Es ging alles viel zu schnell. Dunja spürte nur einen dumpfen Stoß gegen die Seite und fand sich im nächsten Moment auf allen Vieren im Sand wieder. Der lange Strick glitt ihr aus den Händen und der goldene Hengst preschte davon, zum anderen Ende des Platzes.
Dabei hatte sie heute ein wirklich gutes Gefühl gehabt. Rendall’s Pride, von Dunja nur liebevoll ihr „Goldie“ genannt, war aufmerksam gewesen, hatte sensibel auf ihre Kommandos reagiert und sie hatte sogar das Gefühl gehabt, der Hengst hätte tatsächlich endlich ein bisschen Spaß an der Arbeit mit Menschen entwickelt. Vor nun bald einem Jahr hatte sie den goldfarbenen Palomino mit der außerordentlichen Abstammung für einen Spottpreis vor dem Abdecker gerettet. Eigentlich hätte er als Vererber auf einem namhaften Gestüt eingesetzt werden sollen, doch galt er von Beginn an als unberechenbar und viel zu viele Hände hatten über lange Zeit hinweg versucht, das stolze Tier mit Druck zu kontrollieren. Inzwischen war Goldie mit seinen acht Jahren bis auf das Fohlen-ABC noch immer roh: Er kannte weder Sattel noch Longe, an Reitergewicht war überhaupt nicht zu denken. Das wäre an sich kein Problem, allerdings war er bisweilen tatsächlich „unberechenbar“ und stellte damit eine Gefahr sowohl für sich selbst als auch für seine Umgebung dar. Sogar der Stallbesitzer – ein netter und verständnisvoller Mann – hatte ihr letzte Woche deutlich zu verstehen gegeben, dass er ein solch gefährliches Tier nicht mehr länger auf seinem Hof verantworten könne.
Dunja stand auf und klopfte sich die Handflächen an der Hose ab. Sie begann, ein einfaches Lied zu singen, um sich selbst und damit das Pferd zu beruhigen, und bewegte sich mit ruhigen Schritten in einem großen Halbkreis in seine Richtung. Goldie spitzte die Ohren und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Eine stolze und imposante Erscheinung war er, das musste man ihm lassen. Als sie sich ihm bis auf etwa drei Meter genähert hatte, reckte er ihr sogar seine Nase entgegen – nur, um im nächsten Moment mit einem leisen Wiehern kehrtzumachen und auf die andere Seite des Platzes zu galoppieren, den Strick hinter sich her peitschend.
Spielte Goldie etwa mit ihr? Mit einem Seufzen machte sich Dunja auf in seine Richtung, denn ob es nun Angst oder Spiellaune war, der Strick konnte auf diese Weise gefährlich werden. Dennoch ließ sie der Anblick des stolz über den Platz preschenden Hengstes einen Moment innehalten. Es wurde langsam spät und seine lange, fliegende Mähne verwandelte sich in den tiefen Strahlen der Abendsonne zu goldenem Feuer. Die mühsam in den vergangenen Monaten aufgebauten Muskeln spielten unter seinem glänzenden Fell und der wache Blick des Tieres traf den Ihren.
Nein. An Aufgeben war gar nicht zu denken. Sie würde Goldie niemals wieder hergeben. Gemeinsam hatten sie im vergangenen Jahr so viel erreicht. Der Hengst zuckte nicht mehr vor jeder Berührung zurück, begann nicht mehr, bei der kleinsten Bewegung zu steigen und auszutreten, schlug seinen Kopf nicht mehr verzweifelt gegen die Stallwand. Und sein Blick war nicht mehr panisch und vor Angst verzerrt, wie zu Beginn. Im Gegenteil, die dunklen Augen blickten sie ruhig und selbstsicher aus der Ferne an...