Flaggen und Wimpel flattern auf den Türmen der Grauen Feste im Wind. Es ist noch recht kühl für das Jahr, ein scharfer Wind peitscht die Dekorationen und die Tücher der gedeckten Tische. Dennoch scheint die Sonne auf das Bergplateau und die umherwuselnden Pseudonyme und Figuren.
Davon kriegt man im Wohnzimmer der Burg allerdings wenig mit. Die Vorhänge hat ein böses Pseudonym mit Daumen vor die Fenster gezogen, die Tür ist verschlossen und sogar das Licht gedimmt. Das einzige Licht stammt von Lyssa, die ein sanftes, klares Blau ausstrahlt.
Ich patsche nochmal mit der Pfote gegen die Tür. "Und jetzt?"
"Immer noch nicht", erwidert Mobu, der auf der anderen Seite Wache hält. Selbst der geduldige Elf ist inzwischen etwas genervt. "Marv, du hast zuletzt vor fünf Minuten gefragt! Und immer noch, ich lasse dich raus, wenn es so weit ist!"
"Hm ... Und wie ist es jetzt?"
Statt einer Antwort höre ich nur noch ein Seufzen.
Ich hätte dem Elben niemals die Schlüssel geben sollen! Überhaupt, warum habe ich mich entschieden, eine Burg als Wohnsitz zu erschreiben? Es wäre so viel einfacher gewesen, mir einen gemütlichen, kleinen Wolfsbau zuzulegen. Ohne nervige Türen, Steinwände, Küche ... Wobei, die Küche ist ganz angenehm und die Zimmer haben auch was. So ein trockenes, bequemes Sofa ...
"Wenn wir schon warten müssen", ruft Lyssa sich in Erinnerung, "können wir doch wenigstens was schreiben!"
Es gibt also einen Grund, warum sie nicht einfach durch die Wand schwebt. Ich fand es eh verdächtig, dass da eine Schreibmaschine herumsteht. Eigentlich ist das hier das Entspannungszimmer!
"Wir haben für heute aber schon geschrieben", erinnere ich sie.
"Man kann nie genug schreiben."
Mit dem Argument hätte ich rechnen sollen. "Also gut - aber was sollen wir schreiben?"
"Was mit Drachen! Und unglücklicher Liebe! Und vielen NPCs, die sterben! Und ..."
"Lyssa!"
"Und mächtigen Königreichen! Und düsteren Geheimnissen! Und ..."
"Lys!"
"Ja?"
"Ich wollte heute noch wieder hier raus." So, wie ich sie kenne, geht die doofe Tür da erst auf, wenn sie ihre Geschichte hatte. So ist das nun mal, wenn man mit einem Wesen der Vierten Wand zusammenlebt. "Also, bitte was Kurzes, okay? Keine Romanreihe, die meinen Werdegang als Autor metaphorisch widergibt. Das können wir gerne mal als Autobiografie machen. Später."
"Später", äfft Lyssa mich patzig nach. "Na gut, was dann? Willst du einfach eine doofe Statistik machen?"
Auch wenn sie wenig begeistert klingt, ich mag die Idee. Außerdem kann ich den Brotchipskuchen bereits riechen und ich will endlich wissen, was meine Pseudonyme da draußen überhaupt die ganze Zeit treiben. Also, los geht's!
Marvin Grauwolf.
Ein Name, den ich in dieser Form nicht immer trage. Angefangen habe ich am 22.09.2014 als 'Marvin Isenwolf' - auf der Schreibplattform FF.de. Wann genau ich das geändert habe, weiß ich nicht mehr. Aber es muss wohl ein halbes Jahr später gewesen sein, denn man kann seinen Nutzernamen auf der Seite nur all 180 Tage ändern.
Ein Isenwolf - das war eine sehr spontane Benennung und sollte die Bezeichnung für einen gewöhnlichen Grauwolf sein, im Gegensatz zu den Sternwölfen bzw. Königswölfen in der Geschichte, in der Marv seinen Ursprung hat. Heute lautet der Name für solche Wölfe Kanonikos. Mal ehrlich, die Isenwölfe waren geklaut!
"Aber bei der besten Quelle geklaut."
"Du weißt, wie ich das meine, Lyssa. Wenn ich die Reihe mal veröffentlichen will, dann muss das alles original sein, kein abgekupfertes Isengart!"
"Oh! Genau! Schreib was über das E.G.E.L.!"
Marvins Geschichte, also die Buchreihe über einen Grauwolf mit diesem Namen, der in den letzten Krieg zwischen den mächtigen Sternwölfen und den gewöhnlichen Wölfen, Menschen und Drachen hineingezogen wird, ist Teil meines Ewig Geheimen Epischen Lebenswerks, kurz E.G.E.L. - und ja, die Bezeichnung habe ich absichtlich so gewählt.
Das E.G.E.L. habe ich seit Jahren in Planung. Es wird aus dreizehn Geschichten bestehen, manche davon Einzelbücher, die meisten allerdings Buchreihen. Dabei handelt es sich vor allem um all die Welten, die ich mir schon als Kind ausgedacht habe. Diese wurden mit der Zeit allerdings extrem weiterentwickelt und sind kaum noch als das zu erkennen, was wir damals als Kinder beim Toben gespielt haben. Während die Buchreihen alle in sich geschlossen sein werden, wird eine übergreifende Geschichte erzählt. Es beginnt im ersten Buch mit der Geburt des Bösen und mit dem ersten Helden. Daraufhin beginnt ein ewiger Tanz, während dessen sich die Mächte von Gut und Böse immer weiterentwickeln. Vom 'klassischen' Bösewicht, der einfach nur böse ist, geht es beispielsweise zu komplexen Antagonisten, die eigentlich das Richtige tun wollen. Jede Buchreihe hat somit ihre Identität, ihren Stil, und doch wird es Überschneidungen geben. Figuren, die in mehreren Welten auftauchen, oder ein Echo von Kämpfen in einer anderen Geschichte.
Das E.G.E.L. wird definitiv großartig, allerdings weiß ich noch nicht, wann ich beginnen will. Als ich mit dem Schreiben angefangen habe, so 2010 ungefähr, habe ich den ersten Teil dieser Reihe verfasst. Allerdings war ich eben noch jung und unerfahren, das habe ich ziemlich schnell gemerkt. Somit wollte ich erst einmal Erfahrungen sammeln, andere Sachen ausprobieren, bevor ich mein Lebenswerk angehe.
Am 14.02.2014 habe ich in diesem Zuge beschlossen, täglich eine gewisse Wortzahl zu schreiben. Anfangs war es sogar noch "eine Seite" - je nach Formatierung also viel oder wenig Text. Heute, am 14.02.2024, kann ich stolz sagen, dass ich nicht einen Tag wissentlich ausgelassen habe! Gut, gerade am Anfang habe ich es manchmal vergessen und als 'Entschädigung' dann Strafseiten gemacht - eine intuitiv festgelegte Zahl an Seiten, die ich zusätzlich schaffen musste. Nach diesen ersten Wochen klappte es aber und ich habe das Schreiben nur noch einmal vergessen, da an dem Tag zu viel zu tun war. Da war ich bereits auf Belletristica! Und auch da gab es natürlich Strafseiten.
"Kommen jetzt die langweiligen Wortzahlen?"
"Du weißt, ich nenne nicht gerne Wortzahlen. Das befeuert Vergleiche, und das führt oft zu Gefühlen der Unzulänglichkeit."
"Aber irgendwas musst du doch jetzt erreicht haben, auf das du stolz bist."
Ich halte grinsend inne. "Ich bin sogar sehr stolz! Und sagen wir mal so ... wenn ich einen Euro pro Wort bekommen würde, das ich schreibe, wäre ich unverschämt reich! Auch bei einem Euro alle zehn Wörter. Und sogar bei einem Euro alle hundert Wörter - das würde jedenfalls für meine Verhältnisse vollkommen ausreichen. Das Problem ist nur, jemanden zu finden, der das zahlt ..."
"Womit wir beim nächsten Thema wären!"
Ich will Autor werden. Also, Schriftsteller. Also, so richtig bezahlt und vom Schreiben leben! Das wird vermutlich ein Traum bleiben, aber das heißt nicht, dass ich die Pfoten in den Schoß legen werde. Bisher habe ich drei Veröffentlichungen, bei denen ich aktuell ein bisschen was umstelle. Ich ziehe von einem Anbieter für das Taschenbuch zum anderen und spare damit ein wenig Geld ein. Generell ist Selfpublishing immer eine teure Angelegenheit, und mit diesem Schritt mache ich das ein wenig einfacher zu finanzieren.
"Meinst du, wir sollten den Grund für die Feier auch mal ansprechen?", fragt Lys plötzlich.
"Bin dabei", meine ich schmunzelnd.
Heute habe ich Schreibjubiläum. Ein Jahrzehnt täglichen Schreibens. Zehn Jahre lang, jeden Tag. Oder eben mit Ausgleich, falls ich einen Tag aussetze. Eine Menge Bücher und Projekte sind dabei herumgekommen. Ich habe zweimal eine neue Heimat gefunden, zunächst FF.de, dann bin ich zu Belletristica umgezogen. Die pure Wortzahl würde wohl reichen, um so ein, zwei Zweifler zu erschlagen.
Ich habe viel gelernt, ich liebe das Schreiben noch immer und ich habe unzählige Ideen. Doch das Jubiläum ist für mich auch ein Anlass, in mich zu gehen und meinen bisherigen Weg zu überdenken.
In den nächsten zehn Jahren will ich mich ein wenig auf den Geldaspekt konzentrieren. Ich denke, ich bin nach zehn Jahren "Lehre" bereit, kommerzieller zu arbeiten. Dabei will ich aber natürlich auch Belletristica nicht aufgeben und weiterhin Geschichten kostenlos anbieten. Ich brauche schließlich auch einen sicheren Rahmen, in dem ich experimentieren kann! Allerdings will ich häufiger mal darauf achten, ob man eine Reihe nicht auch kostenpflichtig anbieten kann. Oder ob ich andere Einnahmequellen finde, die mit dem Schreiben zusammenhängen. (Aktuell gibt es ja meine Seite bei Ko-Fi, wo man gaaanz einfach einen beliebigen Betrag spenden könnte ...)
"Sneaky", brummt Lyssa sarkastisch.
"Ja, ja. Es ist eher als Witz gemeint."
"Eher."
"Hey, solange du in meinem Kopf wohnst, aber keine Miete zahlst, bist du einfach still!"
"Schreiben sollte ein Geschenk an die Welt sein", holt Lyssa jedoch aus. "Dafür Geld zu verlangen ist, wie die Luft zum Atmen zu besteuern oder die Zeit zum Träumen ..."
Wie bereits erwähnt, werde ich immer noch einen Weg suchen, Texte von mir online anzubieten. Es gibt auch mehr als genug Buchreihen, die ich erst mal beenden müsste - und die ich nicht kommerziell vertreiben kann. Es gibt da dieses Spielbuch, das ich 2014 angefangen habe ... Generell will ich das Veröffentlichen online auch nicht aufgeben. Ich werde aber mehr dazu übergehen, Bücher fertigzustellen, ehe ich sie eventuell mal hochlade. Der Druck, dass ich mit dem Upload-Rhythmus mithalten muss, wäre auf Dauer einfach zu stressig. Bis ich hier alle 'Altlasten' aus zehn Jahren abgearbeitet habe, wird es allerdings noch etwas dauern. Genauer, vermutlich dieses und das nächste Jahr.
"Nur, wenn ich dem nicht helfen kann."
"Keine neuen Ideen!" Ich sehe Lyssa streng an. Wenigstens hat sie ihre Streitrede beendet.
So, damit bleibt mir nur ein Abschluss. Ich liebe das Schreiben. Und ich bin dankbar für alle, die diese Passion mit mir teilen. Die Zeug aus grauen Pfoten lesen oder sich über Bücher unterhalten oder Schreibtipps verteilen! Ich bin dankbar um eine Welt, wo die meisten Leute lesen und schreiben lernen, und um einen Ort wie das Internet, wo man Gleichgesinnte und Inspiration finden kann. Ich bin froh, genau hier zu sein, wo ich meine Geschichten tipseln kann. Ich werde demjenigen, der mich zu täglichem Schreiben ermutigt hat, für immer dankbar sein. Ich liebe den Austausch mit anderen Autoren, mit Lesern, das Pseudonymchaos, das auf Belletristica entstanden ist, Belletristica selbst und - habe ich das Schreiben schon erwähnt?
Feiern wir zehn fleißige Jahre, preiset die Brotchips und: Auf die nächsten zehn Jahre!
"So!" Entschlossen tippe ich das letzte Ausrufezeichen und trete von der Schreibmaschine zurück. "Genug Gesülz, genug trockene Zahlen - ich will Brotchips!"
Wie zufällig öffnet sich die Tür. Mobu sieht herein, allerdings glatt an mir vorbei. Er ist eben blind. "Marv? Es ist so weit."
"Endlich!" Ich flitze an ihm vorbei nach draußen. Die Pseudonyme stehen mit einer großen Brotchipstorte im Gang, Kerzen brennen und irgendwas singen sie offenbar auch. Ich bin allerdings auf die Brotchips fokussiert. Kurz, bevor ich die Torte erreiche, heben der Weltenwanderer und die Weltenreisende die Köstlichkeit allerdings außer Reichweite.
"Was denn jetzt schon wieder?"
"Da war doch noch ein Geschenk", sagt Alex streng. Der Weltenwanderer mustert mich.
"Ich kriege Geschenke?"
"Nein", sagt die Weltenreisende - Kevin - gedehnt. "Du wolltest was schenken."
Ach ja.
Schicksalsergeben setze ich mich vor die Torte, versuche, nicht zu sabbern, und wühle stattdessen in dem Lederharnisch. Diese kleine Rüstung, die unter anderem einen Saphir enthält, in den Lyssa sich zurückziehen kann, hat auch eine Tasche, aus der ich nun drei zusammengerollte Seiten hole. Die kleine, von einem Band gehaltene Rolle lege ich feierlich vor mich.
"Das hier, 'Wolfsruf', ist eine Ballade, die ich schon vor einigen Jahren geschrieben habe. Es geht um den Kampf zwischen Gut und Böse, und um einen grauen Wolf. Ich bin ... richtig, richtig stolz darauf und ich habe immer nach der richtigen Gelegenheit gesucht, um sie zu veröffentlichen. Heute scheint ein guter Tag dafür zu sein. 'Wolfsruf' soll das inoffizielle Intro zum E.G.E.L. sein, ein Prolog, der mehr die Stimmung als die Handlung einfängt, aber dennoch untrennbar mit meinem Herzenswerk verknüpft ist." Und wie immer, wenn ich etwas besonders gelungen finde, bin ich unsicher, ob ich mich der Kritik stellen will. Andererseits, wir lernen nicht durch Schweigen!
Die Ballade, als Beginn meines E.G.E.L.s, soll ein Versprechen sein. Ich werde diese Reihe schreiben, vielleicht noch nicht in diesem Jahr oder im nächsten, aber ich habe es nicht vergessen. Das E.G.E.L. ist mein wahres Ziel, so sehr ich jedes andere Buch auch liebe. Und eines Tages, da wird es so weit sein.
Ich entrolle die Pergamente mit einem sanften Stupser. Es ist an der Zeit.
"Lass mich dir von einem Traum erzählen ..."
[https://belletristica.com/de/books/14791/chapter/51065]
"Und jetzt!" Ich sehe die Pseudonyme strafend an. "Kuchen!"
"Und danach wird weitergeschrieben!", kräht Lyssa.
"Und vergiss das Pen&Paper heute nicht", ruft das Hyphurion.
"Und die Wichtelteilnehmer!", meckert irgendjemand.
Tja. No Rest for the Wicked.