Anbeißen
Gegen Abend kamen die beiden jungen Männer bei Sean und Oscar zuhause an. Die zwei wohnten in einer der ruhigeren Ecken von Kensington, in einem dieser typischen, georgianischen Reihenhäuser aus dem 18. Jahrhundert. Vorn gab es einen kleinen Vorgarten mit ausschließlich gelben Blumen und einen Aufgang zwischen zwei Säulen, der direkt zu der kanariengelben Eingangstür führte. Luke hätte fast mit einem Butler gerechnet, aber stattdessen öffnete Sean selbst.
„Oh my Goood, da sind sie schon!“, rief er ins Haus hinein und machte dann einen Satz nach vorn, um erst Gabriel und dann Luke zu umarmen. „Kommt rein, kommt rein …“
Gabriel und Luke ließen sich hineinführen, direkt bis in die riesige Küche, wo Oscar noch mit ein paar Kleinigkeiten an der Kücheninsel beschäftigt war.
„Hi, ihr beiden“, begrüßte er sie und deutete auf zwei Barhocker, die noch leer daneben standen. Zur Begrüßung brachte Sean direkt für jeden ein Glas „Schampus halb und halb, mit Schirmchen“.
Der Tänzer kannte das sicher schon, denn ihn schien das alles nicht weiter zu wundern. Luke dagegen war wohl noch nie bei so einem schrillen Paar zu Besuch gewesen. Er schaute sich um und stellte fest, dass es sowas wie ein System aus Kunst und Kitsch in der Einrichtung gab. Manches sah richtig teuer aus, anderes wiederum schien vom Flohmarkt zu kommen. Aber da alles offenbar mit Liebe zu Farben, Formen und Material zusammenkam, ergab sich doch ein harmonisches Ganzes irgendwo zwischen Arbeitsplatten aus Marmor und originaler Kuckucksuhr.
„Schön habt ihr es hier“, hörte sich Luke sagen. Und er meinte es auch so. Verglichen mit der Designerwohnung seines Anwaltsfreundes, Ex- Freundes – wie er sich in Gedanken sogleich berichtigte- hatte Sean und Oscars Haus deutlich mehr Charme und erzählte von ihrem gemeinsamen Leben.
„Oh, das freut mich sehr“, strahlte Sean. Er hatte jedem ein Glas gegeben und Oscar kam jetzt zum Anstoßen dazu.
„Schön, dass ihr hier seid“, sagte er zum Toast. Nach dem ersten Schluck ergänzte er, „und weil heute Sonntag ist, lasst uns den Grund, warum Luke hier ist, heute Abend vergessen.“
Der junge Sergeant stimmte dem sogleich begeistert zu, denn der Tag war bisher zu schön für jede Art von schrecklichen oder trüben Gedanken. „So soll es sein!“
Während des Essens merkte keiner von ihnen, wie die Zeit verging. Von der Vorspeise bis zur Nachspeise war alles super lecker und sie unterhielten sich miteinander über die unterschiedlichsten Dinge. Natürlich fragte Sean nach dem Date im Park und natürlich fragte Oscar nach der Polizeiausbildung. Natürlich fragte Luke, wie sich die beiden kennengelernt hatten und natürlich fragte Gabriel, welche Musik Luke denn eigentlich mag. Irgendwann holte Sean ein Album aus einem Schrank, der mehr an einen Schrein erinnerte und zeigte darin seine Autogramm- Sammlung von allen möglichen Künstlern. Tatsächlich war auch Elton dabei und selbstverständlich die Pet Shop Boys, die auch schon mal im Elysium aufgetreten waren.
Schließlich war es spät geworden und Zeit, den Abend zu beenden. Also bedankten sich die beiden Gäste bei ihren Gastgebern und verabschiedeten sich mit einer Umarmung für jeden. Draußen wartete bereits ein Taxi, das Oscar gerufen hatte, damit es sie zurück zum Club brachte. Gabriels Einwand, dass sie genauso gut laufen könnten, wurde schlichtweg ignoriert und Oscar schob ihn regelrecht hinein in den Wagen, Sean klopfte auf das Dach des Taxis und kaum war Luke ebenfalls hinten auf der Rückbank, da ging die Fahrt schon los.
„Das ist echt nicht notwendig, wir könnten das problemlos in zwanzig oder fünfundzwanzig Minuten laufen“, murrte Gabriel und sah dabei zum Anbeißen aus, wenn er bockig war.
„Warum willst du unbedingt laufen?“, fragte Luke halb neugierig, halb amüsiert. Der rothaarige Engel schaute ihn, noch immer etwas mürrisch an.
„Ach, weiß auch nicht. Ich will nicht, dass unser Date so schnell zu Ende ist, denke ich.“ Wie süß war das denn?
Der Blonde lächelte jetzt und nickte. „Okay, das will ich auch nicht“, gab er zu, schaute nach vorn zum Fahrer, der auf die Straße blickte, dann zu Gabriel, der sich von dem Lächeln hatte anstecken lassen.
„Komm her, du irischer Dickschädel“, raunte Luke, legte seinen linken Arm um ihn und nahm den Linken von Gabriels Armen, um ihn sich an die Hüfte zu legen, Gabriel verstand sofort, schlug das linke Bein über Lukes rechtes Knie und rückte heran. Mit seiner freien Rechten hob der Blonde ihm das Kinn an, sodass sie sich nun küssen konnten. So leidenschaftlich, wie der Tänzer jetzt in Fahrt kam, musste seine Hand vom Kinn in den Nacken, ins Haar wandern, um ihnen besseren Halt zu geben. Gabriels Lippen stupsten die von Luke immer wieder und mit seiner Zungenspitze bettelte er um Einlass. Der junge Sergeant ließ ihn und stieg darauf ein. Das Gefühl, das ihn überkam, war eine Mischung aus Hingabe und Vorfreude, denn eines signalisierten ihm die Schmetterlinge in seinem Bauch: dieses Mal wollte er auf’s Ganze gehen. Für einen Moment vergaß er alles um sich herum und spürte nur, wie Gabriel ihn mit Lippen und Zunge liebkoste, dann zog er die Notbremse, weil er nicht mit einer Erektion aus dem Taxi steigen wollte.
„Du … lass … warte … kurz, bis …“ Er sah den Blick in Gabriels geheimnisvoll grünen Augen, der anzeigte, dass er begriff. Der Engel nahm sich zurück und lächelte gar kein bisschen engelshaft. Seine Lippen formten stumm die Worte „ich will dich“, so viel erkannte Luke und konnte es kaum erwarten. Dann, endlich, hielt das Taxi im Hinterhof des Elysium. Gabriel verlor keine Zeit und war im Nu aus dem Wagen heraus und trommelte ungeduldig mit den Handflächen auf dem Dach, während Luke herausfand, dass Oscar den Fahrer bereits bezahlt hatte. Kaum fuhr der Wagen an, da nahm er den rothaarigen Iren bei der Hand und zog ihn hinter sich die Feuertreppe zum Loft herauf.
Oben im Loft gab es ein Stolpern, Stupsen und Schieben, bis die zwei es endlich geschafft hatten, auch die Treppe zur Empore hinaufzusteigen. Luke war als erster oben und kaum war Gabriel von der letzten Sprosse getreten, da zog er ihn mit solchem Schwung zu sich heran, dass der laut auflachte. "Woah!" Gleich darauf schloss der Blonde ihm die Lippen mit einem stürmischen Kuss, den der Engel nicht weniger wild erwiderte. Luke hielt seinen Rotschopf in beiden Händen und landete mit dem Rücken an der Wand, gegen die er mit Gabriels ganzem Körper geschoben wurde. Der drängte sich an ihn und ging ihm mit einem seiner Beine zwischen die Beine, sodass beide Männer deutlich spüren konnten, wie sehr der jeweils andere schon erregt war. Der Rothaarige stütze einen Arm an die Wand, die andere Hand schob er unter Lukes Shirt und fuhr ihm an Seite und Brust entlang.
Dem Sergeanten wurde heiß. Da war definitiv zu viel Stoff zwischen ihnen. Luke nahm seine Hände jetzt zu Hilfe und zog erst sich, dann dem Iren das Shirt über den Kopf. Ihre Küsse mussten sie dafür unterbrechen, was Gabriel die Gelegenheit gab, aufreizend lächelnd mit dem Kopf zu seinem Erker zu deuten. Luke hatte keine Zeit, zurückzulächeln, denn gleich waren die fordernden Engelslippen wieder an den seinen und jetzt ließ er sich rückwärts stupsen und schieben, bis er die Bettkante in seinen Kniekehlen spürte. Sogleich ließ er sich hintenüberfallen und der Rothaarige war im selben Moment rittlings über ihm und zerrte und zog ihm an Gürtel und Hose, um sie gleich darauf abzustreifen. Kaum hatte er sie zur Seite geworfen, da war er selbst dran.
Der junge Sergeant zog ihn erst zu sich herunter, dann drehte er sie beide herum und kaum war der junge Ire unten, da zog der andere ihm gleichsam die Hosen vom Leib. Luke atmete bereits schwer und der Anblick des Tänzers vor ihm, nackt, erregt, mit leichtem Sonnenbrand und einem erwartungsvollen Lächeln, gab ihm den letzten Rest. Er ließ sich auf ihm nieder und sie küssten sich abermals, während sie sich mit ihren Armen umschlangen und aneinander rieben. Aber dabei sollte es dieses Mal nicht bleiben. Ich will dich, hatte der junge Ire im Taxi ohne Worte gesagt. Also war es an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun. Er unterbrach ihre Küsse mit eindeutiger Frage. „Hast du was da?“
Der Rothaarige unter ihm nickte und deutete in Richtung des kleinen Nachtschranks. Luke erinnerte sich, rollte kurz zur Seite und angelte hervor, was sie brauchten. Etwas ungeschickt, weil ihn das Bevorstehende zu sehr erregte, versah er sich mit einem Kondom und Gleitgel, das er eilig und großzügig auftrug. Er hörte Gabriel aufgeregt atmen, dann raunte er ein schlichtes, aber unmissverständliches „Komm schon“, was er bestimmt nicht zweimal sagen musste. Luke brachte sich nun in Position, stütze sich mit einem Arm neben dem Rotschopf auf, suchte Blickkontakt mit ihm und als er sicher war, drang er langsam, aber ohne Zögern ein. Gabriels Augen weiteten sich vor Lust, er hielt den Atem an, dann stöhnte er auf. Luke wagte kaum zu atmen, dann setzte die sexuelle Sensation mit Macht ein. Er spürte ihre Vereinigung am ganzen Körper, der nun von heißen und kalten Schauern gleichzeitig durchflutet war. Und er spürte die Enge, Hitze und den rasenden Puls des jungen Iren unter sich. Für einen Moment wagte er nichts weiter, dann legten sich ihm Gabriels kräftige Arme um Hals und Schultern und er zog ihn enger zu sich, bis er ihm ins Ohr flüsterte. „Mach jetzt.“
Gleich darauf begann Luke mit weiteren Küssen und ersten, noch zaghaften Stößen, die ihn und den Engel aber bereits gleichermaßen aufbeben ließen. Der junge Ire begann, sich lustvoll zu winden und sein Griff wurde fester. Der Blonde steigerte nun den Rhythmus seiner Stöße, was ihn näher und immer näher an den Rand seiner Ekstase trieb, gleichzeitig spürte er, wie sich Gabriels Härte mehr und mehr zwischen ihnen rieb. Ihr keuchender Atem mischte sich immer mehr, er kam immer schneller und heißer, wurde mehr und mehr zu einem lauten Stöhnen und es war klar, dass dies nicht mehr allzu lange dauern könnte. Der junge Ire schien bereits völlig aufgelöst, ein feuchter Glanz überzog seine Haut, das rote Haar klebte in Strähnen an der Stirn, seine Beine suchten Halt. Der junge Sergeant verlor nahezu jede Kontrolle und trieb sich immer und immer wieder in ihn hinein. Gabriel schlang seine Beine im nächsten Augenblick um ihn, was ihn zusätzlich antrieb, dann, mit einem Mal, erbebte der junge Mann unter ihm, seine Muskeln zuckten, seine Hitze ergoss sich zwischen ihnen und Luke sah plötzlich weiß und rot und kam mit einem kräftigen Stoß tief in ihm. Gabriel bäumte sich auf, Luke stieß nach, nochmal und abermals, bis sein Orgasmus langsam abebbte und er erschöpft nachließ.
Sogleich suchte er Augenkontakt mit dem jungen Iren, wie um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung war. Und das war es wohl, denn seine Augen und sein ganzes Gesicht strahlten Luke regelrecht an. Seine Brust hob und senkte sich und wenn das überhaupt möglich war, dann wirkte er auf Luke noch schöner als zuvor. Er strich ihm die losen Locken aus dem Gesicht und küsste ihn zärtlich. So zog er sich behutsam zurück und legte ihm den Kopf auf die Brust, wo sein Herz noch immer schneller schlug. So lag er da und spürte die Wärme von Gabriels Körper, den angenehmen Geruch seiner Haut. Dann, ohne jede Vorwarnung, kam dem jungen Sergeanten der Gedanke, dass der Engel genauso sterblich und verletzbar war, wie alle anderen auch. Was sollte er nur tun, um zu verhindern, dass ihm jemals wieder etwas Böses geschah und womöglich Schlimmeres als zuvor?
Ohne es zu merken, schloss er ihn ganz fest in seine Arme und begann leise zu weinen. Gabriel musste das mitbekommen und stupste ihn mit dem Kinn im Haar.
„Hey, du, was ist los?“, fragte er ebenso leise wie sanft, „willst du mich zerdrücken?“
Der Blonde hob den Kopf, um ihn anzusehen. Da erkannte der junge Ire, was los war.
„Schschscht, ganz ruhig, alles ist okay“, versuchte er zu trösten und gab immer wieder kleine Küsse in das blonde Haar. „Du kriegst den Typen und der kriegt keinen mehr von uns …“