Frau Doktor Schneider und ich malen jetzt öfters miteinander. Sie hat auch ein Bild gemalt. Es sind viele Farben darauf und es sieht sehr lustig aus, denn sie ist eigentlich auch nicht gut im Malen. Trotzdem einigen wir uns darauf, dass bunt schöner ist als schwarz und weiß oder grau in grau. Wir diskutieren lange darüber, welche Farben uns am besten gefallen und wo man sie finden kann. Ich traue mich nicht so richtig, mit ihnen zu malen. Sie fragt warum. Ich muss lange überlegen. Dann sage ich zu ihr, dass ich mich grau fühle und deswegen keine Farben mehr habe.
Jetzt sammeln wir Farben von verschiedenen Orten und bis zum nächsten Mal soll ich ihr dann einige mitbringen, über die wir dann reden können. Ich merke mir zuerst das leuchtende Rot von Leos Haaren und kann an nichts anderes denken, während wir Kaffee trinken und sie mir eine Bewerbung schreibt.
Eigentlich sollte sie ja nur helfen, aber ich verstehe nicht viel davon, deswegen macht sie es allein. Sie stellt mir verschiedene Fragen, schreibt einige Sachen auf und wir lachen viel. Dann geben wir die Papierblätter in einer schönen Mappe von Leo beim Café um die Ecke ab und die Besitzerin meint, dass sie sich es einmal anschauen wird. Ich sage, dass ich sehr qualifiziert bin, weil ich ja zuhause auch immer Tassen abspüle.
Die Dame vom Café schaut mich sehr seltsam an und stellt mir dann einige sehr seltsame Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Dann sagt sie, dass sie sich telefonisch melden wird, wenn sie genaueres weiß. Wir sagen Auf Wiedersehen und gehen zurück nach Hause. Im Treppenhaus umarmt mich Leo und sagt, dass die Besitzerin des Cafés eine blöde Kuh ist. Leo gibt mir einen Kuss auf die Wange und sagt, dass ich den Kopf nicht hängen lassen soll. Das mache ich auch nicht, ich warte nur jeden Tag darauf, dass sich die Dame am Telefon meldet. Ich sitze stundenlang daneben, aber es klingelt nicht. Enttäuscht gehe ich Katzenfutter kaufen, Johanna hat schließlich Hunger und als ich an der Kasse stehe, passiert es wieder. Ich kann nicht atmen. Ich kann mich nicht bewegen. Ich höre nur Piep, Piep, Piep und kriege keine Luft und dann dreht sich alles.
Das Katzenfutter fällt auf den Boden und mein letzter Gedanke ist, dass es mir leid tut. Immerhin wird sich Johanna beschweren, wenn sie heute nichts zu Fressen bekommt.
***
Johanna hat doch etwas zu Fressen bekommen. Onkel Hannes erzählt, dass er bei ihr war und sich um sie gekümmert hat, bevor er ins Krankenhaus gefahren ist. Ich weiß nicht, ob heute überhaupt noch derselbe Tag ist, aber das ist unwichtig. Onkel Hannes sitzt an meinem Bett und streichelt über meinen Kopf, damit ich aufhöre zu weinen.
Morgens holen mich fremde Leute ab und bringen mich in ein anderes Krankenhaus. Es macht keinen Unterschied. In jedem Krankenhaus ist es schwer, Farben zu sammeln, denn eigentlich ist alles nur weiß. Frau Doktor Schneider kommt mich besuchen und sagt, dass es nicht schlimm ist, wenn ich noch ein bisschen Zeit hier verbringen muss. Ich sage, dass ich es aber schlimm finde, denn Johanna ist ganz allein und dann muss ich wieder weinen.
Sowieso weine ich viel im Krankenhaus. Weil ich traurig bin. Weil ich Kristian vermisse. Weil ich Johanna nicht allein lassen möchte. Weil ich Leo nicht im Treppenhaus sehe und weil mein Zahn noch immer allein im Badezimmer liegt. Normalerweise würde mir das ja nichts ausmachen, aber ich bin gerade so grau und traurig, dass alles mich zum Weinen bringt. Ich drücke auf den roten Knopf am Bett, weil ich nicht mehr weiter weiß.
Eine Krankenschwester kommt ins Zimmer und verspricht mir, dass es für all diese Sachen eine Lösung gibt. Wir rufen Leo vom Stationstelefon aus an und sie verspricht, dass sie sich um Johanna kümmert und meinen Zahn mitbringt, wenn sie mich besuchen kommt. Onkel Hannes soll ihr den Schlüssel für meine Wohnung geben.
Ich bekomme Tabletten, die mich schläfrig machen und dafür sorgen, dass mir beim Laufen schwindlig wird. Zweimal bin ich schon gestürzt, deshalb soll ich die meiste Zeit im Bett verbringen, obwohl der Arzt sagt, dass nicht mein Körper, sondern meine Seele krank ist. Onkel Hannes kommt mich oft besuchen. Er sitzt an meinem Bett und erzählt, dass er sich and die Abmachung gehalten hat und sich mit Leo getroffen hat.
Auf Leo freue ich mich schon sehr, und als sie mich dann wirklich besucht, bringt sie sogar noch frische Kleidung für mich und einen großen Strauß schöner Blumen mit. Es ist, als würde sie den Sommer zurückholen und mit ins Krankenhaus bringen. In meinem Zimmer scheint die Sonne, weil sie da ist, ich muss nicht weinen und sammle alle Farben, die in dem Blumenstrauß zu finden sind. Hoffentlich kann ich mich beim nächsten Mal noch dran erinnern. Wir reden lange und Leo sitzt an meinem Bett, als ich von den Tabletten müde werde.
„Geht es dir schon etwas besser?“, fragt sie.
Nach langem Nachdenken sage ich ihr, dass ich darauf keine Antwort weiß.
„Also ich meine, wie fühlst du dich gerade?“, fragt sie dann.
Eine Weile muss ich überlegen. Schließlich sage ich nur, dass es mir leid tut. Sie sagt, dass das nicht die Antwort auf ihre Frage ist, aber ich erkläre es ihr. Immerhin freut mich es sehr, dass sie da ist, und dass ich eigentlich will, dass es mir jetzt wieder gut geht, aber dass ich mich trotzdem noch leer und grau fühle. Das tut mir leid.
Sie sagt, es ist in Ordnung und nimmt mich in den Arm.
Eigentlich ist es nicht in Ordnung, dass ich immer traurig bin, obwohl alle mir helfen wollen. Es ist gemein von mir, dass ich Kristian vermisse, obwohl alle anderen viel freundlicher sind. Und ich verstehe nicht, wieso ich immer noch an ihn denke und von ihm träume und wegen ihm weine, obwohl ich so große Angst vor ihm hatte, als ich noch dort war. Und warum nicht alles einfach gut sein kann, wenn es doch Menschen gibt, die mich trösten.
Ich will lachen, aber es geht nicht.
Es fühlt sich an, als hätte Kristian mir nicht nur die Luft zum Atmen genommen, sondern auch alle Farben auf der Welt. Und ich will böse auf ihn sein, aber es geht nicht. Und dann glaube ich, dass ich wieder weinen muss, aber es geht nicht mehr.
Ich liege im Krankenhausbett statt auf meinem Sofa und kann nicht einmal mehr weinen. Vielleicht bin ich so leer, dass auch keine Tränen mehr in mir drin sind.
Als der Arzt wiederkommt, reden wir lange über Kristian.
Weinen kann ich nicht mehr, aber ich verstehe es endlich. Zumindest ein bisschen. Ich weiß nicht, ob ich Kristian noch liebe. Aber ich weiß jetzt, dass er mich nicht geliebt hat. Er liebt mich nicht, sondern hat mir weh getan. So sehr, dass ich es immer noch spüre. Der Arzt sagt auch, dass es nicht schlimm ist, sich ein bisschen zu verlaufen, wenn man doch schon auf einem guten Weg ist.
Ich sage, dass ich sogar einige Leute kenne, die ich fragen kann, dass sie mir den Weg zurück zu diesem guten Weg zeigen.
Er nickt und lächelt. Und irgendwie muss ich auch lächeln.
***