Plötzlich steht er vor mir.
Joachim.
Noch ist er nichts weiter als ein grauer Schemen mit verschränkten Armen, menschlich, wenngleich er sich sofort in eine Tiergestalt wandeln könnte, oder in einen Gott, wenn ich es denn wollte.
"Hallo Marv."
Ich hebe den Kopf aus meinen Brotchips. "Wer bist du?"
"Joachim."
"Ich weiß. Aber was ...?"
"Ich will in eine Geschichte."
Ich lege den Kopf schief. Dass bestehende Figuren sich selbstständig machen, ist ja schon schlimm genug, aber fangen jetzt etwa auch die noch nicht existierenden Figuren damit an?
Es sieht ganz so aus, denn so viel ich auch frage, mein Gegenüber kann mir nicht mehr verraten außer seinem Namen. Weil er noch nicht mehr ist. Das soll ich jetzt übernehmen, und die komplette Rahmenhandlung noch dazu. Alles, was er mir liefert, ist ein Name.
Joachim. Was soll ich damit denn anfangen? Das kann beinahe alles heißen!
Ich beschließe, spazieren zu gehen, um mich von dem verwirrenden Gespräch zu erholen und mich auf meine anderen Geschichten zu fokussieren. Aber Joachim kommt mit. Die Hände in den Taschen vergraben schlendert er neben mir her und textet mich zu mit den großartigen Rollen, die er sich für seine Person ausmalt. Dabei gewinnt er ganz dreist an Farbe und wird konkreter, von einer blassen Idee zu einem Charakter.
Ich mustere ihn verstohlen. Ein mittelalter Mann, vermutlich Vater. Ich sehe einen Bierbauch. Schütteres Haar.
Was will der Kerl denn bei einem Fantasyautor?
Auf der Flucht vor Joachim verbringe ich den Tag in einigen anderen Geschichten, die heute fällig wären. Ich spinne Epen und treibe Figuren in den Ruin, wie immer. Dann werfe ich den Würfel für meine Schicksalstexte, um mich mit einer Kurzgeschichte überraschen zu lassen, die ich schreiben soll.
Beim Anblick des Ergebnisses kriecht ein breites Grinsen auf mein Gesicht.
"Oh, du schreibst meine Geschichte?", fragt Joachim erfreut, als er wenig später, von Lyssas Glühen angelockt, hereingeschlendert kommt. "Kriege ich eine große Rolle?"
"Du bist sogar die Hauptperson!", erkläre ich.
"Oh, das ist wunderbar! Wie ist die Geschichte denn? Wird sie lang?"
"Eh ..." Ich wiege den Kopf hin und her.
Joachim streckt den Kopf über meine Schulter. "Warte ... Moment mal ... warum steht da Horror drüber?!"
Ich grinse den erbleichenden Dreistling an. "Das geschieht dir recht!" Ich lasse mich doch nicht von Figuren herumkommandieren! Erst recht nicht von Joachims!