Jaqueline grübelte eine ganze Woche darüber, wie stark ihre Gefühle für Tessa und Miriam waren. Sie war im Unterricht häufig mit ihren Gedanken abwesend – was ihr des öfteren Ärger von den Lehrern einbrachte. Doch sie wollte sich nicht leichtfertig für eine der beiden entscheiden. „Hey… Was ist eigentlich in letzter Zeit los mit dir?“ Miriam stupste sie von der Seite an, als Jaqueline mal wieder geistesabwesend aus dem Fenster sah.
„Oh, tut mir leid… Ich denke über etwas nach. Etwas Wichtiges...“
„Das dachte ich mir schon. Willst du mir verraten, über was du nachdenkst?“, fragte Miriam nun leicht misstrauisch.
„Wir reden nach der Schule, okay?“
„Na gut...“
Die restliche Pause verbrachten sie schweigend.
„So, auf gehts, Jacky. Du kommst doch noch kurz mit?“, fragte Miriam, und sah ihre Freundin prüfend an.
„Ähm, klar. Ich komme mit.“ Jaqueline nahm all ihren Mut zusammen. Sie hatte sich entschieden.
„Dann raus damit. Was ist los?“ Miriam zog an ihrer Zigarette.
„Du, Miriam… Es fällt mir so schwer, es auszusprechen, aber…“ Jaqueline seufzte. „Ich habe gemerkt, dass ich für Tessa mehr empfinde. Du kannst nichts dafür, nur… Es ist meine Schuld, ich...“
„Schon gut. Ich habe mir so etwas schon gedacht.“
„Es tut mir so leid…!“
„Komm mir nicht mit solchen Sprüchen. Das sagen doch alle, wenn Schluss ist. Ich habe übrigens morgen ein Reitturnier, danke!“ Mit diesen Worten ging Miriam davon, ohne Jaqueline noch eines Blickes zu würdigen.
Die Dunkelhaarige war den Tränen nahe. „Miriam! Das habe ich nicht gewollt…“, rief sie noch, doch die Blonde drehte sich nicht um. Ein paar andere Schüler beobachteten die sich ihnen bietende Szene neugierig. Doch bevor noch blöde Sprüche kamen entschied sich Jaqueline, lieber den Heimweg anzutreten.
Zuhause fand sie auf dem Küchentisch einen Zettel von ihrer Mutter. Sie las:
„Hallo Jaqueline, ich bin mit Sonja unterwegs, sie ist krank geworden, wir fahren zum Arzt. Mittagessen steht im Kühlschrank.“
Doch dem Mädchen war nicht nach Essen zumute. Sie ging eilig in ihr Zimmer, und warf sich auf ihr Bett. Dann liefen die Tränen ungehindert. All die angestauten Gefühle hatten nun freie Bahn. Das Ende der Beziehung mit Miriam tat ihr weh. Und dass sie Tessa so weh getan hatte… Jaqueline fühlte sich in diesem Moment schwach, naiv und dumm.
Die drei Katzen beobachteten ihre Besitzerin zunächst, bevor sie zum Bett spazierten, und auf selbiges sprangen. Schnurrend kuschelten sie sich an Jaqueline.
„Danke ihr Süßen...“, schniefte sie, bevor sie ein Taschentuch hervorkramte, und sich die Tränen weg wischte. Ich werde nochmal mit Miriam reden, nein, ich muss es! Ich will nicht, dass wir so auseinander gehen...“ Fortuna maunzte leise, wie zur Bestätigung.
Das Mädchen streichelte die Katzen abwechselnd, während sie einen Plan austüftelte. „Tessa muss mit… Wir reden mit ihr, am besten nach ihrem Turnier, da ist sie vielleicht entspannter… Ja, ich rufe gleich Tessa an!“
Am nächsten Tag machten sich die beiden Mädchen zusammen mit Jaquelines Eltern und Sonja auf nach Grünwalde, wo das Turnier stattfinden sollte. Jaqueline hatte ihren Eltern erzählt, dass sie mit Miriam gestritten hatte, und nun das Problem klären wollte.
Der Platz auf dem das Turnier stattfand, war von Sitzbänken umgeben. In der Mitte standen verschiedene Hürden, die die Reiter mit ihren Pferden überwinden sollten. Aufgeregt folgte das Mädchen ihrer Freundin und Familie. Weit vorne waren noch Plätze frei, auf die sie sich nun setzten. Ihre Eltern verschwanden kurz, und kehrten mit Bechern, gefüllt mit heißer Zitrone, zurück. Jaqueline, Tessa und Sonja nahmen sie dankend an.
Sie warteten noch eine Weile, dann ging es los, ein Mann hielt die Eröffnungsrede.
Der erste Reiter startete. Er schien in ihrem Alter zu sein. Jaqueline beobachtete neugierig, und bewundernd, wie die beiden die Hürden meisterten. Es folgten vier weitere, alle bekamen Applaus. Bis Miriam startete. Sie sah gut aus, mit ihren polierten Reiterstiefeln, fand Jaqueline. Doch auch Freya sah chic aus, mit geflochtener Mähne. Die beiden legten los, nahmen eine Hürde nach der Anderen – bis Freya scheute, sich aufbäumte, und Miriam abwarf.
Das Mädchen landete mit einem Schmerzensschrei unsanft auf dem Boden. Die Richter waren dem Platz am nächsten, sie standen auf und eilten zu der Gestürzten. Eine Frau versuchte ihr Pferd zu beruhigen.
Tessa, Jaqueline und ihre Familie hatten das Ganze erschrocken angesehen, nun gab es kein Halten mehr.
Jaqueline und Tessa rannten zu ihrer Klassenkameradin, die auf der Seite lag, und kaum ansprechbar war. „Sie ist geschockt, und scheint starke Schmerzen zu haben. Wir müssen auf den Krankenwagen warten.“, erklärte eine der Richterinnen.
Die Mädchen beugten sich zu Miriam herunter. Sie hatte weiße Lippen, und zitterte. Ihre Augen fixierten einen Punkt, sie reagierte nicht auf die Zurufe. Keine der beiden traute sich, die Blonde zu berühren, aus Angst ihr noch mehr weh zu tun.
„Das ist alles meine Schuld...“, sagte das Mädchen leise. Tessa nahm bestürzt ihre Hand. „Wir sind ihre Klassenkameradinnen.“, sagte sie zu den Anderen. „Wisst ihr, ob ihre Eltern da sind?“ Jaqueline sah sich um. „Nein, sie sind nicht hier...“, sagte sie schließlich kleinlaut. Ihre Freundin schüttelte ungläubig den Kopf.
Weitere Turniergäste wurden auf Abstand gehalten. Dann, nach zähen Minuten traf der Krankenwagen ein. Miriam wurde betäubt, und verladen.
„Was wird jetzt mit Freya?“, fragte Jaqueline einen der Richter. „Ich kann sie zu ihrem Stall bringen, mit meiner Freundin.“, schlug sie vor.
Die Richter berieten sich kurz, bevor sie zustimmten. „Aber seid vorsichtig.“
„Freya ist sonst nicht so. Ich weiß nicht, wovor sie Angst hatte.“ Unter den besorgten Blicken der Richter und Turnierteilnehmer, nahm sie Freya vorsichtig an den Zügeln, und die drei machten sich auf den Weg zum Stall, der laut Tessas Navi zum Glück nicht weit weg war.
Sie riefen Jaquelines Eltern noch zu wohin sie wollten, dann liefen sie mit dem Pferd los. Alle waren nervös, und voller Sorge um Miriam.
„Wir besuchen sie doch im Krankenhaus, oder?“ Jaqueline sprach die Frage aus, die sie die ganze Zeit schon stellen wollte.
„Ja klar. Ich will doch auch wissen, wie es ihr geht.“ Tessa nickte ernst.
Gemeinsam brachten sie Freya sicher in ihre Box. Jaquelines Eltern und Schwester waren mit dem Auto langsam hinterhergefahren, und luden die beiden nun ein. Auf der Fahrt nach Hause sprachen sie kaum ein Wort. Sonja schniefte leise, was nicht nur mit ihrem Schnupfen zu tun hatte. Der Schock saß noch bei allen tief.