„Wenn wir einmal hier sind, können wir doch gleich zu diesem Stanley Brown gehen und ihn befragen“, sagte Constable Williams zu seinem Vorgesetzten, nachdem Katie zurück an ihre Arbeit gegangen war.
„Das werden wir auch tun“, erwiderte Andrews. „Ehe er sich auf und davon machen kann und uns an der Nase herumführt. Wie Miss Atkins sagte, hält sich dieser Brown oben in einem der Zimmer auf.“ Andrews stand auf. „Packen wir es an“, meinte er und ging zur Theke, wo Lola Wilkins immer noch auf ihre Bedienstete einredete.
„Mrs. Wilkins, zeigen sie uns, wo sich das Zimmer von Mr. Brown befindet“, bat er die Bordellbesitzerin.
Die zog eine Grimasse. „Was wollen sie denn von dem?“, fragte sie.
„Das geht sie nichts an“, erwiderte Andrews ungeduldig. „Zeigen sie uns nun das Zimmer!“
Unwillig ging Lola die Treppe nach oben voran. „Geht doch“, murmelte der Inspektor.
„Da hinten, die letzte Tür rechts“, sagte Lola, nachdem sie oben angekommen waren und sie auf dem Treppenabsatz stehen geblieben war. „Brauchen sie mich noch?“, fragte sie, was der Inspektor verneinte.
„Mr. Brown, machen sie auf, Polizei!“, rief Andrews, nachdem er an Browns Tür geklopft hatte. „Brown, machen sie auf!“
Inspektor Andrews lauschte. Hinter der Tür hörte er, wie sich leise Schritte entfernten. Er machte Williams ein Zeichen, der verstand. Dann riss der Inspektor die Tür auf und stürmte ins Zimmer. Er sah, wie Stanley Brown soeben durchs Fenster steigen wollte. Williams und Andrews rannten zum Flüchtigen und erwischten diesen gerade noch am Hosenbund. Sie zerrten den sich wehrenden Mann zurück ins Zimmer.
„Wo wollten wir denn hin?“, fragte der Inspektor, während Williams dem Bandenboss Handschellen anlegte.
„Das geht sie gar nichts an“, knurrte Brown. „Was wollen sie von mir und warum dringen sie einfach in mein Zimmer ein?“, fragte er dann erbost.
„Wir verdächtigen sie, Henry Allister und Frank Taylor umgebracht oder den Mord an ihnen in Auftrag gegeben zu haben. Außerdem stehen sie unter Verdacht, Rowan Clark erschossen zu haben.“
„Gibt es Beweise dafür?“, spuckte Brown, den Inspektor und dessen Constable dabei verächtlich anschauend.
„Einige schon“, erwiderte der Inspektor. „Williams, gehen sie zum Revier und holen sie Verstärkung. Ich brauche hier noch mehr Leute. Bringen sie auch die Polizeidroschke mit. Und beeilen sie sich“, wandte er sich an den Constable.
Williams salutierte und rannte los.
„Und sie, hier hinsetzen“, sagte Andrews zu Brown und führte den Gefesselten zu einem Stuhl. Als der sich gesetzt hatte, löste er eine der Handfesseln und legte die Arme hinter die Stuhllehne. Dort legte er die Handschellen wieder an.
So der Bewegungsfreiheit beraubt, harrte der Gangsterboss auf seinem Stuhl aus. „Was haben sie schon gegen mich in der Hand“, meinte der frech grinsend.
„Genug, um sie hinter Gitter oder an den Galgen zu bringen“, erwiderte Andrews und setzte sich an den Tisch. Er sah Brown an und dachte nach. Sollte er bereits mit der Vernehmung beginnen, oder doch lieber warten, bis Constable Williams mit der Verstärkung zurück war? Eine Vernehmung ohne Zeugen wäre Unsinn, fiel ihm ein. Es stände Wort gegen Wort. Also wartete Andrews geduldig. Während er so dasaß, starrte er Brown an. Eine Eigenart von ihm, die schon so manchen Verdächtigen hatte unruhig werden lassen. So auch bei Brown.
„Was starren sie mich so an?“, fragte er unwirsch.
„Nur so“, antwortete Andrews und schwieg.
Die Zeit verging. Stanley Brown rutschte, so gut es gefesselt ging, auf seinem Stuhl hin und her. Das Anstarren des Inspektors nervte ihn. Was der damit bezweckte, war ihm nicht schlüssig. Auf jeden Fall fühlte er sich äußerst unangenehm belästigt.
Inspektor Andrews beobachtete seinen Verdächtigen genau. Er sagte nichts, sondern schaute ihn nur an als wäre es das Normalste auf der Welt. Er ließ sich nichts anmerken, wie sehr er darüber erfreut war, den Gangsterboss damit aus der Ruhe zu bringen. „Ich krieg dich schon, warte nur ab“, dachte sich Andrews und grinste innerlich.
„Wo ist Carter Thompson?“, fragte Andrews plötzlich in die Stille hinein.
Brown fuhr erschrocken hoch. „Wer ist das? Kenne ich nicht.“
Andrews lachte laut. „Sie wollen ihre rechte Hand nicht kennen, dass ich nicht lache“, erwiderte er. „Also: Wo ist er?“ Er blickte Brown ernst an. „Tun sie nicht so! Carter und sie sind ein untrennbares Gespann. Wo er ist, sind auch sie und umgedreht. Weit kann er nicht sein.“
Doch Brown zuckte nur mit den Schultern und antwortete nicht.
„Ich bekomme das schon noch heraus“, murmelte Andrews wie nebenbei, gerade so laut, dass sein Gegenüber es hören konnte.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Constable Williams, ganz außer Atem, stürmte herein. „Sir, die Polizeidroschke wartet unten“, machte er Meldung.
„Sehr gut, Williams“, antwortete Andrews. „Haben sie Verstärkung mit?“
„Ja. Die haben sich unten verteilt. Alle Türen sind bewacht. Es kommt keiner rein und keiner raus.“
„Sie denken mit“, lobte Andrews seinen Constable. „Sagen sie unten Bescheid, wenn Carter kommt, soll der sofort festgenommen werden.“
„Jawohl, Sir“, sagte Williams und verschwand. Ehe er hinunterging, rief Andrews ihm noch zu, er solle noch einen Constable mit nach oben bringen.
Wenig später kehrte Williams mit einem weiteren Constable zurück.
„Sie passen auf, dass sich der Verdächtige nicht aus dem Staub macht“, befahl Andrews dem zweiten Constable. „Und wir…“, wandte er sich an Williams, „durchsuchen den Raum.“
Sofort machten sich die beiden Männer ans Werk. Jeder noch so kleinste Winkel wurde durchsucht. Das Unterste nach oben gekehrt und umgedreht. Nichts blieb unangetastet. Doch leider fand weder der Inspektor noch Constable Williams Hinweise oder gar verbotene Waffen.
Während die beiden Polizisten nicht aufgaben, das Zimmer zu durchsuchen, saß Stanley Brown unbeweglich auf seinem Stuhl. Er beobachtete unbeeindruckt die beiden Männer und grinste in sich hinein.
„Was gibt es hier so zu grinsen“, fuhr ihn sein Bewacher an und schlug ihm mit der Faust auf den Oberarm.
Stanley jaulte auf vor Schmerz und taumelte. Dabei kam sein Stuhl ins Wackeln und er stürzte. Schimpfend versuchte der Gangsterboss, sich wieder aufzurappeln.
„Lassen sie das!“, schimpfte Andrews mit dem Polizisten. Doch dann wurden seine Augen immer runder. „Gehen sie mal rüber“, sagte er und schob den Mann einfach beiseite. „Williams, helfen sie mir bitte“, rief er seinem Constable zu, der sofort herbeikam. Sie wuchteten Stanley Brown samt Stuhl in die Höhe, ließen ihn aber auf Geheiß des Inspektors nicht an gleicher Stelle herab. „Schauen sie sich mal diese Diele an“, forderte Andrews Williams auf.
Der ging in die Knie und schaute. „Was soll damit sein?“, fragte er.
„Die lässt sich verschieben“, erwiderte Andrews und kniete sich ebenfalls hin. Er werkelte an der verdächtigen Diele und siehe da, sie ließ sich bewegen. „Na aber hallo!“, stieß Andrews aus und klatschte in die Hände, als er es geschafft hatte, das lockere Dielenbrett zu entfernen. Zum Vorschein kam ein Revolver, nebst dazugehöriger Munition und ein goldener Siegelring.
„Wenn das mal kein gutes Fundstück ist“, meinte Williams und klopfte seinem Vorgesetzten freudig auf die Schulter.
Der nahm die Fundstücke aus dem Versteck. Den Revolver legte er mit den Worten: „Das muss sich Smith anschauen“, beiseite und begutachtete den Ring. „Ein sehr wertvolles Schmuckstück“, stellte er fest. „Ach, schau mal an“, stieß er aus und hielt den Ring dem Constable unter die Nase. „Was steht auf dem Siegel?“, fragte er ihn.
Williams sah nach, kräuselte die Stirn. „R.C.“, sagte er dann grinsend. „Rowan Clark.“
„Ja! Wir haben es!“, fuhr Andrews hoch. „Das wird wohl der Beweis für Browns Schuld sein.“ Er blickte zum Verdächtigen auf. „Jetzt wird dir das blöde Grinsen schon vergehen!“
„Pfff“, machte Brown nur. „Ihr könnt mir gar nichts beweisen. R.C. kann jeder sein.“
„Warten sie nur ab“, meinte Andrews. „Constable, lassen sie den Verdächtigen zum Revier bringen. Hier haben wir genug gesehen.“
Von unten her klang Poltern und Gebrüll. „Was soll das? Lasst mich los ihr Arschlöcher!“, schimpfte ein Mann laut. Als Brown die Stimme hörte, wurde er blass, sagte aber nichts. Wieder polterte es, Stühle schienen umzufallen. Ein weiterer Mann schrie. Erneut brüllte jemand: „Lasst mich los, was soll das?“ Schimpfworte der untersten Schublade folgten.
Andrews rannte zur Tür und riss diese auf. Dann rannte er zur Treppe und schaute nach unten. „Was ist da los?“, rief er.
„Keine Sorge, Inspektor“, machte sich einer der Constables bemerkbar. „Wir haben nur jemanden festgenommen. Der hat sich gewehrt. Ein Bulle von Mann. Es ging etwas haarig zu, aber wir haben ihn.“
Andrews ging nach unten, Williams und der zweite Constable folgten ihm. Gezwungenermaßen blieb Brown nichts anderes übrig, als das Gleiche zu tun. Als er den Gefangenen sah, stieß er seinen Atem aus. „Carter“, murmelte er und blickte weg.
„Kennen sie den Mann?“, fragte Andrews, der Browns Reaktion bemerkt hatte. Doch der schüttelte nur den Kopf.
„Was soll der Mist“, schimpfte der Gefesselte erneut und versuchte, sich zu befreien. Doch die zwei Constable hatten ihn fest im Griff.
„Halten sie still“, schimpfte der eine.
„Wie ist ihr Name?“, fragte Andrews den Gefangenen.
Der schwieg beharrlich.
„Wie ist ihr Name“, wiederholte Andrews seine Frage. „Sagen sie es freiwillig oder soll ich nachhelfen?“
Doch der Mann schwieg weiterhin.
„Mrs. Wilkin, kennen sie den Mann?“, wollte Andrews von der Bordellbesitzerin wissen. „Unserem Mr. Brown scheint er bekannt zu sein.“ Er schaute die Frau streng an.
„Ja“, sagte sie leise.
„Und?“
„Das ist Carter Thompson“, sagte sie dann und senkte die Augen, um Andrews starrem Blick auszuweichen.
Erneut stieß Brown heftig den Atem aus und knurrte etwas, was niemand richtig verstand. Nur Constable Williams, der direkt neben ihm stand, verstand die Worte. „Hier wird niemandem gedroht“, fuhr er den Gangsterboss an.
„Abführen!“, bestimmte Inspektor Andrews und knetete erfreut seine Hände.