Ein One-Shot aus der 60 Minutes Challenge:
Habseligkeiten
Luke konnte es kaum erwarten, Gingers Gesicht zu sehen, wenn er ihn am frühen Nachmittag mit einer Tüte voll leckerer Donuts überraschen würde. Seinen Dienst hatte er heute etwas früher beenden können und sein Superintendant hatte ihm für morgen frei gegeben, quasi als Ausgleich für die Überstunden der letzten Woche. Wenn das kein Grund zum Feiern war! Sicher könnte sich sein Süßer nachher auch den Abend freischaufeln. Das wäre eine tolle Gelegenheit für einen romantischen Abend mit Junkfood, einem ausgiebigen Bad und dann vielleicht einem schwarz/weiß Klassiker, als ausgedehntes Vorspiel, sozusagen. Solche und noch heißere Gedanken ließen Luke die Wendeltreppe zu ihrem Loft regelrecht emporschweben, doch oben angekommen, als er kurz überlegte, ob er Ginger mit einem lauten Rufen oder einem leisen Schleichen überrumpeln wollte, fiel ihm die seltsame Stille auf. Von drinnen hörte man rein gar nichts. Ginger war Tänzer und um diese Zeit lief immer irgendeine Musik, zu der er neue Moves ausprobierte oder sich für seine Show später aufwärmte und dehnte.
Ein ungutes Gefühl überkam Luke. Zu frisch waren die Erinnerungen an die Ermittlungen in der Mordserie, die ihn und seinen Mann zusammengeführt hatten, als dass er den kalten Schauer ignorieren könnte, den ihm der Anblick des scheinbar verwaisten Lofts bescherte. Geräuschlos öffnete und schloss er die Tür. Der Duft von Tee lag in der Luft. Falls Ginger nicht hier war, war er noch nicht lange fort. In der Wohnküche war alles an seinem Platz. Vielleicht, so schalt sich Luke innerlich selbst, geht es meinem Süßen heute nicht gut und er ist mit einem Tee wieder ins Bett gekrochen. Warum so eine Panik?
„Engel? Bist du oben?“, warf er jetzt in den Raum und blickte zur Empore, wo sich der Erker befand, der ihnen als Schlafzimmer diente. Es kam keine Antwort und doch hatte Luke das Gefühl, er läge mit seiner Vermutung richtig. Das Loft war nicht leer, aber trotzdem stimmte etwas nicht. Er legte die Tüte mit den Donuts auf den Küchentresen, dann nahm er die Stiege nach oben. Dort angekommen ging er bedächtig Richtung Erker, um Ginger nicht zu wecken, falls er krank im Bett lag und schlief. Aber das war nicht der Fall. Stattdessen konnte Luke nun sehen, dass sein Mann regungslos auf dem Boden vor dem Bett saß und irgendetwas in Händen hielt, was so nicht zu erkennen war. Die chinesische Truhe, in der er seine Bühnenoutfits und ein paar verschiedene Habseligkeiten aufhob, stand offen und einige Dinge wie Nietengürtel, Hals- und Armbänder, lagen verstreut. Als er Luke bemerkte, blinzelte Ginger und schaute, als käme er von ganz weit weg.
„Engel, was hast du?“ Die Stimme des jungen Sergeants war nur ein sanftes Flüstern.
Der Angesprochene schüttelte seinen Kopf mit dem feuerroten Haar, wie um ihn klar zu bekommen.
„Du bist früh zurück, wie schön!“, brachte er heraus. Es klang viel zu beiläufig, als dass es echte Freude ausdrückte und tatsächlich senkte Ginger sogleich den Blick, weil er selbst merkte, dass er seinem Liebsten nichts vormachen konnte.
„Was immer es ist, was du da unten in der Kiste gefunden hast“, begann Luke, dem inzwischen dämmerte was los war, „ich bin dafür, du spülst es im Klo runter oder wir zünden es draußen auf dem Dach an.“
Es konnte nur irgendein Ding sein, das Ginger an seine Vergangenheit in Belfast erinnerte. An seine dysfunktionalen scheiß Eltern oder seinen gewalttätigen Ex-Freund.
„Und? Was sagst du?“, fuhr Luke fort und gab seiner Stimme einen aufmunternden Ton. „Lassen wir es sinken oder brennen? Hinterher gibt’s Donuts.“
Der erste Hauch eines Lächelns erhellte Gingers Züge, gerade so, als erschiene das erste Morgengrauen eines neuen Tags.
„Brennen“, sagte er schließlich und stand auf. „Lassen wir das Zeug brennen!“