Gemächlich lasse ich meinen Blick über den endlich wieder trockenen Platz schweifen. Seit der Regen aufgehört hat, hat er sich mit Menschen gefüllt, die die wärmenden Sonnenstrahlen und Gespräche mit ihren Bekannten genießen. Immer noch bin ich verwundert, wenn jemand zu sprechen beginnt und der hiesige Akzent in seinem Garethi mitschwingt – die Sprache mag dieselbe sein, doch sie klingt anders als zuhause.
In Almada, korrigiere ich mich. Ein wirkliches Zuhause habe ich nicht mehr, seit ich vor einigen Monaten von dort geflohen bin.
Tobrien gefällt mir eigentlich recht gut. Erstaunlich, dass wir uns immer noch im Mittelreich befinden. Hier ist es deutlich kühler und regnerischer als in Almada, insbesondere der Winter war wirklich sehr, sehr kalt. Es hat sogar geschneit! Aber alles ist besser als Punin!
Nur der Wein fehlt mir manchmal.
Und die Pferde.
Und die Landschaft.
Rasch schlucke ich den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals zu bilden beginnt, und sehe hinauf zu den Zweigen des Baumes, unter dem ich wie so oft auf der niedrigen Mauer sitze. Wie lange es wohl noch dauert, bis die ersten Knospen erscheinen?
Hier wachsen ganz andere Pflanzen als zuhause, und ich interessiere mich immer mehr dafür. Im Perainetempel, den ich aus diesem Grund häufig besuche, gibt es wahre Pflanzenexperten, und ich gebe mir Mühe, so viel von ihrem Wissen aufzuschnappen wie möglich.
Mit Pflanzensamen ließe sich ein guter Handel aufbauen – sie sind klein, leicht, relativ lange haltbar und, wenn ich auch die Bedingungen mitteile, unter denen sie zu großen Pflanzen heranwachsen können, relativ wertvoll. Es wäre eine hervorragende Tarnung sowie möglicherweise sogar eine Einnahmequelle während meiner Reisen an die Orte, an die Phex mich in meiner Zukunft zu führen gedenkt. Wohin wird das wohl sein?
Seit ich Punin den Rücken gekehrt habe, war ich noch nie so lange an einem Ort wie hier in Perainefurten. Neunzehn Tage. Nie hatte ich geplant, mich einem Tempel anzuschließen, aber es war die richtige Entscheidung – der nie enden wollende tobrische Winter war mir doch irgendwann zu kalt, um weiter auf Wanderschaft zu bleiben. Es ist immer noch sehr kalt, und ich bin froh, für die Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben.
Der Handel, den die hiesigen Phexgeweihten mir anboten, war wie zu erwarten fair: Ich helfe bei einigen Tempeldiensten, dafür erhalte ich Unterkunft und eine Mahlzeit. Da sie wissen, dass ich die niederen Weihen der Phexkirche empfangen habe, unterrichten sie mich sogar und lehren mich mehr über Phexens Liturgien und Moralvorstellungen. Doch ich bin mir unsicher, wie ich mich in ihrer Gesellschaft verhalten soll, und meide sie daher, wenn es möglich ist. Neugier ist nicht ungewöhnlich für Geweihte des Fuchses, aber mich stört sie, wenn sie auf meine Person gerichtet ist.
Meine freie Zeit verbringe ich ausgesprochen gern im Perainetempel hier am Platz, wo ich still lernen kann, ohne viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Man akzeptiert meine Anwesenheit, lässt mir meine Ruhe – abgesehen von der einen, neugierigen Geweihten, die mich nach meinem Interesse an Pflanzen ausgefragt hat. Doch es schien mir angemessen, ihr wenigstens ein paar Informationen zu geben, denn ich habe mir schon viel von ihrem Wissen angeeignet.
Die lärmende Horde Kinder, die knapp an mir vorbeirennt, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich sehe ihnen lächelnd nach. Gerade spielen sie ausgelassen Fangen, genießen die warmen Sonnenstrahlen, die den Boden getrocknet haben, so dass schnelle Bewegungen endlich nicht mehr in wilden Schlitterpartien enden. Auch sie kritisieren meine Anwesenheit nie.
Entspannt verschränke ich meine Arme vor der Brust. Von dieser Mauer aus kann ich den Kindern nahezu auf Augenhöhe zusehen und fühle mich fast wie ein Teil ihrer Gemeinschaft, ähnlich wie ein Hirte, der das Treiben seiner Schafe beobachtet.
Einmal ist eines der Kinder direkt vor mir gestolpert und gestürzt, und ich konnte es gerade noch auffangen, bevor es mit dem Kopf gegen die Mauer stieß. Es klammerte sich an meine Arme, schaute mich überrascht an, lächelte und rannte dann einfach weiter. Ganz wie ein kleines Schaf, das seinem Hirten dankt. Es ist eine meiner Lieblingserinnerungen aus Perainefurten, und ich lächle, als ich daran zurückdenke.
Manchmal, wenn ich ihnen bei ihrem alltäglichen Spiel zusehe, sehne ich mich in meine vertraute Umgebung zurück. Nicht zu meinem Vater natürlich – aber ein paar vertraute Gesichter würden die Melancholie, die mich manchmal überkommt, sicherlich mildern.
Doch die einzigen, deren Gesellschaft ich problemlos ertrage, sind Kinder. Wenn sie mir nahe kommen, selbst, wenn sie mich berühren, sogar unerwartet in mich hineinrennen, empfinde ich nie diesen hochkochenden Zorn, der mich bei Erwachsenen überkommt. Warum, verstehe ich immer noch nicht. Die Leute hier sind eigentlich alle freundlich.
Irgendetwas stimmt mit mir nicht. Diese Erkenntnis habe ich schon auf dem Handelszug gewonnen, dem ich mich von Punin aus angeschlossen hatte. Der selbstverständliche Umgang mit anderen Menschen gelingt mir einfach nicht, denn je näher sie mir kommen, desto mehr drängt ein Jähzorn aus mir heraus, den ich nicht erklären kann.
Oh Phex, irgendwie muss ich diese Wut doch beherrschen können! Frustriert balle ich die Hände zu Fäusten. Ich werde es heute Abend wieder versuchen, in einer anderen Taverne als beim letzten Mal – ich habe von damals immer noch einen beachtlichen Bluterguss auf dem Brustkorb, trotz der Salbe, die mir die Perainegeweihten auf meine Bitte hin überlassen haben. Dieser eine Faustschlag ...
Ruhig Blut!
Bewusst entspanne ich die Hände und lockere die Kiefermuskeln. Ich werde den Zorn beherrschen lernen. Irgendwann. Übung macht den Meister, so war es doch bei allem, was ich in meinen fast achtzehn Götterläufen gelernt habe!
Ich seufze und streiche mir über den Bart, den ich mir im letzten Jahr habe wachsen lassen. Er gefällt mir nicht nur, er lässt mich auch älter wirken, was mir auf meinen einsamen Wanderungen schon häufiger zum Vorteil gereicht hat: Auch auf andere wirkt er attraktiv, so dass sie meinem Charme noch leichter erliegen.
Einsame Wanderungen? Schmunzelnd schelte ich mich selbst – wie kann ich nur meinen treuen Alfons übergehen! Ich habe hier in der Stadt einen Stall gefunden, in dem er untergebracht ist und sogar ab und an etwas Auslauf erhält. Alles in allem scheint es mir ein recht angenehmes Arrangement für Alfons zu sein.
Ich versuche, ihn möglichst oft zu besuchen, wenn möglich täglich. Es tut uns beiden gut, einander zu sehen. Der Rahjageweihte in Ragath, dessen Name ich nie erfahren habe, hatte Recht damit, dass Körperkontakt wichtig ist, und ich hole mir meinen bei Alfons, der sich sehr gern von mir kraulen lässt. Auch das ist ein hervorragendes Arrangement für Alfons – und mich. Wir gewöhnen uns immer besser aneinander. Ich bin froh, dass ich ihn habe.