Obwohl es schon sehr spät ist, bin ich noch bei Alfons im Stall. Meine Gedanken rasen, schlafen könnte ich ohnehin nicht. Alfons von meinem Tag zu berichten hilft mir oft, meine Gedanken besser zu verstehen.
Er steht schlafend in seiner Box, als ich leise die Tür öffne und zu ihm hineinschlüpfe. Im ersten Moment erschrickt er ein wenig, da ich mich möglichst lautlos bewegt habe, um die anderen Tiere nicht zu ängstigen, doch sobald er mich erkennt, kommt er interessiert auf mich zu und reibt seine weiche Nase an meiner Hand. Liebevoll kraule ich seinen Hals, setze mich dann auf den von außerhalb der Box mitgebrachten Hocker und nehme die Bürste zur Hand, um meinen treuen Freund ein wenig zu verwöhnen.
„Ich war heute bei Rako zum Abendessen eingeladen – bei ihm zuhause“, raune ich Alfons zu, während ich beginne, sein Fell zu bürsten. Er quittiert meine Worte mit einem aufmerksamen Zucken der Ohren.
„Seine Familie ist völlig anders als meine. Er liebt seine Kinder, das merkt man“, berichte ich leise weiter. Die Art, mit der er seine Tochter in den Arm genommen, seine Frau und seinen Sohn begrüßt hat, und die Reaktionen dieser Personen darauf haben mich berührt. Danja hat sich so gefreut, als er nach Hause kam – sie ist auf ihn zu gerannt und hat sich in seine Arme geworfen, ohne Angst, er könne dafür mit ihr schimpfen.
Sie und ihr Bruder fürchten weder ihn noch ihre Mutter, eine intelligente, liebevolle Frau. Es hat mir gefallen, mich mit ihr und Rako zu unterhalten.
Der ganze Abend war sehr schön.
Ob ich eines Tages wieder eingeladen werde? Wir haben gar keine Zeit gefunden, über das zu reden, was Rako eigentlich mit mir besprechen wollte. Es hat einfach zu viel Spaß gemacht, mit ihm und Turike zu reden, mit Danja zu spielen und Arlin in den Schlaf zu wiegen …
Das ist das Vertrauen, von dem Rako gesprochen hat. Ich habe es in dem Moment erkannt, in dem Turike mir erneut ihren Sohn in die Arme gedrückt hat. Er hat mir vertraut, dass seiner Familie von mir keine Gefahr droht. Sie hat mir vertraut, geglaubt, dass ich Arlin nichts tun würde – selbst, nachdem ich vor ihr zurückgewichen war. Dieser Vorfall gehört auf die Liste des Versagens, doch der restliche Abend war ein wahrer Erfolg.
Selbst, nachdem ich Alfons‘ Fellpflege beendet und mich von ihm verabschiedet habe, längst wieder im Phextempel auf meinem Lager liege, denke ich noch über den heutigen Tag nach. Je länger ich die verschiedenen Ereignisse durchdenke, desto mehr Dankbarkeit und Freude über Turikes und Rakos Vertrauen erfüllt mich.
Geht es den Göttern mit uns Sterblichen genauso?
In meinem abendlichen Gebet fasse ich zusammen, was ich auch Alfons bereits erzählt habe.
Ich weiß nicht, ob es den Göttern etwas bedeutet, aber ich lege Wert darauf, meine Dankbarkeit dafür, dass der heutige Tag so verlaufen ist, in meinen Gedanken spürbar zu machen. Ich möchte die Freude, die ich über geschenktes Vertrauen empfinde, gerne an meinen Gott weitergeben.