tat, schauen sie“, er hielt eine Jacke in die Höhe. „Der Knopf passt hierzu. Es ist die Jacke dieses Mannes hier.“ Smith zeigte auf den Mann auf der Bahre an der Wand. „Und ich habe angenommen, der Knopf fehlte schon länger. Falsch gedacht. Der kann nur beim Kampf abgerissen worden sein.“
„Gut möglich“, erwiderte Andrews und begann nun auch zu gähnen.
„Man könnte meinen, auch sie haben letzte Nacht nur wenig geschlafen“, meinte Smith lächelnd. „Aber, sagen sie, könnten wir uns nicht eine Pause gönnen? Williams, würden sie uns bitte Kaffee holen. Für sie natürlich auch.“
„Natürlich, Sir, gerne“, antwortete der Constable und verschwand flugs. Wenig später kam er mit dem Gewünschten zurück.
Während die Männer genüsslich das belebende Getränk genossen, unterhielten sie sich über den Fall.
„Bisher haben wir zwar noch nicht sehr viel herausgefunden, aber das, was wir haben, passt zusammen. Meiner Meinung nach haben die Morde etwas miteinander zu tun. Inwiefern, das müssen wir noch herausfinden“, fasste Inspektor Andrews die Erkenntnisse zusammen. „Wir werden als Nächstes Erkundungen über diesen Clark machen.“
„Trotzdem wissen wir immer noch nicht eindeutig, wer die Toten sind. Bei einem ahnen wir es, wissen es aber nicht hundertprozentig“, warf Williams ein. „Ich werde deswegen langsam unruhig.“
„Immer mit der Ruhe und Geduld, junger Freund“, meinte Smith lachend. „Manchmal kommt die Erkenntnis schneller als man denkt.“ Er klopfte Williams aufmunternd auf die Schulter.
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Sir“, erwiderte der Constable stirnrunzelnd.
„Wenn unser Doktor das sagt, können sie das glauben“, sprang Andrews für den Pathologen in die Bresche. „Es gibt niemanden mit mehr Erfahrung auf unserem Revier wie er.“
„Ja, na dann…“, antwortete Williams und lachte. „Glauben wir mal, dass wir der Lösung auf die Spur kommen. Sonst…“ Er verdrehte die Augen und murmelte etwas von Fällen, die wohl nie aufgeklärt werden.
„Erinnern sie mich nicht an das Regal mit den Akten der ungelösten Fälle“, schimpfte Andrews und drohte seinem Untergebenen scherzhaft mit der Faust.