Gisberta döste schon den halben Nachmittag über ihrem Zauberbuch und studierte einen Unwetterzauber, den sie unlängst ausprobiert hatte, der jedoch – in Form eines Tornados über dem Münsterland - ein wenig außer Kontrolle geraten war. Vielleicht war sie an dem Tag auch etwas unkonzentriert gewesen, denn ihr schwarzer Kater, Nikodemus, hatte die ganze Zeit mit einem Wollknäuel unter dem Tisch gespielt. Mit einem Mal rumpelte es in ihrer Kristallkugel und kleine, hektische rosa Blitze tauchten darin auf. Das bedeutete, dass ihre Hexenschwester, die ungestüme Xanni, wieder einmal Kontakt suchte. Gisberta schmiss den Schmöker zur Seite und rollte die Kugel direkt vor sich.
„Was gibt’s denn, Xanni? Du machst doch nicht umsonst so ein Gebritzel!“
In der Kugel tauchte jetzt das Gesicht der dreihundert Jahre Jüngeren auf und ihr dramatisch verlaufenes Make-Up bestätigte nur Gisbertas Annahme.
„Ach, Gissi! Es ist furchtbar“, jammerte Xanni frisch drauflos. „Stell dir vor, ich wollte dieses Mal wirklich etwas Gutes tun und wieder ist alles schiefgegangen.“
Die Ältere nickte wissend. Xannis Pech mit dem Zauberstab war schon fast so legendär wie ihr Liebeshunger nach Dämonen und Bad Boys aller Art. Und wenn sie jetzt um Hilfe bat, dann war es höchste Eisenbahn.
„Xanni, Süße, hol tief Luft und erzähl einfach von vorne“, sprach die Wetterhexe nun in beruhigendem Ton, während sie dem Kater eine Zeichen gab, den Besen aus der Garage zu holen.
„Ja weißt du“, schniefte Xanni, „es kommt ja nicht so oft vor, dass jemand meine Hilfe will, aber da hat mich doch tatsächlich der Bürgermeister meines Städtchens besucht und gemeint, er sei nicht glücklich mit dem Verhalten seiner Mitbürger. Im Ort gebe es einfach zu viel Antipathie und wenn ich ein Mittel dagegen wüsste, dann wäre er mir so dankbar, dass er mir die nächsten Einsätze der Feuerwehr nicht in Rechnung stellt.“
„Einsätze der Feuerwehr?!“, rutschte es Gisberta mit einigem Erstaunen heraus.
„JA, du erinnerst dich an meinen heißen Wasserdämonen?“
„Der mit der Überschwemmung?“ Natürlich erinnerte sich Gisberta. Wie könnte sie den stattlichen Kerl vergessen, der beim letzten Noteinsatz überall Pfützen hinterlassen hatte.
„Also weiter …“
„Na, ich habe dem Bürgermeister gesagt, es sei kein Problem. Ich braue was zusammen und schon bald sind die Einwohner von Griesgrämingen voll in Partylaune.“
Die Alte stutzte. „Wieso denn Partylaune?“
„Ach, du weißt doch. Ich habe mit 350 Jahren immer noch diese vermaledeite Rechtschreibschwäche und habe statt eines Mittels gegen Antipathie eines gegen Anti-Party gesucht. Und jetzt ist das ganze Kaff trotz der noch geltenden Corona-Regeln seit Tagen völlig aus dem Häuschen. Also wörtlich.“
„Um Holdas Willen!“
„Du sagst es. Die hören gar nicht auf. Erst dachte ich, es ist irgendwas mit Fußball, weil sie Fernseher in die Gärten gestellt haben und Fahnen überall herumhängen. Und jetzt nehmen diese ganzen Grillfeten und Straßenfeste und weiß der Kuckuck gar kein Ende.“
„Schöner Schlamassel. Wenn die Polizei kommt wird es teuer!“
„Die feiern mit. Aber es muss was passieren. Kelpie ist seit gestern Abend verschwunden.“
„Dein sexy Dämon? Hat der etwa mitgefeiert?“
Xanni klang direkt etwas kleinlaut. „Na, zuerst haben wir beide mitgefeiert. Aber ich glaube, die ganzen Knallfrösche und Feuerwerkskörper, die von Silvester übrig waren, haben ihn erschreckt. Ich war schon mit dem Besen auf Rundflug und ich glaube, er hat sich im Feuerlöschteich versteckt. Wenn man ihn da findet und für eine Wasserleiche hält …“
„Okay, okay, Süße. Ich merke schon, du brauchst Hilfe. Aber es dauert eine Weile, bis wir da einen Gegenzauber angerührt haben.“
„Oh, Gissi, du bist die Beste. Bitte komm ganz schnell“, frohlockte Xanni nun. „Es mag schon reichen, wenn du einen ordentlichen Regenzauber wirkst.“
„Ach ja? Wieso das?“
„Na, den Anti-Party-Zauber habe ich in eine FCKW-freie Sprühdose gehext und ihn dann im Flug in der Luft verteilt. Wenn es regnet, dann müsste das …“
„Schon gut, ich versteh schon. Bin gleich da. Nikodemus steht hier schon mit dem Besen im Maul und freut sich auf einen Flug.“
„Du bist die Beste. Aber flieg vorsichtig. Die Griesgräminger feuern immer noch ihre Raketen ab und manche haben sogar Drohnen in der Luft, die Bierdosen transportieren.“
„Ja sind die denn völlig bekloppt?!!“
„Nein, die sind so, wenn sie in Partystimmung sind.“
„Ach du grüne Neune!“
„Du sagst es. Und bitte bring einen Eimer mit.“
„Du meinst, wir müssen deinen Dämonen noch wieder einfangen? Was hat er bloß, dass du das alles so mitmachst …“
„Ach, Gissi, du kennst mich doch. Kelpie hat so seine gewissen Qualitäten.“
„Alles klar. Bitte keine Details. Bis gleich.“
„Bis gleich.“