Triggerwarnung: Erwähnung von Suizid
Das erste, was mir zu diesem Zitat des Horaz einfällt, ist der wunderbare Peter Weir Film „Der Club der toten Dichter“, mit einem fabelhaften Robin Williams in der Rolle des Mister Keating. Falls ihr den nicht kennt, weil ihr möglicherweise zu jung seid, solltet ihr das dringend nachholen. Für mich ist es einer der besten Filme über Schule überhaupt. Es gibt da so ein paar Klassiker, die sich lohnen. Allen voran die „Feuerzangenbowle“ mit dem unvergessenen Heinz Rühmann oder „Mädchen in Uniform“, egal ob in der alten Schwarz/Weiß- oder in der etwas trivialeren Farbfilmversion mit Romy Schneider. In diesen Filmen geht es um die Institution Schule an sich, den Sinn und Unsinn daran und es ist wirklich kaum zu glauben, wie wenig sich manche Dinge verändert haben, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als hätte eine reine Jungen- oder Mädchenschule mit preußischer Zucht und Ordnung nun sicherlich nichts mehr zu tun mit den Chaosanstalten wie wir sie heute kennen.
Und doch ist da etwas, was sich überhaupt nicht verändert hat: Schüler und Schülerinnen lernen am besten, wenn sie einen Lehrer oder eine Lehrerin haben, die sie respektieren, vielleicht sogar bewundern oder einfach nur gernhaben können. Das hat nicht zuletzt der neuseeländische Pädagoge Hattie in einer Studie erforscht. Alles andere: Medien, Methoden, Raumausstattung, Digitalisierung, kann man getrost vergessen. In diesem Zusammenhang wünschte ich, unser zuständiger Minister würde sich mal einen dieser Filme anschauen. Da könnte er was lernen. Das ist nicht halb so ironisch gemeint, wie es jetzt klingt.
Aber zurück zu Mister Keatings Motto. „Carpe Diem“ lehrt er die Schüler an einem Jungeninternat nach dem Vorbild englischer Public Schools in den USA in den 50er Jahren. Für alle, die glauben, dass es da so magisch zugeht wie im Schweinewarzen Internat von JK Rowling sei gesagt: mitnichten. Strenge und Disziplin sollen die Teenager auf Führungspositionen vorbereiten, wobei ihre Individualität keine Rolle spielt. Erst durch den unkonventionellen Keating, der sie auffordert selbst zu denken, Gedichte zu lesen und sie ermutigt, ihren Instinkten zu folgen, lernen diese Jungen, wie man wirklich den Tag nutzt, denn früher oder später sieht man die Radieschen von unten.
Leider, und ich finde, dass auch dies den Film ausmacht, haben diese Lektionen an Freidenkertum, Individualität und Befreiung aus gesellschaftlich vorgetretenen Wegen, einen Preis. So gut und wichtig Mr. Keatings Lehren auch sind, sie sind ihrer Zeit voraus und so radikal, dass in einem Fall die Konsequenzen für die Auflehnung gegen den elterlichen Rat und Plan in die Katastrophe führen. Ein besonders sensibler und talentierter Schüler nimmt sich das Leben. Und natürlich wird Mr Keating daraufhin der Schule verwiesen, weil die Schuldzuweisung an ihn die einfachere Lösung für den Direktor und die Eltern darstellt. Man müsste sich ja sonst fragen, was einen so jungen Menschen zu einem so furchtbaren Schritt bewegt. Die Androhung, den Jungen auf eine Militärakademie zu senden, wo man ihm seine künstlerischen Ambitionen schon austreiben würde, kann es jedenfalls nicht gewesen. Achtung: das war sarkastisch!
Aber wie sagte mal ein Professor zu mir: Wir können in der Schule oder an der Uni nur den Samen ausstreuen. Gärtnern und ernten müssen die Schüler und Studierenden selbst. Ich denke, das trifft auch für die Ideen und die Inspiration durch einen Mister Keating zu. Was er getan hat, hat seine Schüler berührt und ihr Leben beeinflusst. Auch wenn einer von ihnen dabei so ein schreckliches Schicksal erleidet, dann war es vielleicht doch die Sache wert. Darüber habe ich schon viel mit Freunden diskutiert. Der Junge hat den Tag genutzt. Er hat für eine kurze Zeit wirklich das getan, wofür er brannte und er war dabei glücklich. Dass es nicht gutgegangen ist, ist unendlich traurig und schlimm. Aber war es so nicht besser, als wenn er nie erfahren und erlebt hätte, wozu er eigentlich fähig war? Wenn er nur in die großen und für ihn bedeutungslosen Fußstapfen seines Vaters getreten wäre? Ist nicht ein kurzes aber erfülltes Leben besser als ein langes, fremdbestimmtes?
Ich denke, dies ist der Grund, warum am Ende des Films eine ganze Reihe Schüler ihre Solidarität mit Mr Keating zeigen und ihm praktisch eine Art Ehrensalut zuteilwerden lassen, indem sie, wie er es ihnen einmal demonstriert hatte, auf ihre Tische steigen. Von dort, so hatte er ihnen gesagt, hat man eine andere Perspektive auf die Dinge. Das haben sie verstanden und beweisen es nun. Damit hat er, für mein Gefühl, den Jungen eine unglaublich wichtige Sache nahegebracht. Nämlich das eine andere Sichtweise, auch wenn man sich irgendwelchen Zwängen, wie hier den starren Regeln der Schule, unterordnen muss, das Wesentliche darstellt, um irgendwann Veränderungen herbeizuführen. Mr Keating hat hier eine Saat gelegt, die irgendwann aufgehen kann.
In diesem Sinne wünsche ich mir auch für heutige Schüler und Studierende, dass sie etwas für sich mitnehmen, das über die reinen Noten und Zertifikate hinausgeht. Das ist nur Papier und letzten Endes sagt es nichts über das Individuum aus. Was sie mitnehmen sollten ist das Gefühl, ein wertvoller Mensch zu sein, dem viele Wege offen stehen, der gelernt hat, unabhängig von anderen zu denken, auf seine Instinkte und Gefühle zu vertrauen und der sich darauf freut, seine Tage zu nutzen.