„Komm schon!“ Aufgeregt hüpfe ich über die Kuppe des grauen Berges, flitze voraus und warte dann, dass mein Bro zu mir aufholt. Luan sieht sich neugierig um. Seitdem ich ihm Ende Oktober verboten habe, mich weiter hier zu besuchen, hat sich einiges verändert. Vor allem sind die Texte, die auf diesem Profil bleiben werden, endlich sortiert und strukturiert worden, während die Relikte alle schon ihre Ziele in den Pseudonymsiedlungen haben.
Aber natürlich waren das alles keine Gründe, um meinen Bro von hier fernzuhalten und mit der Invasion der Dämonen hat das auch wenig zu tun. Aber während wir beide uns in Arbeit gestürzt haben, musste hier noch eine andere kleine Baustelle fertiggemacht werden.
„Bist du soweit?“ An der Burgmauer halte ich an.
Mein Bro nickt.
„Dann mach die Augen zu.“
„Okay …“ Luan schließt die Augen.
„Und jetzt komm!“ Ich springe voraus.
Tapps. Tapps. Bämz. „Au.“
„Bro?“ Besorgt kehre ich zurück und finde meinen Bro auf dem unebenen Boden vor. Allmählich dämmert mir, dass ich einen signifikanten Denkfehler hatte.
„Nichts passiert“, stöhnt Luan und setzt sich auf. „Aber vielleicht solltest du mich führen.“
„Natürlich.“ Ich warte, bis mein Bro wieder steht, die Augen schließt und eine Hand auf meinen Kopf legt. Dann führe ich ihn langsam und alle Ungeduld unterdrückend vorwärts. Der Wind schlägt uns heftiger entgegen.
„Gehen wir etwa zu den Klippen?“, fragt Loki und klingt dabei nur ein winziges bisschen beunruhigt.
„Noch ein paar Schritte … jetzt kannst du die Augen öffnen!“
Stille. Nach einer Weile drehe ich mich um. „Bro, du kannst … oh, du hast die Augen ja schon offen.“
„Was ist das?“, fragt mein Bro, der das kleine Gebäude mit offenen Augen und offenem Mund anstarrt.
Ich trete verlegen von einer Pfote auf die andere. „Ein traditionelles, japanisches Teehaus mit Miniatur-Zengarten.“
„Ist das süß!“, sagt mein Bro verzückt.
Ich atme erleichtert auf. Dann trotte ich über den weißen Kies – der ist an den Pfoten echt pieksig, aber er gehört eben dazu – durch den Bonsaiwald und am Karpfenteich vorbei. Im Teich schwimmen aber nur ein paar Goldfische. Hinter den Papierwänden erwartet uns ein einziges Zimmerchen mit großen, runden Fenstern in allen drei Wänden. In der Mitte steht ein Teeset, zwei Bonsai-Kirschbäumchen stehen in den hinteren Ecken und bis auf einige Matten ist der Raum fast leer. Nur ein Bambusregal steht an der vorderen Wand neben der Schiebetür und ist bis oben hin gefüllt mit Tee: Teebeutel, rechteckige Teepackungen, Teetassen und Teelöffel, Gläser mit Kräutermischungen, Tütchen mit Kräutermischungen, Holzkästchen mit Kräutermischungen …
Loki atmet tief ein. „Oh, wie das duftet!“
„Ja, ich liebe den Geruch! Oder eher die Gerüche. Komm, guck dir mal die Sorten an!“
Mein Bro tritt also an das Regal. Jedes Fach besitzt unten eine kleine Reihe Etiketten mit Namen drauf. Viele Namen sind ausgesprochen lang. ‚Wanderung in den Bergen‘, ‚Surfspaß‘, ‚Segeln mit Ausflug nach Atlantis‘, ‚Reise in die Zukunft zur Veröffentlichung von Ori and the will of the wisps‘, ‚Verlassenes Tokio‘, ‚Quallentauchen‘, ‚Geisterjagd im Nebelwald‘, ‚Paddeln und Angeln‘ …
Luan betrachtet auch die Bilder an den Gläsern und die Aufdrucke der Teepackungen, die epische Landschaften zeigen. „Das sind ja unsere Traumcafé-Orte!“
Ich grinse breit. „Genau, das ist Traumtee. Du hast es erkannt!“
„Natürlich!“ Luan klingt empört, dass ich daran gezweifelt habe.
„Und im Regal ist noch Platz für viel mehr!“, sage ich deshalb schnell.
Luan hebt eine Augenbraue und sieht zum von oben bis unten gefüllten Regal. „Wo?“
„Man kann die Sachen in zweiter, dritter und vierter Reihe stellen.“
Loki muss lachen. „Das wird aber chaotisch.“
Ich grinse wölfisch zurück. „Passt doch!“
Luan wird ernst. „Das Häuschen ist super schön geworden!“
Ich setze mich vor das zentrale Fenster und Loki hockt sich neben mich. Von hier aus können wir das leichte Schneetreiben vor den Klippen beobachten und auch den Pavillion etwas weiter draußen erkennen.
„Fröhliches Einjähriges.“ Ich schmiege mich an Brokilu.
„Danke, Bro. Dir auch.“