"Sags ihm!" sagte Branka. "Er sollte es wissen!" - "Aber wann! Jetzt im Urlaub? Er arbeitet so hart für die Stiftung. Manchmal wünschte ich mir, mein Vater könnte sehen, was er aus der Klinik gemacht hat und mit welchem Einsatz er für die Ideale meines Vaters steht!" - "Was wir aus der Klinik gemacht haben, Sel! Ich treffe keine Entscheidung ohne dich mein Schatz!" Alle sahen betreten zu Boden. Keiner hatte damit gerechnet, dass ich in die Küche kommen würde. Ich wollte Bier nachkühlen. Selina kam und fasste meinen Oberarm. Ich kannte diese Marotte von ihr. Sie signalisierte höchste Anspannung. "Liebes, was ist denn los mit dir? Muss ja was Schlimmes sein, wenn du wieder mal meinen Oberarm würgst..." - "Michael, ich muss dir was sagen. Es geht um deine Mutter." - "Aber Mira kann mir doch selber sagen, was sie zu sagen hat!" - "Es geht nicht um Mira!" - "Wenn es nicht um Mira geht, dann hab ich keine Mutter!" - "Liebling... Eine Renate Montar soll in unsere Klinik überwiesen werden. Sie hat Krebs." Ungläubig sah ich Selina an. "Und?" - "Wie stehst du dazu? Ich meine, sollen wir sie stationär aufnehmen?" - "Selina, du bist die Ärztin! Wir helfen jedem, der unserer Hilfe bedarf, sofern es uns möglich ist. Das ist, glaube ich, genauso dein Wille wie meiner. Also sollten wir Frau Montar die Behandlung nicht vorenthalten, sondern sie ohne Ansehen der Person therapieren, so gut es uns möglich ist. Aber es werden keine Extrawürste gebraten. Nicht einmal Ansatzweise. Und ich behalte mir vor, ihr Zimmer auszulassen, wenn ich die übliche wöchentliche Chefvisite mache! Ist es das, was du hören wolltest?" Selinas Griff lockerte sich ein Wenig, sie ließ mich aber noch nicht los. "Du behältst dir vor, die Vorstandsvisite bei der du dich gewöhnlich den Neuzugängen vorstellst, für dieses Zimmer ausfallen zu lassen..." - "So ist es!" - "Du schließt es aber nicht gänzlich aus, dich vorzustellen!" - "Das entscheide ich zu gegebener Zeit vor Ort! Und? Wirst du sie behandeln?" - "Natürlich werde ich sie behandeln, Michael. So wie jeden, ohne Ansehen der Person, wie du sagtest. Ich liebe es, wie weise du deine Entscheidungen triffst! Und ich liebe dich, Mein Schatz! Noch immer wie am ersten Tag!" Sie ließ meinen Arm los und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Es war still geworden in der Küche. Branka und Mira starrten mich an. "Was?" fragte ich, wohl etwas unwirsch. "Ihr seid ein fantastisches Paar!" sagte Branka schließlich. "Du hast es mir prophezeit, damals Branka. Und du hattest Recht, "Cousinchen"!
Selina rief Ines an und gab grünes Licht für die stationäre Aufnahme meiner leiblichen Mutter, die von allen Umstehenden seit diesem Tag nur mehr als Frau Montar bezeichnet wurde. Es war dies wohl ein Zeichen des Respekts mir gegenüber, weil alle wussten, dass diese Frau nach meinem Empfinden niemals Mutter werden hätte dürfen...
Mira wusste nicht, dass ich damals, als ich Horst aus dem Stromkreis gerettet hatte und in der Zeitung abgebildet gewesen war, ein Gespräch zwischen Mirko und ihr unfreiwillig mit angehört hatte. Mira erzählte Mirko darin, dass sie mit Renate Montar kein Wort mehr reden würde weil diese den lieben Jungen gar nicht verdient hätte. Mira hatte ihr aus der Zeitung vorgelesen, in der ich als Held gefeiert worden war. Renate Montar entgegnete darauf, ich sei ihr ein Klotz am Bein, den sie nur hätte, weil der Qacksalver wegen zwei Tagen Muffensausen bekam und ihn daher nicht abgetrieben hätte. Sie könne gar nicht verstehen, warum Mira so einen Narren an "dem Balg" gefressen hätte.
Ich hatte nie wirklich ein Verhältnis zu meiner Mutter, aber an diesem Tag zerriss der letzte Faden, der mich an sie gebunden hatte...