Mit klopfendem Herzen betrete ich das Gasthaus und erkundige mich bei einem der Schankjungen nach dem Rahjageweihten. Es überrascht mich, dass er mich mit verkniffenem Gesicht die Wirtsleute fragen schickt – sollte er nicht wissen, wo das Zimmer eines derartig außergewöhnlichen Gastes ist? Doch der Grund seiner Unkenntnis ist für mich nicht wichtig. Die Wirtin, eine schlecht gelaunte Frau, die mich abschätzig mustert, bevor sie mir weiterhilft, weiß natürlich Bescheid.
Und nun stehe ich vor der Tür des Zimmers, zu dem ich geschickt wurde. Mein Herz schlägt noch stärker als zuvor. Die Tatsache, dass der Mann Rahja dient, macht mich nervös. Ich meide Rahja. Um ihren Aspekten der Lust und Ekstase zu huldigen, ist Körperkontakt vonnöten, oder große Mengen alkoholischer Getränke – was meine geschätzte Selbstkontrolle herabsetzt. In Punin, wo sie als eine der wichtigsten Gottheiten verehrt wird, fiel es mir leichter, mich in die gesellschaftlich erwartete Verehrung zu fügen: Sie ist auch die Göttin der Pferde, und Reiten habe ich passabel gelernt. Alfons zählt jedoch leider nicht als Pferd und wir gehen üblicherweise nebeneinander her, und so fällt seit meinem Fortgang aus Punin auch diese Möglichkeit weg. Der einzige Aspekt, den ich beachte, ist die Schönheit. Ich danke Rahja für Schönheit, wenn ich sie sehe, und hoffe jedes Mal, dass das ausreicht und sie von einem Zwölfgöttergeweihten nicht mehr erwartet.
Wird der Rahjageweihte erkennen, wie es um meine Rahjaverehrung bestellt ist, und damit ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken? Und warum hat die Wirtin mir das Zimmer des Geweihten gewiesen, als ich erklärte, ich wollte die Rahjakavaliere sehen?
Schicksalsergeben schiebe ich die nutzlosen Gedanken beiseite und straffe meine Schultern. Dann klopfe ich endlich an.
Der Anblick der Frau, die mir die Tür öffnet, verschlägt mir die Sprache. Sie ist durchschnittlich groß und, wie ihre knappe Bekleidung deutlich erkennen lässt, von eleganter, trainierter Statur. Ihre Bewegungen, als sie ihr Gewicht verlagert, mich von oben bis unten mustert und dann lächelnd einen Schritt beiseitetritt, lassen die geschmeidigen Muskeln unter ihrer hellen Haut erkennen, doch das nehme ich nur noch am Rande wahr. Dieses Lächeln! Es reicht von ihren sinnlichen Lippen bis in ihre wunderschönen grauen Augen und entblößt perfekte weiße Zähne. Ihr Gesicht wird von kinnlangen dunklen, weich fallenden Haaren eingerahmt.
“Tritt ein, Fremder, und sei uns willkommen!”
Ihre Worte reißen mich aus meiner Bewunderung – wie lange habe ich sie angestarrt? Ich spüre, wie heißes Blut in meine Wangen schießt, ignoriere es aber geflissentlich – vielleicht sieht man es nicht so deutlich, wie ich es fühlen kann. Ich rette mich in eine höfische Verbeugung und hole die Vorstellung nach, die eigentlich sofort fällig gewesen wäre. “Mein Name ist Talfan Desidero von Vascagni. Mein Lehrmeister Hal aus dem Rondratempel schickt mich zu dem Rahjageweihten sowie seinen Kavalieren”, erkläre ich mit fester Stimme. Dann folge ich ihrer Einladung und betrete das ungewöhnlich warme Zimmer, dessen Tür sie hinter mir wieder schließt.
Das “Zum gleißenden Stahl” ist eines der besseren Gasthäuser in Perainefurten, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses ungewöhnlich große Zimmer schon vor dem Einzug des Rahjageweihten so aussah. Dünne, bunte Teppiche mit schönen Mustern bedecken einen Großteil des Fußbodens, über dem großen Bett wurde ein Netz an der Decke angebracht, wie ich es zur Mückenabwehr aus Almada kenne, und legt seine zarten Schleier über die Matratze, die unter einer weiteren bunten Decke verschwunden und mit bestickten Kissen bedeckt ist. Auch auf den Stühlen um den kleinen Tisch, der in einer Ecke steht, wurden Kissen verteilt. Der Raum wirkt mit all seiner Dekoration, als entstamme er dem Süden des Mittelreichs, vielleicht sogar dem Süden Aventuriens, aber ganz sicher nicht Tobrien.
Doch meine Aufmerksamkeit wird schnell auf die anderen beiden Personen gelenkt, die sich hier aufhalten.
In einem Badezuber, aus dem Dampfschwaden aufsteigen und die Luft im Raum befeuchten, sitzen entspannt zwei Männer. Sie sind nur von der Brust aufwärts zu sehen, haben die Arme auf den Rand gelegt und wirken, als habe ich sie bei einer Unterhaltung unterbrochen. Nun sehen sie mir neugierig entgegen.
“Rahja zum Gruße”, richtet der eine das Wort an mich und schenkt mir ein offenes Lächeln.
Auch zwischen seinen elegant geschwungenen Lippen zeigen sich so schöne Zähne, dass eindeutig Rahja sie geschaffen hat. Die Augen in seinem sanften Gesicht sind von kleinen Lachfältchen umgeben, und sein schwarzes, langes Haar fällt in feuchten Strähnen bis über seine Schultern hinunter. Sein dunkler Teint und die ebensolchen Augen, die mich sofort in ihren Bann ziehen, lassen vermuten, dass er aus dem Süden stammt, ähnlich wie ich, wenn nicht noch weiter. Wie seine Begleiterin raubt sein Anblick mir den Atem. Ich weiß, dass Rahja auf die Schönheit ihrer Anhänger großen Wert legt – ich hätte so etwas erwarten müssen.
Verbissen konzentriere ich mich auf mein Anliegen, um mir meine Ablenkung nicht anmerken zu lassen, und verneige mich auch vor den beiden im Zuber. “Rahja zum Gruße”, antworte ich der Etikette folgend.
Dann wandert mein Blick zum anderen Badenden. Auch er stammt aus dem Süden, hat dunkle, nur schulterlange Haare, doch sein Gesicht ist kantiger und er trägt einen kurzen, gepflegten Bart. Im Gegensatz zu seinem schlanken Gegenüber verfügt er über eindeutig trainierte Muskeln, und allein der Anblick seiner Schultern fasziniert mich schon viel zu sehr. Entschlossen wende ich den Blick ab und wende mich an niemand Bestimmten.
“Mein Name ist Talfan Desidero von Vascagni, ich diene als Akoluth im Phextempel. Hal, mein Lehrmeister aus dem Rondratempel, schickt mich zu euch, um die Rahjakavaliere um ein paar Übungskämpfe zu bitten. Er sagt, sie seien wahre Meister der Fechtkunst und könnten mich noch Einiges lehren.”
Der Langhaarige lacht entzückt auf. “Wie hervorragend! Auch ihr beide freut euch sicherlich über ein wenig Abwechslung, oder?” Er strahlt seine beiden Begleiter, dann wieder mich an, und fährt fort: “Aber setz dich doch, Talfan, und leiste uns ein wenig Gesellschaft. Wenn wir zusammenrücken, ist sogar noch ein klein wenig Platz hier im Zuber!”
Hoffentlich sieht man mir mein Unbehagen nicht an, als ich höflich dankend ablehne und mich auf der Kante eines Stuhls niederlasse.