Tessa zog sich immer weiter von ihrer Freundin zurück, was Jaqueline nicht verstand. Ratlos sah sie ihr hinterher, als ihre Freundin ihr zum Schulschluss nur kurz zuwinkte, und dann einfach ging. Jaqueline drehte sich zu Miriam um, die jedoch genauso verwirrt zu sein schien. Sie zuckte mit den Schultern, und packte ihre Sachen ein. „Kommst du noch kurz mit?“, fragte Miriam, als sie ihren Rucksack schulterte.
„Ähm ja, okay. Aber ich muss dann gleich nach Hause, auf meine kleine Schwester aufpassen. Und wir haben schon wieder so viele Schularbeiten auf...“, stöhnte Jaqueline.
„Okay. Magst du dann telefonieren? Wir können unsere Hausaufgaben zusammen machen.“, schlug Miriam vor.
Jaqueline spürte einen kleinen Stich im Herzen. Sie erledigte sonst ihre Hausaufgaben oft mit Tessa zusammen… Sie ist so komisch seit vorhin, ich frage mich echt, was ich ihr getan habe… Gestern haben wir doch noch normal miteinander geredet. Dafür verstehe ich mich immer besser mit Miri. Ob sie wohl eifersüchtig ist?
„Hallo? Erde an Jacky?“
Jaqueline schreckte aus ihren Gedanken. „Oh, tut mir leid. Wir können dann gerne telefonieren. Du weißt ja, ich hab es mit Mathe nicht so...“
„Und ich hab so meine Probleme mit Englisch. Also ist es abgemacht.“ Miriam nickte zufrieden. Die beiden Mädchen machten sich auf den Weg zur Sporthalle. Die Blonde steckte sich auf dem Weg dorthin schon eine Zigarette an.
„Hast du keine Angst, dass dich jemand von den Lehrern zuhause verpetzt?“, fragte Jaqueline besorgt. „Oder weiß deine Familie, dass du rauchst?“
„Meine Mutter weiß es. Aber sie sagt nichts, und mein Vater ist eh kaum zuhause. Und wenn er mal da ist, hat er eh keine Zeit sich Gedanken um mich zu machen.“ Miriam zuckte mit den Schultern, und blies den Rauch aus.
„Oh. Hat er viel auf Arbeit zu tun?“, fragte Jaqueline betreten.
„Ja, und wenn er frei hat, trifft er sich mit seinen Kumpels, und die gehen dann saufen. Oder sonst was. Ich will es eigentlich gar nicht so genau wissen.“
Jaqueline staunte, dass diese Situation ihre Freundin kaum zu kümmern schien. Oder tut sie nur so, als ob es ihr egal ist…? Oh man, sie tut mir leid…, dachte sie traurig. Jaqueline war mit einem Mal froh, dass sie eine heile Familie hatte, und ihre Eltern glücklich miteinander waren. „Das… Das tut mir leid.“, sagte sie schließlich beklommen.
„Braucht es dir nicht. Mein Erzeuger ist schon seit vielen Jahren so. Ich habe mich daran gewöhnt. Meine Mutter hat Schuldgefühle mir gegenüber, deswegen hat sie mir Freya gekauft.“
„Kümmert sie sich wenigstens um dich? Oder dein Bruder?“, fragte Jaqueline leise.
„Sie hat viel mit sich selbst zu tun. Mein Bruder ist mit achtzehn abgehauen. Ich kann ihn verstehen.“
Jaqueline schwieg bekümmert, und überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte, um die Stimmung etwas zu heben. „Du kannst echt toll reiten.“, sagte sie schließlich lächelnd.
„Danke.“ Miriam lächelte zurück. „Tiere sind mein Leben. Ich bin froh, Freya und die Kaninchen zu haben.“
„So geht es mir auch! Ich könnte nicht ohne meine Katzen.“ Begeistert schwärmte Jaqueline von ihren Miezen, bis sie von ihrem klingelnden Handy unterbrochen wurde.
Ihre Mutter war am Telefon. „Hi Mama… Ja, ich bin noch in der Schule… Okay, ich bin schon unterwegs, mach dir keine Sorgen… Tschau, bis heute Abend...“ Sie legte auf. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich los, sonst ist Sonja alleine. Machs gut, bis später.“
„Kein Problem. Bis später.“
Jaqueline wollte losgehen, war sich jedoch unsicher. Soll ich sie umarmen? Oder lieber nicht…? Sie entschied sich schließlich für eine Umarmung, die etwas länger andauerte als sonst. Miriam gab ihr auch diesmal einen Kuss auf die Wange, bevor sie sie los ließ. „Jetzt mach dich auf, sonst muss deine Mutter warten.“
„Stimmt. Also dann, bis später.“ Jaqueline machte sich eilig auf den Weg nach Hause.
Nachdem ihre achtjährige Schwester ihre Schularbeiten gemacht, und sie beide Abendbrot gegessen hatten, ließ Jaqueline sie etwas fernsehen, damit sie sich ihren Aufgaben widmen konnte. Zunächst fütterte sie die drei Katzen, spülte das Geschirr, und brachte den Müll raus. Dann setzte sie sich an die Hausaufgaben.
Aber bevor ich Miri anrufe, probiere ich es bei Tessa. Ich hoffe, sie hat Zeit… Jaqueline suchte Tessa in ihren Kontakten, und drückte auf anrufen. Doch kaum tutete es, erklang schon das Besetztzeichen. Sie drückt mich weg…? Wieso das denn… Ob sie sich nur verdrückt hat? Jaqueline probierte es noch einmal, mit dem selben Ergebnis. Enttäuscht wählte sie schließlich Miriam an.
Die beiden telefonierten lange. Sie redeten nicht nur über die Schulaufgaben. Miriam wollte diesmal alles über Jaqueline wissen. Ob sie sich mit ihren Eltern gut verstand, wie sie über ihre kleine Schwester dachte, was sie nach dem Abschluss vorhatte, und noch viel mehr.
„Du bist aber neugierig heute.“, lachte Jaqueline. Mit Miriam zu reden tat ihr gut, es dämpfte den Kummer etwas, den sie wegen Tessa hatte. Sie freute sich, dass sie und Miriam langsam eine tiefere Freundschaft aufbauten.
„Ich will später mal Tierärztin werden. Dazu werde ich wohl aus Adlerstal wegziehen müssen… Aber nicht ohne Maya, Cupcake, und Fortuna. Die sind mir viel zu wichtig, als dass ich sie zurücklassen könnte.“
„Versteh ich. Ich werde wohl nicht wegziehen. Es sei denn, ich finde einen anderen, guten Pferdehof.“, gab Miriam zurück.
„Das ist schade, aber ich versteh dich. Du willst Freya auch nicht zurücklassen.“
„Richtig.“
„Und… Was meinst du, wie sieht es mit uns aus?“, fragte Jaqueline vorsichtig. Sie fühlte sich traurig, bei dem Gedanken daran, ihre Freundinnen eines Tages aus den Augen zu verlieren.
„Wir bleiben in Kontakt, ist doch klar.“
„Das freut mich. Du bist mir nämlich wichtig. Also.. Du und meine anderen Freundinnen.“ Jaqueline wurde rot und war froh, dass Miriam es nicht sehen konnte.
Miriam lachte am anderen Ende. „Das freut mich zu hören.“, sagte sie amüsiert, doch nicht unfreundlich.
„Ich muss nun auflegen, es wird Zeit, meine Schwester ins Bad zu schleifen.“, sagte Jaqueline A Augen rollend, doch lachte dabei. „Sie muss dann so langsam duschen, und ab ins Bett.“
„Mach das.“, lachte Miriam. „Bis morgen dann.“
„Bis morgen, Tschau.“
Erschöpft fiel Jaqueline später am Abend in ihr Bett. Sie war froh, alles erledigt zu haben, doch ein Wermutstropfen blieb. Tessa hatte nicht zurück gerufen.