"Wenn du dich östlich hältst und den Haupteingang im Blick –"
"Von wegen! Nicht schon wieder! Diesmal steige ich von hinten ein und habe den Spaß, während du den Aufpasser spielst. Außerdem bin ich eh viel flinker als du, weil ich kleiner bin."
"Ich bin mir nicht sicher... das ist wirklich ein großer Auftrag. Wir dürfen uns nicht den kleinsten Schnitzer erlauben."
"Meinst du etwa, das ist mir nicht klar? Willst du damit sagen, dass ich nicht gut genug bin? Dir werd ich's zeigen!"
Rigon wusste, dass jede weitere Diskussion auf taube Ohren stoßen würde. Jane hatte sich in den Kopf gesetzt, diesen Auftrag auszuführen, und das würde sie auch tun – mit oder ohne seine Hilfe. Es war nicht einmal, dass er ihr das nicht zutraute, denn seit er die kleine Taschendiebin von der Straße aufgesammelt und bei sich aufgenommen hatte, waren einige Jahre vergangen. Und wie verdammt gut sie geworden war! Im Team waren sie seit geraumer Zeit die gefragtesten Meisterdiebe der Stadt und erhielten sowohl die spannendsten als auch die lukrativsten Aufträge. Dennoch fühlte er sich noch immer genauso verantwortlich, wie damals für das kleine Mädchen. Immerhin hatte er sie zu solch einer gefährlichen Berufung erzogen...
"Jane. Jane! Ist schon gut. Du weißt, dass ich dir mit meinem Leben vertraue. Anstatt zu streiten sollten wir jetzt endlich unseren Plan für heute Nacht zu Ende schmieden. Du gehst also hinten rein..."
Ihr anonymer Auftraggeber hatte ihnen den Hinweis gegeben, dass das Zielobjekt an diesem Abend einer Einladung auf dem Landsitz eines befreundeten Adeligen folgen würde. Anscheinend war er selbst kein Unbekannter des Hauses, doch das war nichts Ungewöhnliches, das Geschäft der Meisterdiebe lebte durch den Neid der Reichen.
"Welche Waffen wählst du?"
"Hmm... das Seil und... zwei Dolche. Das Haus ist so eng und verwinkelt gebaut, alles andere würde mich nur behindern."
Als Dieb war es wichtig, sich möglichst von allem unnötigen Ballast zu befreien und alle potentiellen Geräuschquellen zu eliminieren. Man musste sich auf Samtpfoten zu bewegen, wie eine Katze jederzeit in einem dunklen Winkel verschwinden können und durfte bei alledem keine Spuren hinterlassen. Sollte eine Wache nicht zu umgehen sein, würde sie in erster Linie lediglich betäubt werden, die Waffen selbst würden nur Notfall eingesetzt. Sie waren schließlich keine Meuchelmörder.
"Alles klar. Aber bedenke: Der alte Herr hat eine ganze Reihe an Söldnern in seinem Dienst. Lass dich auf keinen Fall erwischen!"
Heute Abend würden sie sich also positionieren und jede Bewegung im Haus erfassen. Sobald die Luft rein war, würde sich Jane Zutritt durch den Bediensteteneingang verschaffen, während er in einer Seitenstraße bereit stand und den Haupteingang sowie die umliegenden Gebäude im Blick hatte. Sollte etwas Unvorhergesehenes passieren oder eine Wache aufmerksam werden, dann konnte er so jederzeit ein Ablenkungsmanöver in die Wege leiten. Wie oft sie mit dieser Strategie schon aus den brenzligsten Situationen entkommen waren – wer rechnete schließlich damit, gleich zwei Meisterdiebe am Hals zu haben?
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