Mit einem ohrenbetäubenden Platsch schlidderte Gisberta auf ihrem Besen durch die Wohnstube ihrer Hexenschwester Xanni, die sich in sicherer Entfernung zum Kamin durch einen Hopser auf den Ohrensessel vor der Bugwelle retten konnte.
„Himmel und Hölle!“, fluchte die Wetterhexe über diese nasse Landung. Gut, dass ihre neuen giftgrünen Stiefeletten ein paar Spikes hatten und sie sich noch fangen konnte, bevor sie kopfüber auf der Couch aufgeschlagen wäre.
„Danke, dass du kommst“, rief Xanni erleichtert aus und umarmte die andere schneller als diese sich über den Zustand der Landefläche beschweren konnte.
Gisberta schüttelte erst Xanni, dann ihre nassen Kleider ab und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen.
„Was ist denn hier passiert?“, verlangte sie zu wissen. „Als du vorhin an der Glaskugel warst, hast du geklungen, als ginge es um Leben und Tod. Das hier“, holte sie aus und deutete auf all das Wasser ringsum, „sieht nur aus, als hättest du einen Wetterzauber falsch angewandt.“
„Ach, wenn es das nur wäre!“, kam die Antwort. „Nein! Es ist was mit meinem Kelpie.“
„Mit deinem was?“ Die Frage war ein wenig rhetorisch. Im Grunde konnte es sich nur um Xannis dämonischen Liebhaber du jour handeln. Allerdings wusste man nie, auf welche spezielle Art sich die junge Hexe dieses Mal eingelassen hatte.
„Er ist ein Wasserdämon“, erklärte sie, was die Ältere nun doch verwirrte.
„Ich denke, du stehst auf diese heißen Jungs mit den Hörnern, so wie der neulich, der die ganzen Pizzen allein gefressen hat.“
Xanni nickte. „Ja, das tu ich auch. In den geraden Wochen. Für ungerade hab ich gern auch mal einen von den coolen Jungs mit Schwänzen.“
„Oh!“
„Ja.“
„Und was ist jetzt mit dem?“
„Das weiß ich nicht so genau“, begann Xanni und deutet Gisberta an, ihr zu folgen. „Er fing plötzlich an zu toben, fiel um, bekam Schaum vor dem Mund und jetzt wimmert er immer wieder was von Armageddon.“
„Armageddon? Seit wann lesen diese Jungs in der Bibel?“
„Was weiß denn ich? Er ist ein Dämon, also wird er kaum den Film mit Bruce Willis meinen.“
Gisberta rollte genervt mit den Augen. Das war ein guter Punkt.
Inzwischen hatten sie die Tür zu Xannis Bad erreicht und die ältere Schwester staunte nicht schlecht, als sie sah, was dort vor sich ging. Der zugegebenermaßen äußerst stattliche Dämon lag unbekleidet und sich windend in der Badewanne, die kontinuierlich überlief.
„Warum drehst du nicht den Hahn zu?“
„Er zischt, wenn ich das versuche.“
„Er zischt?“ Gisberta runzelte die Stirn.
„Ja, er hat eine lange Zunge.“
„Erspar mir solche Details.“
Fragend schaute Gisberta die Jüngere an. „Was habt ihr denn zuletzt gemacht?“
„Was glaubst du denn?“
„Erspar mir die Details. Ich meine: Hast du ihn irgendwie verzaubert? Ihm einen Trank gegeben oder so?“
Xanni wirkte nun leicht beleidigt. „Es ist nicht so, dass ich irgendwelche faulen Tricks anwende, um die Typen rumzukriegen …“
Gisberta zog auffordernd eine Augenbraue hoch? „Wenn er irgendwelche Visionen vom jüngsten Tag hat, dann ist es entweder bald so weit, oder er hat sich den Magen verdorben. Und da ich gerade bei bestem Flugwetter hier angekommen bin, ist es nicht das Erste.“
Da war was Wahres dran, fand Xanni und überlegte. „Kann sein, dass er was von dem Zeug gekostet hat, das in der Küche steht. Er war kurz auf und danach ging das Gesabber und Gesabbel los.“ Warum war sie da nicht selbst drauf gekommen?
„Was hast du da denn zusammengerührt?“
„Nichts Besonderes, nur ein bisschen was zur Entspannung. Einen Badezusatz, sozusagen.“
„Und da wunderst du dich, wenn er sich jetzt krümmt und jammert?“
„Na schon! Du kennst mich doch“, echauffierte sich Xanni, „schon seit mindestens hundert Jahren verwende ich nur noch vegane Zutaten. Keine Schimmelpilzbakterien, keine Frösche, Spinnen, sonst was. Alles tippitoppi!“
Stimmt, fiel es Gisberta ein. Xanni war so eine von diesen neumodischen Hexen. Aber dann musste sie doch irgendeinen Ersatz für diverse Zutaten genommen haben. Die Wetterhexe ließ sich das Rezept zeigen.
„Sag mal, wenn du nicht mal Bakterien, Gelatine und so verwendest, womit hast du dann die 100 Gramm frische Kaulquappen ersetzt, die hier drin stehen?“
Xanni musste nicht überlegen. „Na, mit Mandelmus!“
Jetzt war alles klar. „Ja weißt du denn nicht, dass so etwas eine allergische Reaktion hervorrufen kann?“
„Aber er sollte das nicht fressen! Ich wollte mit ihm baden!“
„Das ist doch nicht viel besser.“
„Eigentlich schon, das ist sogar richtig gut mit einem völlig entspannten Wasserdämon …“
„Erspar mir die Details!“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Xanni mit einem Blick auf ihren Süßen, der zumindest nichts Blödes mehr faselte und nicht mehr zischte.
„Nun, ich denke, wir geben ihm eine von Ertels Wunderpillen gegen und für alles. Die enthalten kein Mandelmus, dafür aber jede Menge Bakterien. Das bringt sein Immunsystem sofort auf hundertachtzig und dann müsste er bald wieder der Alte sein.“
Erleichtert seufzte Xanni. „Das ist die beste Idee, Gissi. Gut, dass du gekommen bist!“
„Ja, ja. Dank mir später und besorg mir ein Date mit einem seiner älteren Artgenossen.“
„Kein Problem.“
„Gut. Dann machen wir das jetzt und hinterher hexen wir noch deine Bude wieder trocken.“
„Ach, wenn du wüsstest …“
https://belletristica.com/de/books/29982-sixty-minutes-die-challenge-2021/chapter/158444-briefmarken-3-3-21 (Für den Fall, dass euch die unmittelbare Vorgeschichte interessiert ;) Meine drei Hexen, die abenteuerlustige Xanni, die Wetterhexe Gisberta und die alte Ertel tauchen hier hin und wieder plötzlich auf und sorgen für etwas Remmidemmi. Ihre Eskapaden sind prinzipiell in sich abegeschlossen.)