Als sie endlich auf dem Gletscher im Freien ankamen, seufzte Manodriil, erschöpft und erleichtert. Ein wunderschöner Sonnenuntergang belohnte ihre gemeinsame Arbeit. Der Drache erlaubte ihm eine Weile, auf ihm zu reiten, so dass sie dem Gipfel näher kamen. Schließlich rollte sich sein Reittier zusammen und ließ ihn hinab klettern. An die Schuppen gekuschelt schlief er ein.
Er hockte vor der Palasttür. Die Sonne ging unter und er fröstelte. Wie lange verweilte er hier, ohne dass jemand hinein oder hinaus wollte? Langsam stand er auf und dehnte und reckte sich. Die warmen strahlen ließen sein Gesicht golden glühen. Dann verschwanden sie hinter den Bäumen. Er dreht sich um und klopfte mit den Fäusten gegen das Tor. "Aufmachen! Macht das Tor doch endlich auf! Es ist wichtig!"
Plötzlich stand seine Laterne neben ihm. Wo kam die her? Die Kerze flackerte sachte. Er seufzte. "Ich muss doch das Licht in die Welt bringen", murmelte er und hob die Laterne auf.
Die Flamme schien nach ihm zu lecken, als habe sie ein Eigenleben entwickelt. Oder gab es einen Lufthauch, der so sanft war, dass der Junge ihn nicht bemerkte?
Er lächelte. "Und ich dachte, ich hätte dich verloren." In seiner Brust klopfte etwas leise. Zaghaft. Aber stetig. Tief durchatmend hob er die Laterne hoch. "Bitte, lasst ihr mich ein?"
Seltsamer Weise war das Tor nicht mehr ganz so riesig, wie es ihm bisher erschienen war. Den Messingklopfer konnte er nun erreichen, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Er klopfte einmal. Klopfte zum zweiten Mal. Als er ihn erneut anfasst, ging das Tor einen Spalt auf.
Abgestandene Luft zog in seine Nase. Offenbar tat etwas frische Luft dem Palast-Inneren gut. Er spähte ins Dunkel, ob jemand da war, um ihn in Empfang zu nehmen. Doch da war nur das: Dunkelheit.
Vorsichtig tastete er, ob er das Tor weiter aufschieben konnte, und hob die Laterne hoch, in der Hoffnung, dass der Strahl des Kerzleins das Innere des Gebäudes erhellen würde. Es dauerte etwas, bis er sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte.
Eine Bewegung! Jemand entwischte nach oben. Ob dort eine Treppe hinauf führte? Gerade wollte er eintreten, als er sanft hinaus befördert wurde.
Der Drache stuppste Manodriil an. Was für ein unruhiger Schläfer! Da kann ja nicht einmal das ruhigste Reptil der Welt bei Erholung finden! Ganz nah an den Kopf des Jungen brachte er ein Auge und zwinkerte. Mit einem tiefen Seufzen wurde der Mensch wach. Ah, was für eine Erleichterung!
"Warum hast du das getan?" Böse blickte Manodriil seinen Gefährten an. "Ich war so nah dran, so nah!" Sein Herz sprang einen Satz, dann beruhigte es sich. Ob SIE es war, die die Treppe hinauf gehuscht war? Eine Weile dösten die beiden vor sich hin, jeder mit sich selbst beschäftigt. Dann brach der Drache zur Wanderung auf und der Junge folgte ihm. Es wurde ein schöner Marsch, wenn auch ein anstrengender. Die Sonne kitzelte sie erst nur ein wenig, stieg dann immer höher und veränderte beharrlich die optischen Eindrücke der Umgebung. Was zu Beginn des Tages noch nach knisternden Kristallen und verheißungsvollen Geheimnissen ausgesehen hatte, wurde zunehmend zu ins Auge beißenden, erbarmungslosen Schnee- und Eisflächen, die die Sonne reflektierten und zumindest für Menschenaugen unerträglich wurden. Manodriil legte eine Hand auf eine Schuppe und kniff die Augen zu. Seine Füße mussten eben den Grund ertasten. Das war zwar beschwerlich zu gehen, aber anders hätte er es nicht lange in dem gleißenden Licht ausgehalten.
Als die Sonne wieder sanfter wurde, waren sie dem Gipfel nicht wesentlich näher gekommen. Warum müssen wir eigentlich laufen, der Drache könnte doch auch fliegen? Missmutig kickte Manodriil einen Schneeklumpen zur Seite.
Der flog unbeabsichtigt weit, fiel dann mit einem dumpfen Geräusch zu Boden und brachte ein Schneefeld zum Rutschen. Direkt unter ihnen! Das Knirschen der weißen Masse war das, was der Junge noch vernahm, als ihm buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Auch der Drache, der etwas oberhalb von dem Jungen gegangen war, kam ins Wanken, knickte mit einem Bein ein, schlug mit den Flügeln, und wurde dann Richtung Tal befördert. Dabei begrub er Manodriil unter sich, dessen Entsetzensschrei vom Drachenkörper erstickt wurde.