Nein
Als Luke wieder halbwegs klar denken konnte, schob er sich durch die Menge zur Bar. Die Show war vorbei und die Nacht hatte nun ihren Höhepunkt überschritten, war aber noch nicht vorbei. Am Tresen angekommen sah er, wie Ginger sich lässig mit den Fingern durchs Haar strich, die Geldscheine vom Hosenbund einsteckte und dann eine Flasche Wasser auf ex trank. Als er merkte, dass er dabei beobachtet wurde, wischte er sich den Mund am Unterarm und strahlte den anderen jungen Mann an. Ja, verdammt, du weißt, wie heiß du bist, aber das hat nichts mit mir zu tun. Als nächstes zwinkerte Ginger und wandte sich dann den völlig euphorisierten Männern an der Bar zu. Alle wollten jetzt unbedingt etwas zu trinken von dem Tänzer, alle würden sich wünschen, sie könnten mehr kriegen als das und Luke konnte sehen, dass der eine oder andere es sich herausnahm, dem Rothaarigen über die Finger zu streichen, wenn er den Drink abstellte, ein oder zwei waren noch mutiger und packten ihn am Handgelenk, um ihm dann etwas zuzurufen, was wohl nur Ginger allein verstehen konnte, denn die Musik war inzwischen wieder in vollem Gange. Seine Mimik verriet, dass er, was auch immer es war, verneinte oder ablehnte. Was lief da? Waren das Flirtversuche oder sogar eindeutige Angebote? Ginger hatte gesagt, dass Sean so etwas in seinem Club nicht dulden würde. Regel Nummer zwei. Dann war es kein Wunder, wenn Ginger den Kopf schüttelte. Wieder traf sich ihr Blick. Dieses Mal kam er auf Luke zu.
„Was ist mit dir? Tanzt du?“ Die grünen Augen blitzten neugierig auf.
Luke verstand trotz der Lautstärke und war etwas irritiert. „Auf der Bar? Hellfire, nein!“ Er rief etwas lauter als nötig.
„Oh, du hast es gesehen? Ich dachte, du wärst gerade hinten gewesen.“
„Sean am Telefon hat gesagt, dass sei dein Song.“
„Und? Gefällt er dir?“ So wie Ginger jetzt interessiert schaute, meinte er nicht wirklich den Song.
„Ja. Passt zu dir.“
„Ich wollte wissen, ob du mit mir tanzt?“ Er zog auffordernd eine Augenbraue hoch und lächelte schon wieder. Luke könnte nie im Leben auch nur annähernd so gut ta…
„Komm!“
Shit. Luke folgte. Es wäre nur tanzen. Richtig? Drehen, Spaß haben, sich wiegen, eben tanzen. Ginger hatte ihn bei der Hand genommen und zog ihn direkt zur Tanzfläche, wo er begann, sich im Rhythmus der Musik um Luke herum zu bewegen. Mit seinen Armen schien er ihn beinahe beschwörerisch aufzufordern, mehr mit zu machen. Luke war erst etwas verlegen. Bestimmt würden ihn die Typen ringsum beneiden und ganz sicher wären da bessere Tänzer als er dabei, aber dann fasste er sich ein Herz und überließ sich selbst der Musik. Er spürte ihren Takt und ihre Stimmung und mehr noch die Nähe von Ginger, der nicht von ihm abließ und er konnte nicht anders als mitzugehen. Ginger schien das Spiel von Nähe und Distanz, reizen und wagen und wieder entziehen und teasen im Blut zu stecken. Er war in einem Moment so dicht hinter Luke oder neben ihm, dass sich ihre Körper wie zufällig berührten, am Po, an den Hüften, an der Schultern, und gleich darauf lauerte er wieder auf Abstand nach der nächsten Bewegung von Luke. Dem ging inzwischen der Atem schwer, was nur teilweise am Tanzen selbst lag. Er war Polizist, verdammt, er war durchtrainiert und wenn er auch keine akrobatischen Fähigkeiten besaß wie sein Tanzpartner, dann war er doch fähig mitzuhalten, konditionsmäßig- redete er sich ein. Sein Zustand war also deutlich erregt. Okay, was hatte er auch gedacht, dass passieren würde, wenn er in einem Gay Club arbeitete?! Natürlich würde ihn das anmachen. Das war eine rein natürliche Reaktion auf eine ganz offensive Stimulation, die er wohl kaum vermeiden konnte, wenn seine Tarnung nicht auffliegen sollte. FUCK. Sein Puls begann zu rasen, er hatte das Gefühl, er könne das Blut in seinen Adern schlagen hören. Ginger strahlte ihn an, er warf den Kopf zurück, die roten Locken waren schweißnass, auch Gingers Brust glitzerte im Scheinwerferlicht des Clubs, sein Körper, jung, biegsam, kräftig schien nicht von dieser Welt … da war mit einem Mal der Song zu Ende. Luke atmete auf, zumindest war es irgendwie ernüchternd, dass der DJ einen Moment stoppte, um einen Musikwunsch für einen Geburtstagsknaben anzukündigen. Ginger trat auf ihn zu und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Luke, er wollte ihn küssen, aber er wuschelte ihm stattdessen einmal über sein blondes Haar und legte ihm mit derselben Bewegung freundschaftlich den Arm um die Schulter.
„Du tanzt ganz okay“, fand er. Irgendetwas anderes wäre auch unglaubwürdig gewesen. „Wir wiederholen das.“
Luke grinste und irgendwie war er mit sich zufrieden. Das war… atemberaubend. Theoretisch zumindest.
„Wo hast du das gelernt?“, fragte er den Tänzer.
„In Irland.
Ja klar. Wo auch sonst.
„Bringst du’s mir bei?“
„Vielleicht.“ Ginger lächelte.
„Das war, ein Scherz?“
Ginger strahlte. Also war es einer. „Klar, mach‘ ich.“
Dann waren sie auch schon zurück an der Bar, wo Ginger als erstes ein paar herrenlose Gläser entsorgte. Luke schnappte sich ein Tablett und tat das Gleiche. Inzwischen stand so Einiges herum, aber das war auch kein Wunder, denn so nach und nach leerte sich die Tanzfläche. Wer hier gewesen war, um jemanden abzuschleppen oder sich abschleppen zu lassen, der hatte das sicherlich längst geregelt und war mit seinem Typen du jour abgezogen. Nach einer weiteren Stunde war Luke sicher, dass nun auch der Kollege vom Yard verschwunden war und nur noch ganz hartnäckige Partytypen weiter feierten. An Wochentagen wie heute war dann um 2.30 Uhr Schluss mit allem und Luke hatte auch wirklich das Gefühl, seine Arme und Beine würden taub, es reichte. Die Bouncer begannen endlich ab 2.15 Uhr damit, die verbliebenen Gäste aufzufordern, sich bereit für den Abgang zu machen und telefonierten teilweise noch Taxis heran oder hoben den einen oder anderen aus den bequemen Lounge- Sesseln, um ihn nach draußen zu buchsieren. Ginger und die anderen Barkeeper räumten hinterm Tresen zusammen und die Beleuchtung wurde nach und nach abgeschaltet. Dann war tatsächlich pünktlich Schluss. Die Barkeeper, Kellner, Bouncer und der DJ verabschiedeten sich und Ginger meinte, Luke könne auch nach oben verschwinden. Er würde nur noch abschließen. Der Neue war erleichtert und wankte mit müden Schritten auf die Wendeltreppe zu.
Oben angekommen war sein einziger Gedanke eine heiße Dusche und sein Bett. Er zog sich die Kleider so schnell es ging vom Leib und verschwand in dem kleinen Bad im Erker. Dort legte er das Halsband ab und ging duschen. Das heiße Wasser tat gut und er stellte fest, dass der Duft, den er an Ginger so betörend fand kein Aftershave sondern das Shampoo war, mit dem er sich jetzt auch einschäumte. Gingers Duft. Als er fertig war, wickelte er sich ein Handtuch wie einen Turban um den Kopf, eins wickelte er um die Hüften. Er wollte sich beeilen, um das Bad frei zu machen, also würde er sich morgens stylen. Oder besser: mittags. So trat er heraus, nur um im gleichen Moment festzustellen, dass Ginger schon vor der Tür wartete. Er hatte mit dem Rücken zum Bad so auf der Balustrade gesessen, dass seine langen Beine nach unten baumelten, wie von einer Mauer. Jetzt schwang er sich mühelos katzenhaft auf und kam direkt vor Luke zum Stehen. Der versuchte unbeeindruckt zu wirken, aber da streckte Ginger einen Arm vor und stützte sich an die Wand, sodass er Luke den Weg versperrte.
„Hast du’s eilig?“ fragte er und Luke merkte, wie er selbst den Atem anhielt. Jetzt nur nicht schwach werden!
„Ich? Nein, das nicht…“ Dumme Antwort.
Ginger schaute ihn an, suchte Augenkontakt und was immer er in Lukes Augen sah, veranlasste ihn, den anderen Arm, um Luke herum, ebenso an die Wand zu legen. So war da nur noch ein viel zu kleiner Abstand zwischen ihnen. Und dann passierte etwas, das Lukes Verstand später ganz und gar nicht erklären konnte: Er schloss die Augen und öffnete die Lippen. In dem Moment spürte er Gingers Atem an seiner Wange, er konnte den Duft seines Haares, seinen Duft beinahe schmecken und mit einem kleinen Seufzer- von ihm oder Ginger? – legte der seine Lippen auf die von Luke. Ganz sachte nur, wie ein Schmetterling und mit seiner Unterlippe fuhr er über Lukes Oberlippe. Seine Zunge fuhr federleicht hinterher. Luke reagierte, er schob seinen Mund vor, so als würde er den des anderen suchen, fand ihn und der Hauch eines Kusses wiederholte sich, fast zumindest, er war ein bisschen weniger keusch, sofern Küsse zwischen zwei jungen Typen das sein konnten. Ein zweiter Seufzer, eindeutig sein eigener und ein warmer Schauer, der von seinen Schultern hinunterfuhr, ließen Luke nun realisieren, was gerade geschah. Er ging auf die Bremse.
„Das… lass… nein“, hörte er sich sagen und wusste doch, dass es sich wie ein ja anfühlte. Aber Ginger hielt sogleich inne. Luke öffnete die Augen und sah Gingers fragenden, irritierten Blick. Er würde etwas sagen müssen.
„Ich… ich sagte doch, ich habe ´ne schwierige Trennung hinter mir.“ Das klang komplett bescheuert. Er war mit Blake zusammen. Erst gestern hatte der ihn so heftig genommen, dass daran kein Zweifel aufkommen konnte. Er und Blake…
„Verstehe.“ Ginger drückte sich mit einer einzigen Bewegung von der Wand ab und ließ Luke passieren.
Luke spürte, wie seine Gefühle jetzt eine Achterbahnfahrt unternahmen. Erleichterung, Enttäuschung, Scham, Ärger, Sehnsucht, Angst, alles … kam. Er erreichte seinen Erker, warf sich eilig und verwirrt ins Bett und zog die Decke über den Kopf.
Ginger war erhitzt und ging erst nach kurzem, lauerndem Zögern ins Bad, so als hoffte er, Luke käme zurück. Dort wischte er mit der Hand zweimal über den beschlagenen Spiegel und sah sich darin an. Er lächelte. Sein Mund formte die lautlosen Worte: „Ich kann warten“.