Langsam begann der Herbst und machte auch vor Adlerstal nicht halt. Die Blätter an den Bäumen verfärbten sich in den schönsten Farben, bevor sie zu Boden fielen, und von Kindern zum Spaß hochgewirbelt wurden. Ältere Bewohner beklagten sich, dass sie das heruntergefallene Laub aufkehren mussten. Mit den kühleren Temperaturen rollte auch die erste Erkältungswelle an.
Tessa erwachte wie jeden Morgen als ihr Wecker sie aus dem Schlaf riss. Sie tastete sich mit geschlossenen Augen zu dem schrill piependen Gerät, und schaffte es ihn nach ein paar Minuten auszustellen. Das Mädchen versuchte die verkrusteten Augen zu öffnen, was schwierig für sie war. Tessa versuchte zu schlucken. Sie hatte einen schmerzenden Kloß im Hals. Na toll, ich bin wohl krank, dachte sie sich, und versuchte sich aufzusetzen. Ihr wurde jedoch schwindelig, und sie legte sich wieder hin.
„Mama?“, rief Tessa, erschrak jedoch über ihre heisere Stimme. Gleich nach ihrem Versuch zu sprechen, wurde sie von einem Hustenanfall geschüttelt, den ihre Mutter glücklicherweise gehört hatte.
„Tessa? Oh meine Liebe, du siehst aber gar nicht gut aus.“ Ihre Mutter kam herein, und schaltete das Nachtlicht an. Sie legte besorgt eine Hand auf ihre Stirn. „Du glühst ja förmlich. Ich melde dich lieber von der Schule ab. Ich hole eben etwas“, beschloss sie, und verließ das Zimmer.
„Aber...“, versuchte Tessa zu widersprechen, und setzte sich dabei auf. Dadurch bemerkte sie ein Ziehen in ihrem Bauch. Na wunderbar, da hatte ich doch Recht, mit meiner Vermutung… Erkältung und Periode zusammen, echt toll… Das Mädchen lehnte sich frustriert zurück. Ihre Mutter erschien wieder, diesmal mit einem Fieberthermometer in der Hand.
„Heb mal deinen linken Arm an… Sehr gut. Jetzt warten wir...“ Der Rest von dem was ihre Mutter sagte, ging in einem erneuten Hustenanfall Tessas unter.
„Was ist eigentlich mit Jaqueline? Du warst in letzter Zeit kaum bei ihr.“
Tessa stöhnte leise. Musste ihre Mutter ausgerechnet jetzt so ein Thema anschneiden? „Die ist komisch geworden...“, krächzte sie heiser.
„Aber ihr wart doch immer so gut befreundet. Was ist denn passiert?“, fragte sie mitleidig.
„Mama… bitte nicht jetzt...“, sagte Tessa leise. Die nächsten Minuten vergingen quälend langsam für sie. Nach einer gefühlten halben Stunde piepste es endlich, und zeigte 39,5 Grad an. Tessa warf einen Blick auf den altmodischen Quecksilberbalken, und seufzte leise. „Das dachte ich mir schon. Du bleibst heute zuhause, Kind.“, beschloss ihre Mutter. „Soll ich dableiben, und mich um dich kümmern?“
„N-nein, danke Mama. Ich bin doch schon groß, und...“ Tessa hustete sich erneut die Seele aus dem Leib. Sie wollte, wenn sie sich bereit zum aufstehen fühlte, ihre Ruhe im Badezimmer haben. Da konnte sie keine Mutter gebrauchen, die um sie herum wuselte…
„Bist du dir sicher? Ich könnte...“
„Nein Mama, bitte. Ich werde schon nicht sterben.“ Tessa versuchte sich an einem Grinsen. Ihre Mutter seufzte, und bat sie, sie sofort anzurufen, wenn etwas war. „Dann schließe ich die Praxis und komme sofort zu meinem kranken Mädchen geeilt.“
Tessa rollte mit den Augen, musste jedoch versichern, dass sie anrief. Ihre Mutter streichelte ihr über den Arm, und knipste das Licht aus. „Ruh dich noch etwas aus, bis später. Ich bringe dir etwas von der Apotheke mit.“, sagte sie, bevor sie den Raum verließ. „Danke, Mama. Bis später.“, krächzte Tessa.
Etwas später wurde sie von ihrem Vater geweckt, der sie besorgt musterte. Die Fragerunde begann erneut. „Papa, ich werde es schon überleben. Ich brauche nur etwas Erholung.“, sagte sie leise. Es war ja schön, wenn Eltern besorgt waren, aber sie wollte doch gerade nur ihre Ruhe…
Als ihre Eltern das Haus verlassen hatten, rollte sich das kranke Mädchen auf die Seite, und versuchte sich noch etwas auszuruhen. Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Freundin. Was würde sie denken, wenn sie nicht zur Schule kam…?
Tessa fiel irgendwann in einen unruhigen Schlaf.