Du bist Elred Aramys Nuvian.
„Immer.“ Du hauchst Arthrax einen Kuss auf die Lippen. Hier draußen, hinter der Taverne, fühlst du dich wie als junger Elf, der sich heimlich vor den Eltern davonstiehlt. Wie in der unbesorgten Zeit deiner Jugend, bevor du dich mit Menschen eingelassen hast, im Gefängnis gelandet bist und deinen jetzigen Geliebten getroffen hast.
Grinsend löst du dich von Arthrax. „Also, was hast du geplant?“
„Jetzt hab doch mal etwas Geduld!“, schimpft der Mensch.
„Kein bisschen.“ Du grinst noch breiter.
„Nachdem ich dir so oft den Hintern gerettet habe!“, klagt Arthrax.
„Du mir?“, wiederholst du ungläubig.
„Oh ja!“, prahlt Arthrax und nimmt deine Hand. „Aber du hast recht, wir haben nicht ewig Zeit!“
Du lässt dich von ihm mitziehen.
Arthrax‘ Ziel entpuppt sich als ein großer Stall etwas abseits der kleinen Siedlung am Scheideweg. Schon von Weitem siehst du nicht nur eine Gruppe staunender Kinder, sondern auch, dass der Verschlag mit Brettern verstärkt wurde.
„Arthrax, was … ist da drin?“, fragst du vorsichtig.
„Wenn mich diese Bauerntölpel nicht belogen haben, dann ist es ein Greif.“
„Ein … was?!“ Die Kinder drehen sich bei deinem Ausruf zu euch um.
Arthrax grinst. „Ein Jäger soll ihn vor einigen Wochen gebracht haben. Er hat ihn verletzt in der Wildnis gefunden und gezähmt.“
Sprachlos folgst du dem Krieger die letzten Schritte bis zum Stall. Einige Wochen … das wäre leider genug Zeit, dass die großen Menschen ihr Interesse an dem seltenen Tier verlieren und würde erklären, warum nur noch Kinder hier sind.
Neugierig spähst du in den Stall. Und tatsächlich, im Halbdunkel liegt ein etwa pferdegroßes, braunes Tier. Es hat eine nahezu schwarze Mähne, gefiederte Greifenklauen als Vorder- und Löwenpranken als Hinterbeine, einen schwarzen Schnabel und gewaltige, braune Flügel, die in dem Stall kaum Platz finden. Üblicherweise schlafen Greife jedoch auch in der Wildnis in engen Höhlen.
Du kannst den Blick nicht abwenden. Eine Pranke ist etwa so groß wie dein Kopf. Noch während du es anstarrst, öffnet das Tier ein hellgrünes Auge und starrt zurück.
Arthrax geht davon, offenbar, um den Besitzer zu suchen. Du hörst nur mit einem halben Ohr zu, doch der Krieger erhält schlagartig deine volle Aufmerksamkeit, als er dich bittet, von der Tür zurückzutreten. In den Armen hält er einen Pferdesattel mit mehreren zusätzlichen Riemen.
„W-was wird das?“, fragst du.
Hinter Arthrax steht ein stolz grinsender, dunkelhaariger Mann mit einem komplizierten Geschirr, offenbar der Jäger. „Keine Sorge, Karagor ist vollkommen ungefährlich. Wir lassen auch unsere Kinder reiten.“
„Reiten?“, wiederholst du gleichermaßen entsetzt wie entzückt.
„Oh ja!“, antwortet Arthrax.
Ungläubig stehst du daneben, als der Krieger und der Jäger den Greifen satteln. Dann schwingt sich Arthrax auf den Rücken des geflügelten Löwengreifs und reicht dir eine Hand, um dich hinter sich zu ziehen. Du schlingt die Arme um seinen Bauch.
„Ich reite einen Greifen!“, hauchst du ungläubig.
Vorsichtig klopft Arthrax dem Tier mit den Fersen in die Seite. Der Greif setzt sich jedoch erst in Bewegung, als der Jäger leise schnalzt. Dann macht der geflügelte Löwe ein paar mächtige Sprünge aus dem Stall.
Du musst lachen, als dir der Wind in die Haare fährt. Dann entfaltet der Greif seine Schwingen, die den Wind donnernd zur Seite pressen. Ihr schwingt euch in den Himmel, die zuschauenden Kinder jubeln.
„Juhuuu!“, brüllt Arthrax übermütig und du stimmst mit ein. Es ist berauschend, zwischen den Wolken hindurchzujagen, nur die Sterne über sich und die Welt unten so weit entfernt …
Allerdings merkst du, dass Arthrax sich mit der Zeit verspannt und blasser wird.
„Sag bloß, du hast Höhenangst.“
„Sonst nie“, knurrt der Krieger. „Aber das ist was anderes, wenn man nur an einem blöden Lederriemen hängt.“
Du kicherst und lehnst den Kopf an seinen Rücken. „Ich halte dich auch noch fest.“
Arthrax grummelt missmutig, dann lässt er den Kopf in den Nacken und gegen deine Stirn sinken.
Karagor zieht einige ruhige Kreise durch den abendlichen Himmel. Schließlich vernimmst du einen fernen Pfiff. Der Greif dreht bei und kehrt treu zu seinem Herrn zurück. Ihr steigt ab und Arthrax überreicht dem Jäger als Bezahlung einen Rubin aus dem Schatz, den ihr in Aak gefunden habt.
Auf dem Rückweg geht ihr schweigend und Hand in Hand einen Umweg. Die letzten Grillen zirpen am Wegesrand, die Luft ist still und kühl.
„Das war wundervoll“, sagst du schließlich und gibst Arthrax einen langen Kuss. Der Krieger zieht dich an sich und hält dich einfach nur fest.
Schließlich lehnst du die Stirn an seine. „Danke.“
°°°
Am nächsten Morgen erwachst du pünktlich zu einem deftigen Frühstück. Der Schankraum ist leer und friedlich, beinahe unwirklich. Nachdem ihr beim Essen einen weiteren Planungsversuch von Allyster abwimmeln konntet, macht ihr einen kleinen Gruppenausritt, um euren Tieren die nötige Bewegung zu verschaffen. Aus dem geplanten kurzen Ausritt werden allerdings fast drei Stunden, nach denen ihr ein ausgiebiges Mittagschläfchen haltet.
Ausgeruht und von den Strapazen der Abenteuer, die hinter euch liegen, weitestgehend geheilt erwartet ihr die Ankunft eures hoheitlichen Gastes. Schließlich ist es soweit, dass ihr in einem eurer beiden gemieteten Zimmer sitzt und hört, dass ihr erneut in die Jenseitslande müsst. Doch mit dieser Frage habt ihr bereits gerechnet und eure Antwort steht fest.
Aji spricht sie aus:
- „Wir werden es schon schaffen!“ Lies weiter bei Kapitel 2.