Offiziell bleibe ich Akoluth, so habe ich es mit den Tempelvorstehern ausgemacht. Ich behalte auch meine täglichen Aufgaben, an deren Routine ich mich inzwischen gewöhnt habe. Nachdem ich erklärt hatte, mich nicht Phexens Aspekt des Handels widmen zu wollen, sondern ihm im Verborgenen dienen werde, waren alle einverstanden, meine höheren Weihen vor allen Nichtbeteiligten geheim zu halten. Das Arrangement gefällt mir – es ist mir schon ausreichend schwergefallen, mich als Akoluth in den Tempel einzufügen, mich nun als Geweihter mit neuen Regeln der Gemeinschaft auseinanderzusetzen, liegt nicht in meinem Interesse.
Nur eine Aufgabe habe ich gerne abgegeben – das Wischen des steinernen Tempelbodens. Ich habe es stets als unter meinem Stand betrachtet, vor aller Augen mit einem Eimer und einem Lappen zu hantieren, doch es war Teil des Handels, den ich eingegangen war. Der Wegfall dieser Aufgabe gewährt mir nun täglich über eine Stunde mehr Freizeit, die ich bei Hal in den Trainingsräumen zu verbringen gedenke. Heute nur wegen des Trainings selbst – ich bin mir keiner Fehler bewusst, die ich büßen müsste, und auch Phex fand bei der Inspektion meines Geistes keine ungesühnten Taten, derentwegen er mich tadeln müsste.
Als ich gut gelaunt das Gebäude betrete, kommt Hal mir strahlend entgegen. Das breite Lächeln auf dem Gesicht des Mannes ist ungewöhnlich, und ich hebe fragend eine Augenbraue.
“Wir haben hohen Besuch”, erklärt er mir, “Einen Rahjageweihten. Er wird für ein, zwei Tage hier in Perainefurten bleiben.”
Seine Begeisterung irritiert mich. Ja, Rahjageweihte sind beliebt, aber ich hatte bislang immer den Eindruck, dass Hal sich ausschließlich für Frauen interessiert. Ich selbst war bislang sehr froh, dass es hier in Perainefurten keinen Tempel der Schönen Göttin gibt – so kam ich nie in Versuchung, ihm einen Besuch abzustatten. Da ich danach nicht einfach weiterreisen könnte, wäre es mir ausgesprochen peinlich – allein die Vorstellung, jemandem auf der Straße zu begegnen, der mich auf diese Weise unkontrolliert erlebt hat, erzeugt in mir Unwohlsein.
“Warum freut dich die Anwesenheit eines Rahjageweihten so?”, frage ich vorsichtig nach.
Hal lacht sein dröhnendes Lachen. “Ach, der interessiert mich doch nicht!” Ohne nachzudenken hebt er die große Hand, um mir kameradschaftlich auf die Schulter zu schlagen. Mühelos weiche ich aus – das Meiden solcher Gesten ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Kurz sieht er betreten drein, als er realisiert, was er beinahe getan hätte, doch als ich ihm nicht einmal einen vorwurfsvollen Blick zuwerfe, fährt er einfach fort.
“Seine Begleiter sind es, die meine Aufmerksamkeit geweckt haben! Sie sind perfekt für dich geeignet!”
Ich starre Hal entgeistert an. Was, bei den Zwölfen …
Wieder erzittert die Halle, als er nach einem Blick in mein Gesicht schallend lacht. “Nein, Jungchen, DAS meine ich natürlich nicht! Sie sind Rahjakavaliere!”
Seine Erklärung hilft mir nicht weiter. Als sein Lachen verebbt ist, erkläre ich ihm mein Unverständnis. “Was, bei den Zwölfen, ist ein Rahjakavalier?”
Erstaunt sieht er mich an. “Ich dachte, Akoluthen bringt man auch über die anderen zwölfgöttlichen Kirchen was bei! Rahjakavaliere beschützen Rahjageweihte. Sie werden an einer Fechtschule ausgebildet und sind in der Regel exzellente Fechter – also hervorragende Trainingspartner für dich! Es wäre gut, wenn du nicht nur mit mir üben würdest.”
Endlich verstehe ich und lächle Hal dankbar an. “Und hast du sie schon darauf angesprochen oder überlässt du das mir?”
“Ich hab sie nur in der Stadt gesehen. Man sagt, sie sind im Gleißenden Stahl untergekommen. Geh doch einfach mal hin! Üben könnt ihr gerne hier.”
Hal hat meine Neugier geweckt, und nach einer kurzen Verabschiedung mache ich mich auf den Weg zum Gasthaus “Gleißender Stahl”.