Es ist schon der dritte Auftrag, den er in Phexens Namen durchführen soll, aber diesmal nicht hier in Perainefurten, sondern in Derdingen. Die Reise dorthin dauert gute acht Stunden, und er ist gestern schon aufgebrochen, mit einem zuversichtlichen, beruhigenden Lächeln auf den Lippen. Er hat doch tatsächlich mit mir gescherzt und versucht, mir die Nervosität zu nehmen – mir! Sollte nicht ich, sein Ausbilder, ihn beruhigen müssen?
Am Abend kehrt er endlich zurück! Er lacht, als er im Tempel die neugierigen Fragen zu seiner Mission beantwortet, und ich bin wirklich stolz auf ihn und seine Lösung des Problems.
Ich stehe ein wenig abseits, während die anderen lauschen, und lasse meinen Blick über meinen Akoluthen schweifen. Er ist nicht nur klug und listig, sondern auch gewandt und stark – wenn er sich darauf spezialisieren wollte, könnte er tatsächlich Fassadenkletterer werden. Doch er jagt Informationen, sammelt Hinweise – das ist sein bevorzugtes Metier, seltener der phexgefällige Diebstahl.
Die Art und Weise, wie er den anderen von seinem Erfolg berichtet, lässt mich lächeln. Er hat gelernt, seinen Charme einzusetzen und andere zumindest scheinbar nicht auf Distanz zu halten, wenn er auch immer noch jeder Berührung aus dem Weg geht. Die strengen Regeln der Etikette, mit denen er aufgewachsen ist und die ich zunächst für einengend hielt, erlauben es ihm, sich selbstsicher zwischen Fremden zu bewegen.
Er ist inzwischen sehr beliebt hier in Perainefurten, und ich habe schon die eine oder andere junge Frau interessierte Blicke in seine Richtung werfen sehen – insbesondere Isidra, die auch jetzt wieder an seinen Lippen hängt, macht keinen Hehl daraus, dass sie sich für ihn interessiert. Doch trotz all der positiven Veränderungen meidet er Beziehungen immer noch. Dabei würde ich mich so für ihn freuen, wenn er eine Gefährtin fände. Sie und ihre gemeinsamen Kinder würden ihn sicherlich noch weiter erden – und wahrscheinlich würde er sich dann auch hier in Perainefurten niederlassen. Doch meine Beobachtungen lassen mich vermuten, dass Isidras Hoffnungen vergebens sind – er geht auf ihre Annäherungsversuche einfach nicht ein. Manchmal glaube ich, er bemerkt sie nicht einmal.
In jeder seiner rastlosen Phasen rechne ich damit, dass er aufbricht und uns wieder verlässt. Nicht nur ich würde ihn vermissen. Auch Turike. Arlin. Danja, oh ja. Kryptild. Und sogar Hal, der es ihm gegenüber nie so formulieren würde, ihn aber schätzt. Er sagte aber einmal, dass Talfan sich überdurchschnittlich gut schlüge, insbesondere mit dem Rapier und im waffenlosen Nahkampf. Letzteres bezweifle ich allerdings – ich sehe es ihm an, wenn er zu viel eingesteckt hat, und an manchen Trainingsabenden bezieht er eindeutig heftige Prügel. Hal zögerte, als ich ihn danach fragte, bevor er erklärte, Talfan würde an manchen Abenden so wenig auf seine Deckung achten, dass es fast aussähe, als ließe er sie absichtlich fallen – was aber Unsinn ist, weil er genau weiß, dass Hal Verteidigungsfehler nicht verzeiht. Nun ja, er wird schon wissen, wie viel er aushält und sich im Zweifelsfall zurückziehen. Ich konzentriere mich wieder auf seine Erzählung.
Ohne Vorwarnung erfasst plötzlich gleißende göttliche Klarheit meinen Geist, lässt mich schwanken und ich suche keuchend Halt an der Wand in meinem Rücken. Mit absoluter Sicherheit weiß ich: Das war die letzte Prüfung, die Phex Talfan auferlegte – und er will ihn haben. Er ist bereit, ihm Teile seiner göttlichen Macht zu überlassen, und er überträgt mir die Aufgabe und die benötigte Macht, ihn in die Ränge der Mondschatten aufzunehmen. Jetzt.
Noch leicht schwindelig von der göttlichen Nähe setze ich einen Fuß vor den anderen, nähere mich Talfan. Phex’ Berührung meiner Seele muss mir anzusehen sein, denn die Gespräche verstummen und alle Augen ruhen auf mir, als ich vor Talfan stehe und ihn ansehe.
“Der Fuchs ist sehr zufrieden mit dir, Schatten”, verkünde ich feierlich, “Er bietet dir an, heute zum Mondschatten geweiht zu werden.”
Selten zeigt Talfan seine Emotionen offen, doch dies ist einer dieser Momente. Seine Augen leuchten mit einer Freude, die mich unwillkürlich ansteckt. Obwohl er größer ist als ich, habe ich das Gefühl, ein letztes Mal zu ihm hinunter zu lächeln, bevor wir uns auf Augenhöhe befinden werden.