Was wird Phex als Buße von mir fordern? Die Liste meiner Verfehlungen wird immer länger und länger!
„Konzentrier dich, Junge! Was ist denn los mit dir?“
„Nichts, Hal. Tut mir leid, ich war kurz abgelenkt.“ Ich werfe ihm ein entschuldigendes Lächeln zu.
Sein Blick ist streng. „Du musst dem Sparring deine volle Aufmerksamkeit widmen!“
Ich nicke, und wir fahren fort. Ich weiche Hals Schlägen aus, blockiere, achte auf die Beinarbeit und meine Stabilität, nutze die Möglichkeiten, selbst zuzuschlagen.
Und dennoch driften meine Gedanken immer wieder zu meinen Fehlern zurück.
Unbeherrschtheit: Ich habe Tjeika Unrecht getan und ihr Angst gemacht.
Unhöflichkeit: Ich habe Meisterin Ruttels Freundlichkeit ausgenutzt, wenn auch in guter Absicht.
Unvorsichtigkeit: Dieses Missgeschick bei meinem zweiten Auftrag für Phex! Wäre Rako nicht gewesen, der die Wache abgelenkt hat, hätten sie mich und die Vertragshälfte in die Finger bekommen ...
Wieso habe ich nicht einfach abgewartet, bis der Gardist die Straße verlassen hatte? Warum bin ich dieses völlig unnötige Risiko eingegangen, vom Dach zu steigen, während er in Sicht- und Hörweite war?
Letztendlich ist nichts geschehen. Rako hat darüber gelacht, dass er bei der Stadtwache nun als ängstlicher Mensch gilt. Alle Geweihten waren hochzufrieden, als Linari am Folgetag im Tempel erschien und sich erkundigte, wie er Abbitte bei Phex für einen Fehler leisten könne, den er begangen habe – der Listige selbst habe ihm vor Augen geführt, dass er gegen seine Gebote verstoßen habe. Alle haben mir zu diesem gelungenen Coup gratuliert – doch ich weiß, dass meine Unvorsichtigkeit das ganze Unternehmen beinahe hätte scheitern lassen! Ich habe nun einen sehr gewichtigen Punkt auf meiner Liste der Verfehlungen.
Wenn ich nicht bald eine Möglichkeit finde, Buße zu tun, wird die Liste sicherlich so lang werden, dass der Fuchs persönlich –
Hals Ellbogen trifft mich hart in die Seite, und ich gehe keuchend in die Knie.
Er hält inne und sieht sowohl vorwurfsvoll als auch bedauernd auf mich hinunter.
„Tut mir leid. Aber du passt nicht auf, Junge! Wo ist dein Kopf denn heute nur? Wir tanzen nicht! Dabei kannst du träumen, hier nicht!“
Er streckt mir seine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen, doch ich ignoriere die Geste und kämpfe mich alleine wieder auf die Füße.
„Es tut mir leid, Hal.“
Und da kommt mir endlich die Lösung in den Sinn. Erstaunt sehe ich Hal an, als mir die Erkenntnis dämmert, dass er mir noch mit viel mehr als nur mit Unterricht helfen kann!
„Hal – wenn ich nicht aufpasse, nimm darauf keine Rücksicht“, bitte ich ihn. „Ich glaube, ich lerne viel besser, aufzupassen, wenn du mich auch ab und zu mal triffst!“
Er schnaubt verächtlich. „Das ist doch Unsinn! Wenn ich dich unglücklich erwische, könntest du ernsthaften Schaden davontragen!“
„Aber genau deshalb bitte ich dich ja darum!“, insistiere ich. „Überleg doch mal – wenn mich später jemand angreift, wird der auch keine Rücksicht nehmen! Wenn ich aber jetzt schon weiß, welche Folgen Unachtsamkeit haben kann, wenn ich weiß, wie es sich anfühlt, getroffen worden zu sein, wenn ich weiß, was ich dann noch kann und was nicht, bin ich viel besser vorbereitet, mich zu verteidigen!“
Hal wirkt nachdenklich – meine Strategie geht auf! Im Geiste danke ich meiner Erfahrung als Händler, die mich lehrt, stets die Argumente zu präsentieren, die dem anderen am ehesten einleuchten werden.
Ich setze noch einen obendrauf. „Und wenn du mich wirklich schlimm erwischst, ist doch der Perainetempel nicht weit. Außerdem, vergiss nicht: Ich bitte dich darum. Es wäre also viel eher meine Schuld als deine. Es ist meine freie Entscheidung.“
Ah, noch ein bisschen. Fast habe ich ihn!
„Ich brauche deine Hilfe, Hal“, füge ich in sanftem Tonfall an. „Ich will nie wieder unbeherrscht so zuschlagen, dass ich jemand anderen schlimm verletze. Aber wie reagiere ich, wenn ich getroffen wurde? Das kann ich nur mit dir unter sicheren Bedingungen herausfinden.“
In meinem Kopf höre ich Rako: Man präsentiert dem Verhandlungspartner die Argumente, die ihm am überzeugendsten erscheinen. Du musst aber selbst daran glauben, sonst wird er bemerken, dass du versuchst, ihn zu manipulieren. Lügen ist bei solchen Verhandlungen tabu!
„Nun gut“, brummt Hal, und innerlich vollführe ich einen Luftsprung vor Erleichterung.
„Danke!“ Ich strahle ihn an und gehe wieder in Kampfstellung. „Lass uns weitermachen!“
Ich bin wirklich überzeugt, dass mich solches Training zu einem noch besseren Kämpfer macht!
Hal schlägt fest zu, präzise und hart. Seine Treffer werden noch lange schmerzen. Sollte ich Buße leisten müssen, wird es genügen, gelegentlich nicht schnell genug abzuwehren oder auszuweichen.