Der Festplatz ist bunt geschmückt. Geschnitzte Kürbisse erleuchten den Platz, Girladen aus getrockneten Herbstblättern bilden einen leise raschelnden Ring um die gedeckten Tische und Bänke, auf denen die Belletristicans ihr Herbstfest feiern, Kürbiscremesuppe schlürfen und Marshmellows und Esskastanien über den Feuern rösten.
Inmitten des Trubels turnt ein kleiner Fleckenhalsotter über die dekorativen Zweige und versucht offenbar, daraus einen Damm zu bauen, den die Leute auf dem Rückweg von der Bar passieren müssen. Als Maut verlangt Xenon lauthals einen Schluck Apfelwein oder Kürbisschnaps, jedenfalls so lange, bis Marvin der Graue das mitbekommt und den Otter zur Rede stellt.
Zwischen dem Zweighaufen liegt auch eine bunte Tasse, aus der man hin und wieder schüchterne Stielaugen lugen sieht. Timofei arbeitet sich unauffällig über den Tisch vor und hat es offenbar auf ein kleines, bunt geflecktes Blatt abgesehen, dass der Einsiedlerkrebs als Andenken mitnehmen will.
Ein Otter flitzt vorbei, dicht gefolgt von einem wutentbrannten Wolf. An einem der Tische erhebt sich Gelächter, doch der kalte Wind trägt es fort, bevor es Marvin Grauwolf erreicht. Der Wolf hat sich ein wenig von dem Fest entfernt und sitzt nun unter dem Sternenhimmel. Der Wind, der in sein Fell fährt, hinterlässt dort einige winzige Eiskristalle. Marvin schaudert und öffnet das Maul leicht, eine weiße Atemwolke entsteigt zum Himmel.
Der Wolf ist unruhig.
cyber_doggo an einem der Tische gibt ein paar Pieptöne von sich.
„Das ist vermutlich nichts, nur ein gewöhnliches Gewitter“, antwortet der Urdoggo, der cyb gegenüber sitzt, neben dem Sumpfmann, und auf herabfallendes Bier oder Fleischstücke lauert.
In diesem Moment grollt Donner. Marvin Grauwolf sowie die meisten anderen Tiere heben den Kopf und spitzen die Ohren. Auch die menschlichen und menschgestaltenen Belletristicans verstummen. Löffel mit Suppe werden zurück auf den Teller gesenkt. Die kleinen Grüppchen, die weiter weg vom Zentrum des Festplatzes standen, kommen langsam zurück zur großen Menge der Feiernden. Alle sehen in den Himmel, wo inmitten der Sterne ein rotes Licht aufleuchtet.
„Die Leuchtfeuer der Zitadelle!“ Marvin der Graue hüpft durch die Menge. „Die Leuchtfeuer brennen! Belletristica ruft um Hilfe.“
„Und die User werden antworten“, murmeln ein paar verstreute Herr-der-Ringe-Nerds zur Antwort.
Ich schnaube bestätigend. Momentan stecke ich nämlich im Körper des Pferdes Macchiato und behalte den Knochenknurpsler im Auge, der sich am Rand des Grusellabyrinths herumdrückt und unschuldige User erschrecken will. Jetzt wendet er sich ab, wirft mir einen finsteren Blick zu, als er seinen Bewacher entdeckt und trottet zum Festplatz, wo inzwischen Hektik ausgebrochen ist. Ich sehe Mobu Cajatoshija, der sich Timofei schnappt und den Krebs kurzerhand in seine Tasche stopft – immerhin hat Timo vorher sein Blatt erwischt. Dann kommen der Feuerelb und in seinem Schatten der Weltenwanderer auf mich zu. Mobu hilft dem Weltenwanderer auf meinen Rücken und schwingt sich elegant hinterher. Mobu ist ein wirklich guter Reiter.
Ich steige auf die Hinterbeine, um einen besseren Überblick zu erhalten. Die durcheinanderlaufenden User machen es nicht leicht, meine Wolfshorde zu erkennen. Ah – da sind sie ja! Zuerst entdecke ich Lyssas strahlend blaues Licht, dicht dahinter Sylas. Als die Krea-ichs (oder eher Dunkel-ichs – na ja, wer blickt da schon wirklich durch?) näherkommen, entdecke ich auch die jeweiligen Wölfe, die unter den Lichtkugeln laufen. Marvin der Graue unter Lyssa und der Knochenknurpsler unter Sylas. Neben Knochi kommen seine Brüder Urdoggo und cyber_doggo und dahinter der graue Nivram. Über cyb schwebt das Krea-ich (°^°)7 in ebenjener Gestalt. Ich setze mich bereits in Bewegung, bevor sich auch Marvin Grauwolf und Marvin der Schlaue uns anschließen. Die sechs Wölfe halten mühelos Schritt, bis Marvin der Graue plötzlich von einem kleinen, graubraunen Fellknäuel angesprungen wird.
„Nein, Xenon! Wir hatten darüber gesprochen, du bist zu jung und bleibst hier.“
„Ich komme mit oder ihr bleibt alle hier!“, schimpft Xenon und klettert auf Marvs Schulterblätter, wo der Wolf ihn nicht erreichen kann.
„Xenon!“, grollt Marv.
„Lass ihn doch“, beschwichtigt Marvin Grauwolf ihn. „Der Otter hat das dritthöchste Level von uns.“
Zähneknirschend gibt Marv es auf, den Otter zu jagen, und eilt weiter. Wir haben den Pulk der Belletristicans inzwischen etwas hinter uns gelassen und befinden uns auf den Wiesen rings um den Festtagsplatz. Überall um uns herum zischen Teleportationstränke, Portale und ähnliche Schnellreisemittel. Sogar die Loreley ist am Himmel zu sehen, die User ohne eigene Transporationsmöglichkeit abholt. Unser von einem Pferd angeführtes Wolfsrudel wird schneller und ich spüre, wie der Weltenwanderer auf meinem Rücken sich bewegt. Er streckt eine Hand nach vorne und ein goldgerahmtes Portal öffnet sich vor uns.
Mit weit ausgreifenden Hufen und gestrecktem Hals fliege ich darauf zu. Die Wolfspfoten trappeln um mich herum. Schnee weht uns aus dem weißen Inneren des Portalwirbels entgegen, dann springe ich mit einem kräftigen Satz hinein.
Auf der anderen Seite ist es klirrend kalt und windstill. Ich bremse auf dem breiten Wehrgang der hohen Mauer von Wolvesgate. Vor uns liegen die Schneefeldes des Breach' und dahinter das eisige Meer an der Nordgrenze von Editoria. Knirschend bewegen sich die riesigen Eisplatten. Dichter Nebel hängt in der Luft und verwehrt uns den Blick in die Ferne.
Überall auf den Zinnen erscheinen Belletristicans, viele strömen aus den Wachtürmen, die in regelmäßigen Abständen aus der Mauer ragen. Weiter im Westen, beim Dragonsgate, materialisiert sich die Loreley in der Luft.
Nahezu lautlos verteilen sich die Verteidiger auf der Mauer. Mobu schwingt sich von meinem Rücken und hilft dem Weltenwanderer herunter. Dann hebt er Timofei mit einer Hand vor sein Gesicht. Der Krebs hat sich in seine Muschel zurückgezogen.
„Keine Angst, Timo, du schaffst das“, ermutigt der alte Feuerelb ihn.
„Bro!“ Marv läuft schwanzwedelnd los, als er die beiden Bellologen nicht weit entfernt entdeckt. Unterwegs grüßt er die Bekannten, die sich auf diesem Stück der Mauer eingefunden haben – auch dich, werter Leser!
Stille kehrt ein. Man hört nur das gelegentliche Rascheln von Kleidung und das Knarzen des Eises. Angestrengt spähen wir in den Nebel, aus dem sich plötzlich große, dunkle Schatten schälen. Riesige, schwarze Schiffe mit zerfetzten Segeln. Lautlos, fast schon unwirklich schieben sich die Giganten dem Ufer entgegen. Wir warten darauf, dass die Dämonen an Land springen, doch stattdessen ertönt plötzlich Knarzen und Knallen …
„Katapulte!“, brüllt Khaeli, die wie aus dem Nichts über uns schwebt.
Schon sehen wir riesige, brennende Geschosse aus dem Himmel regnen. Jede dieser Kugeln ist so groß wie eine Hütte!
Die Belletristicans brüllen und rasseln mit ihren Waffen. Leuchtende Buchstaben formen sich aus der Luft um sie herum und bewegen sich nach vorne, schon hüllt ein Regenbogen aus Worten und Sätzen uns in einen schützenden Schild. Luan feuert erste Salven aus der "Winter-Invasion des Topas-Fuchs'". Marv holt weit mit dem Bruden aus und donnert den Wälzer auf die ersten Dämonen, die an Land gesprungen sind und sich der Mauer wie eine schwarze Flut nähern.
Der Kampf beginnt.