Hinweis:
Diese Erzählung begann mit den Stichworten
"Schmiede"/"Hohlraum"
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Unruhig marschierte Rigon um die Straßenecke und machte kehrt. Seit drei Tagen und Nächten verharrte er nun an dieser Stelle, von der er die die Ausgänge des Justiciums im Blick hatte. Hoffentlich war Jane tatsächlich in jene Zelle gebracht worden. Hoffentlich hatte sie das Versteck gefunden. Hoffentlich konnte ihr der Dolch eine Hilfe sein. Hoffentlich war nichts Schlimmes geschehen. Rigon durfte den Glauben an Jane nicht aufgeben, denn er würde es sich niemals verzeihen können. Sie war wie eine Tochter für ihn, das wurde ihm gerade wieder schmerzlich bewusst. Wie konnte er solch gefährliche Aktionen überhaupt zulassen? Insgeheim wusste Rigon zwar, dass er Jane nicht zügeln können würde, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Die Last der Verantwortung blieb dennoch.
Es war so schrecklich schief gelaufen. Rigon hatte ja schon ein undefinierbares Gefühl dabei gehabt, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Auftrag war ziemlich heikel und dennoch schien alles so perfekt zu sein, mit dem Hausherren, der auswärts eingeladen war, und der vermeintlich spärlichen Bewachung... Aber natürlich war es eine Falle gewesen, und eine trickreiche noch dazu. Die Adelsfamilie war tatsächlich zur vorausgesagten Uhrzeit aufgebrochen und die Wachen und Bediensteten hatten sich verborgen, sodass das gesamte Anwesen beinahe verlassen wirkte. Nur an einem Punkt war der perfide Plan aus dem Ruder gelaufen: Anstatt Rigon, dem Meisterdieb, war seine junge Partnerin Jane geradeheraus hineingetappt. Denn natürlich war er, der bekannte Kopf des Duos, das Ziel gewesen. Er wusste zwar noch nicht, wer dahinter steckte, doch das war die einzig plausible Erklärung. Hatte er sich doch in seinen inzwischen zahlreichen aktiven Jahren so einige Feinde gemacht, sowohl an einflussreichen Bürgern und Adeligen als auch an Konkurrenten aus der Diebesszene selbst. Jane hatte er dagegen immer im Hintergrund behalten und jegliche Kommunikation mit Auftraggebern und Mittelsmännern selbst übernommen. In der gesamten Stadt herrschte nämlich ein harter politischer Machtkampf unter den Adeligen, bei dem es auch darum ging, wer über die besseren Mittel und Möglichkeiten verfügte, gegen seine Gegner zu komplottieren und sie hinterrücks auszuschalten. Es war ein blühender Markt für die Dienste von Dieben und Spionen, aber auch von Meuchelmördern. Allerdings standen jene auch im Kreuzfeuer, wenn es darum ging, die eigene Position zu stärken. So war es schon häufiger vorgekommen, dass zwielichtige Gehilfen von den Adeligen gegeneinander ausgespielt, vor das Gericht gestellt und somit ausgeschaltet oder einfach gefangengenommen und gefoltert wurden, um Informationen über die politischen Gegner zu erpressen.
Als Rigon in jener Nacht bewusst geworden war, das etwas ganz und gar nicht stimmte, war es bereits zu spät gewesen. Er hatte absolut nichts unternehmen können, um Janes Ergreifung zu verhindern, die Falle war zugeschnappt und zwar punktgenau. Allein hätte er keine Chance gegen die schwer bewaffneten Söldner gehabt, die obendrein mit einem solch unüberlegten Rettungsversuch rechnen mussten. Doch anstatt hilflos mit anzusehen, wie die junge Frau bewusstlos geschlagen und aus dem Gebäude gezerrt wurde, war er losgelaufen. Er hatte nicht länger darüber nachdenken müssen, um zu wissen, dass es nur einen einzigen Ausweg aus diesem Schlamassel gab: Rigon musste seinen Widersachern zuvor kommen. Also war er gleich einem Schatten über Dächer und durch Schleichwege gehuscht, um rechtzeitig beim Justicium aufzuschlagen. Mit seiner unscheinbaren Kleidung und der leichten Bewaffnung konnte er gut als Bote durchgehen. Festen Schrittes war er auf die diensthabenden Wachen zugegangen und hatte die Ankunft der neuen Gefangenen angekündigt. Als vermeintlicher Bediensteter einer der einflussreichsten Familien hatte er verlangt, die freien Zellen zu inspizieren und die Gefangene in einen ansonsten leerstehenden Teil des Zellentrakts zu bringen. Seine spitze Zunge hatte ihm schon immer gute Dienste geleistet. Einmal so weit gekommen, war es für den Meisterdieb kein Problem mehr gewesen, den zierlichen Dolch im Gemäuer zu verstecken und rechtzeitig wieder zu verschwinden. Er hatte alles getan, was in seiner Macht stand. Hoffentlich war es genug gewesen.
Nun blieb Rigon nichts als zu warten. Zu warten und auf Janes Fähigkeiten zu vertrauen. Er hatte ihr alles beigebracht, was er wusste. Jetzt musste sie es selbst schaffen.