„Er hat sich letztes Mal ausgesprochen geschickt angestellt“, rufe ich den anderen Geweihten ins Gedächtnis. „Er ist genau der Richtige.“
Das zustimmende Nicken auf allen Seiten des Tisches lässt mein Herz vor Stolz höher schlagen.
Als Talfan gerade erst hier in Perainefurten angekommen war, fiel er vorwiegend wegen der Tavernenschlägereien auf. Doch seitdem er sich auf meinen Handel eingelassen hat, Meditation, Pflanzenkunde und Kämpfen lernt, ist er so viel ausgeglichener, dass seine wahren Talente deutlicher durchscheinen und auch von anderen erkannt werden.
Man nutzt sein Verhandlungsgeschick und seine Etikettekenntnisse, wenn Verträge mit Händlern aus anderen Regionen Aventuriens ausgehandelt werden sollen. Im Rondratempel ist er ein geschätzter Trainingspartner. Kryptild zieht ihn zurate, wenn es um den Kauf oder Verkauf von Pflanzen geht – sein im Perainetempel erworbenes Wissen ist in Kombination mit seinen phexgefälligen Händlerfähigkeiten dabei viel wert.
„Gut“, beschließt der Tempelvorsteher die Besprechung. „Dann informiere ihn, dass wir uns heute Mittag deswegen mit ihm besprechen wollen.“
Wie üblich kommt Talfan am Vormittag zu mir, sobald er seine Tempelpflichten erledigt hat, um mehr über die Wege des Fuchses zu lernen.
„Heute wird unsere Zeit sehr knapp bemessen sein“, informiere ich ihn. „Gegen Mittag findet eine Besprechung statt, bei der um deine Anwesenheit gebeten wurde.“
Der Blick, den er mir zuwirft, spiegelt sowohl Vorfreude als auch Vorsicht wieder. „Habe ich was angestellt oder darf ich wieder etwas für den Schatten Alverans erledigen?“
„Letzteres“, antworte ich lächelnd und freue mich über die Aufregung, die nun in seinem Blick liegt. „Genaueres wirst du aber erst dann erfahren – versuch es gar nicht erst.“
Für einen kurzen Moment rümpft er die Nase, bevor er nickt.
Ich kenne diesen Mann – er hat seinem Missmut absichtlich Ausdruck verliehen. Im Unterdrücken solcher Regungen ist er ausgesprochen gut, wie ich schon häufiger erfahren musste, wenn mir seine wahre Meinung zu manchen Fragen allzu lange verborgen blieb. Ich freue mich, dass er seine Gefühle vor mir inzwischen offenbart – doch das ist kein Grund, weich zu werden. Er wird sich in der Tat gedulden müssen.
„Lass uns heute über Betrug sprechen. Worin besteht der Unterschied, ob jemand übervorteilt oder betrogen wurde?“, fange ich mit der Lektion an. Bevor er von seinem Auftrag erfährt, möchte ich, dass sein Wissen darüber frisch und präsent ist.
„Hast du noch Fragen?“ Der Tempelvorsteher sieht Talfan eindringlich an.
„Nein, Euer Gnaden“, antwortet er. „Ich werde in das Haus von Angilbert Linari eindringen, den Vertrag aufspüren, zerreißen und eine Hälfte mitnehmen. Die andere lasse ich als Zeichen dafür zurück, dass der Listige den Betrug bemerkt hat und verurteilt.“
Ein Nicken erteilt seiner Zusammenfassung den Segen. „Wann wirst du beginnen?“
„Sobald wie möglich“, antwortet er. „Ich will die Gelegenheit nicht verpassen, wenn sie sich bietet.“
Ich befürworte sein Vorhaben, wenn er auch noch an seiner phexgefälligen Formulierung arbeiten muss: Wenn er ausreichend viele Möglichkeiten erkundet, wird der Schatten Alverans ihm sicherlich den richtigen Zeitpunkt offenbaren. Das hätte in den Ohren des Tempelvorstehers sicherlich besser geklungen. Aber Worte sind es nicht, die hier von ihm verlangt werden, sondern Taten.
Sobald wir das Zimmer verlassen haben, wende ich mich an ihn. „Du solltest jemanden mitnehmen, der außerhalb des Gebäudes aufpasst, dass dich niemand überrascht. Jemanden, der dir ein Zeichen gibt, wenn die Umstände sich zu deinen Ungunsten verändern.“
Er lauscht mir aufmerksam und nickt bedächtig. „Das ist eine gute Idee. An wen hattest du gedacht?“
Ich lächle. „An mich, Talfan.“ Seine Augen werden groß, und ich lache leise. „Überleg doch – jeder kennt mich in der Stadt, jeder weiß, dass ich ein ehrenwerter Geweihter bin, Phex hin oder her. Wenn mich jemand bemerkt, wird das wesentlich weniger Misstrauen erregen als bei jemand anderem!“
Außerdem wäre ich zu gerne bei einer solchen Mission dabei – doch das äußere ich nicht laut. Talfans Schmunzeln weckt in mir allerdings den Verdacht, dass er meine zusätzlichen Absichten durchschaut hat.
„Gut, so machen wir es“, erklärt er. „Ich werde Kryptild bitten, mich heute zu entschuldigen, und mir das Wohnhaus von Angilbert Linari anschauen gehen, um mir einen Plan auszudenken. Bleibst du hier oder kommst du mit?“
Ich hebe abwehrend die Hände. „Oh nein, ich bleibe hier! Wenn ich während meiner üblichen Tempelzeiten irgendwo herumschleiche, wäre das sehr auffällig!“
Talfan grinst. „Nun gut – ich treffe dich später. Bis dann!“ Mit diesen Worten macht er sich auf den Weg.
Es ist längst dunkel, als wir uns zwei Straßen vom Haus Linaris entfernt treffen. Beinahe hätte ich Talfan übersehen, der trotz der Wärme lange, dunkle Kleidung trägt und im Schatten eines kleinen Schuppens auf mich wartet.
Wortlos gehen wir zu unserem Ziel.
Während ich gemächlich die Straße entlangschlendere, verschwindet Talfan lautlos von meiner Seite, zwängt sich in den Spalt zwischen zwei Gebäuden und verschmilzt mit den Schatten. Er scheint mir förmlich unsichtbar, und ich muss den Drang unterdrücken, in die Finsternis zu starren und nach ihm zu suchen.
Mein Atem stockt, als ich gewahr werde, wo genau er seinen Auftrag begonnen hat: Ein Gebäude zu früh. Keines der beiden Häuser, zwischen denen er verschwunden ist, ist das von Linari. Sollte ich zurückgehen und ihn darauf aufmerksam machen? Was, wenn er es verwechselt hat?
Ich entscheide mich dagegen. Auch, wenn er mein Schüler ist, kennt er sich doch mit den im Schatten verborgenen Aspekten unseres Gottes besser aus als ich – und er hat diesen Plan erdacht. Ich werde darauf vertrauen, dass er weiß, was er tut.
Möglichst unauffällig lasse ich meinen Blick am Haus Linaris hinaufwandern, als ich es passiere. Im Erdgeschoss befindet sich ein Laden, den er an einen Schuhmacher vermietet hat, der im ersten Stock wohnt. Direkt darüber liegt die Wohnung, die Talfans Ziel darstellt. Die Fenster sind geöffnet, um die Nachtluft hereinzulassen – direkt unter dem Dach muss es zu dieser Jahreszeit am Tage sehr warm werden.
Auch, wenn ich von außen müde und unaufmerksam wirken mag, klopft mein Herz ängstlich in der Brust und ich muss mich stets zusammenreißen, nicht nervöse Blicke über meine Schultern zu werfen. Fürwahr, Phex mit Diebstählen zu dienen wäre wahrhaftig nichts für mich! Am Ende der Straße mache ich kehrt, um gemächlich wieder zurückzugehen.
Ich sende ein kurzes Stoßgebet zum Listigen, in dem ich um Beistand für unser Unternehmen bitte. Als ich den Blick zum Himmel hebe, um ein wenig Zuversicht aus dem Anblick des Sternenhimmels zu schöpfen, weiten sich meine Augen vor Überraschung: Talfans Silhouette schleicht über die Dächer! Wie, beim Listenreichen, ist er dort hinaufgekommen? Durch diesen schmalen Spalt zwischen den Häusern?
Noch während ich ungläubig hinaufstarre, verschwindet er in einem der offenen Fenster. Da erst realisiere ich, dass ich stehengeblieben bin. Sofort setze ich mich wieder in Bewegung, gehe möglichst langsam die Straße entlang und sehe immer wieder kurz hinauf.
Schon nach überraschend kurzer Zeit kann ich beobachten, wie Talfan prüfend aus dem Fenster sieht und den Weg zurück aufs Dach in Angriff nimmt.
„Den Zwölfen zum Gruße“, ertönt eine tiefe Stimme hinter mir.
Mein Herz rast, obwohl ich mich möglichst gemächlich umdrehe. Wer auch immer das ist, er darf auf keinen Fall nach oben sehen!
„Den Zwölfen zum Gruße“, erwidere ich mit müder Stimme.
„Was macht ihr denn um diese Zeit noch hier draußen?“
Jetzt erkenne ich, dass ich mit einem Gardisten spreche. „Ich bin auf dem Heimweg – endlich. Der Tag war lang. Hat Eurer erst begonnen?“
Der Mann wirft mir einen misstrauischen Blick zu, sieht sich dann rasch um. Um sein Misstrauen zu zerstreuen, ziehe ich die Kapuze meines leichten Umhangs vom Kopf und lächle ihn freundlich an. Die Geweihten Perainefurtens sind eigentlich fast jedem bekannt.
„Oh, Ihr seid es, Euer Gnaden“, murmelt der Gardist leicht zerknirscht. „Ich hatte Euch gar nicht erkannt!“
Ich zwinge mich zu einem leisen Lachen. „Wie auch – bei Dunkelheit und mit der Kapuze wäre es vermutlich selbst meiner Gefährtin schwergefallen, mich zu identifizieren.“ Dann füge ich möglichst beiläufig an: „Wohin führt Eure Runde? Begleitet ihr mich ein Stück?“ Ich mache einige Schritte, um ihn zum Weitergehen aufzufordern und Talfan damit die Gelegenheit zu verschaffen, unauffällig zu verschwinden.
Der Gardist folgt mir tatsächlich. „Bedauerlicherweise muss ich am Ende der Straße zurück zum Fluss, Euer Gnaden. Liegt Euer Haus nicht in der anderen Richtung?“
„Ja, das stimmt. Wie schade. Aber ich will Euch auch nicht von Eurer Arbeit abhalten, die Bürger unserer Stadt vor Unheil zu schützen. Die Zwölfe mit Euch und Euren Kameraden!“
Als er gerade den Mund öffnet, um den Gruß zu erwidern, zerbricht klirrend ein Dachziegel auf dem Pflaster der Straße, die wir fast verlassen haben.
Wir fahren beide alarmiert herum. Mein Blick geht sofort auf das Dach des Nachbarhauses von Linari hinauf, wo Talfan sich gerade wieder über die Kante hinaufzieht. Er muss abgerutscht sein! Phex sei Dank ist er nicht abgestürzt!
Ich packe den Gardisten am Ellbogen, ziehe ihn halb zu mir herum und frage möglichst ängstlich: „Was war das? Sind wir in Gefahr?“
Beruhigend legt er mir die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, Euer Gnaden – vermutlich hat sich ein Dachziegel gelöst. Katzen streifen oft über die Dächer. Aber ich gehe natürlich nachsehen.“
„Nein!“ Mein heftiger Widerspruch irritiert den Mann, sodass ich rasch erkläre: „Bitte – ich fühle mich äußerst unwohl. Seid so gut, begleitet mich nur noch ein paar Straßen weiter!“
Kurz zögert er, doch er weiß, wie unhöflich es wäre, einem Geweihten diese Bitte abzuschlagen.
„Nun gut“, willigt er ein. „Ich bringe Euch nach Hause. Aber bitte, beeilen wir uns – ich habe noch weiter Patrouille zu gehen.“
Natürlich stimme ich ihm gerne zu. Es dauert nur wenige Minuten, bis wir bei mir zuhause angekommen sind, wo ich dem Gardisten höflich danke und ihn verabschiede.
Hoffentlich hat die Zeit, die ich Talfan durch meine scheinbare Angst erkauft habe, ausgereicht. Sollte ich nach ihm sehen oder besser abwarten?
Nach einer Viertelstunde klopft es leise an meine Tür. Sofort öffne ich, und als ich Talfan erkenne, der eilig hereinkommt und die Türe schließt, fällt mir ein Stein vom Herzen.
„Hast du den Vertrag?“, frage ich gespannt.
Er nickt. „Eine Hälfte, wie beauftragt.“
Erleichtert lehne ich mich gegen die Wand. „Dass du es geschafft hast, dich wieder aufs Dach zu ziehen – unglaublich! Wie bist du überhaupt raufgekommen? Sicher, dass du dich der Spionage verschreiben willst? Deine Fähigkeiten würden auch einen guten Dieb oder Fassadenkletterer aus dir machen!“
Talfans Lächeln wirkt erzwungen – er empfindet unsere Mission teilweise wohl als Fehlschlag. „Danke. Aber ich habe uns beinahe verraten.“
„Es war Phex‘ weise Voraussicht, mich zu deinem Begleiter zu machen“, sage ich aufmunternd. „Es ist doch nichts geschehen – freu dich, dass er uns so unterstützt hat!“
Doch meine Worte trösten ihn nicht. Wie gerne würde ich ihn umarmen, ihm wenigstens eine Hand auf die Schulter legen, ihm damit zeigen, dass ich gerne für ihn da bin – aber ich weiß, dass er das nicht mag. Und so lasse ich ihn ziehen, als er wortlos nickt, sich abwendet und mein Haus verlässt.