„Haaaa – puhhhhh!“, erklang es tief im Wald. „Haaaa – puhhhhhhh!“
Neugierig wandte sich der Waldgeist in die Richtung, aus der er die seltsamen Laute vernahm. Auf seiner Runde durch das Reich der Bäume konnte ihm kein Vorkommnis entgehen. Er spürte das Holz, wie es im Wind ächzte, und war Eins mit den Tieren, von den kleinsten Insekten bis hin zu den großen Säugern. Er fühlte die Angst und den Schmerz der Hasen und Rehe, wenn sie verzweifelt versuchten, dem Räuber entkommen, doch er schmeckte auch die Lust und den Genuss der Wölfe, wenn sie ihre Beute letztendlich erlegten. Der Puls des Waldes hielt ihn am Leben, so wie es seine einzige Aufgabe war, den Wald zu behüten. Diese Geräusche jedoch vermochte er nicht zuzuordnen. Also folgte der Waldgeist der Spur, die ihn zu einer verborgenen Lichtung führte.
In der Mitte der Waldblöße erblickte er einen jungen Drachen, der sehr angestrengt einatmete und wieder ausatmete. Das Geschöpf erstarrte, als es den Waldgeist erblickte.
„Na wen haben wir denn da?“, fragte der Hüter des Waldes. „Was treibt dich denn ganz allein so tief in meinen Wald?“ Seine Stimme klang wie das Rauschen der Blätter.
„N-nichts…“, stotterte der kleine Drache erschrocken und wich vorsichtig zurück.
„Das sah mir aber nicht nach ‚Nichts‘ aus“, beharrte der Geist weiter.
Da glitzerte eine Träne im Augenwinkel des Drachen, als er beschämt den Waldboden musterte: „Ich wollte doch nur allen beweisen, dass ich auch ein großer und starker Drache bin! Genauso, wie mein Vater. Aber die anderen Jungdrachen lachen mich nur aus und reißen Witze über mich. Das tut so weh…“
„Ah, ich verstehe“, erwiderte der Waldgeist. „Du hast deine Flamme noch nicht gefunden, was? Und die anderen in deinem Alter etwa schon?“
Der junge Drache nickte betreten, seine Flügelchen hingen traurig zu Boden. Eigentlich wirkten sie viel zu klein, um den dazugehörigen Körper zu tragen, doch der Waldgeist wusste, dass der widernatürliche Schein bei diesen geheimnisvollen Wesen trügte.
„Lass‘ deinen Kopf nicht hängen, Kleiner!“ Die Worte des Waldhüters trugen Mut und Zuversicht in sich. „Ich weiß, dass auch du das schaffst. Bisher hat noch jeder Jungdrache seine Flamme gefunden.“
Doch der kleine Drache zweifelte noch immer an sich selbst. Zu tief saßen Scham und Angst davor, als Sohn seines Vaters, des großen Kriegers, zu versagen.
Der Waldgeist kam näher und fing mit seinen strengen grünen Augen den Blick des jungen Drachen. „Nun hör mir mal gut zu“, rauschte er. „Du schließt jetzt zuerst einmal die Augen. Konzentriere dich nur auf dich selbst. Vergiss deine Umgebung. Sehr gut. Lass dich nicht ablenken. Spürst du, wie es in dir brennt?“
Der Drache nickte vorsichtig.
„Na also“, fuhr der Hüter fort. „Es ist da, du musst es nur greifen. Spüre die Glut in dir. Nimm sie an, sie ist ein Teil von dir. Spüre wie es in dir wärmer und wärmer wird. Nimm die Hitze an, sie ist ein Teil von dir. Und jetzt spüre, wie die Glut aufleuchtet und langsam zu einer richtigen Flamme wird. Sehr gut. Es gibt nur dich und das Feuer. Es ist ein Teil von dir.“
Er beobachtete, wie der junge Drache konzentriert atmete. Die Flügelchen lagen nun angespannt an seinem Körper. „Sehr gut machst du das. Die Flamme brennt, sie ist deine Lebenskraft.“ Die Stimme des Waldgeistes wurde immer eindringlicher. „Und jetzt – lass sie raus! Zeige der Welt, was in dir brennt!“
Der kleine Drache folgte aufmerksam den Anweisungen und holte noch einmal tief Luft. Er bündelte sein ganzes Wesen auf das Feuer in seiner Mitte. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, stieß er den Atem wieder aus und – siehe da! Aus den Nüstern des kleinen Drachen züngelte ein zartes Flämmlein.