Langsam kam ihm der Verdacht den falschen Weg genommen zu haben. In Gedanken lief er den Weg durch die verworrenen Gänge und vielen Abzweigungen nach. Der Krieger musste zweimal rechts, einmal links, und dann durch diese Tür. Sie ragte vor ihm auf wie eine undurchdringliche Wand, wie eine Stadttor, das Flucht verhindert und doch viel mehr aushielt. Mit seinem bloßen Schwert würde er nicht durch hindurch gelangen.
Der Mann trat näher heran, darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen und blickte an die Decke. Er hatte diese surrenden Adleraugen, die alles und jeden wie Spione beobachteten, aber dennoch nicht entdeckt werden wollen, im Blick. Sogleich entdeckte er wieder eines an der dunklen, fast schwarzen Decke. Der Raum wirkte ansonsten leer vor ihm, wenn er diese Gegenstände nicht sehen würde. Leise ging er in die Knie und starrte in dieses schwarze Loch, suchte nach Bewegungen, die er nicht fand. Nein, dieser abstrakte Späher würde ihn wohl nicht verraten. Also erhob der Mann sich wieder, ging auf die eiserne Tür zu. Eine raue Hand berührte das Material, um mit einem gekrümmten Finger dagegen klopfen, doch er besann sich. Ob diese Augen auch Ohren hatten, vermochte er nicht zu sagen. Die empfindlichen Fingerkuppen strichen über jedes Detail, über alle Kreise, Windungen, Striche und Erhebungen. Manche dieser Lienien verbanden sich zu etwas Schönem, manche wiederum kreisten um sich selbst und zierten damit die Tür. So schön sie auch sein mochte, so sehr hinderte sie ihm. Er suchte nach Schwachstellen, während im Kopf er seine Fluchtroute vervollständigte. Ebenso schnell, wie der Krieger aus seinem Gefängnis gekrochen war, so schnell hatte er sein Schwert und seinen Harnisch gefunden. Glücklich darüber, in dieser so finsteren Zeit ein wenig Bekanntes bei sich zu wissen. Gedankenverloren strich er über die Kerben an der Tür und gleichzeitig mit der anderen Hand über das lederne Griffstück seiner Waffe. Auch wenn es einen reinen Zufall dargestellt hatte, dass der Krieger mit den weißen Haaren hatte ausbrechen können, wusste er um seine vage Sicherheit. Seine feinen Ohren, die jedes Gehör eines Menschen überragten, versprachen ihm diese, denn er hörte nichts als ein dumpfes Hallen und hohles Scharen. Er war gerade allein. Den Göttern sei Dank.
Doch der Mann wagte es nicht, sich zu entspannten, er musste hier raus. Innerlich bahnte sich der eine Unruhe an, als er kein Schlüsselloch oder ähnliches fand. Wie öffnete man diese scheußliche Tür? Musste er wirklich...?
Plötzlich überkam ihn ein Gefühl und sogleich folgte die Gänsehaut. Die Sicherheit und geringe aufkeimende Hoffnung hatten ihn so sehr umgarnt, obwohl er sich diese Gefühle nicht eingestehen wollte und sie versucht hatte, niederzuringen. Eine Empfindung strich sanft über seine Haut, als wäre sie kaum da. Schwer atmend wandte er sich von dem Metall ab und sah in diese Leere. Der Gang vor ihm wirkte so klinisch weiß, so ruhig. Doch sein Gespür würde ihn niemals täuschen. Der Krieger wartete ab, bis der plötzliche Verfolger sich zu erkennen gab. Doch bis auf ein Kichern, das er nicht einordnen konnte, schwieg dieser.
Und der unbekannte Krieger ebenso.
„Was für eine List!“, lachte diese helle Stimme, die einer Elfe, aber auch einem Gnom, hätte gehören konnte.
„Gebt Euch zu erkennen!“, die Drohung des Kriegers war leise, doch gefährlich und finster zugleich. Die Stimme dagegen kratzig und ungewohnt, so wie seine Umgebung, und diese Welt. Doch sein Erscheinungsbild, die Waffe wie auch die Rüstung, zeigte keine Schwäche, seine Kleidung müssten die Meisten zurückschrecken lassen.
„Ihr habt diese Männer einfach hinterrücks getötet und wolltet fliehen. Welch trauriges Ende!“ Wieder ein Kichern, dessen Hallen in diesen einsamen Gängen niemals enden wollte.
„Sie haben es verdient“, kam der tonlose Kommentar, als sich der Mann wieder umdrehte. Die eine Hand auf dem Metall des Tors, um sich auf die Flucht zu konzentrieren. Er würde ein wenig warten müssen, bis er genügend Kraft gesammelt hatte. Doch diese Möglichkeit durfte er nicht verstreichen lassen. Die andere Hand indes verweilte auf dem Schwertgriff, bereit für einen Kampf, wenngleich er keinen Gegner aktuell zu spüren vermochte.
„Ihr folgt mir seither?“, fragte er dieses Wesen, das sich immer noch nicht zu erkennen gab. Vielleicht würde er einige Informationen erhaschen können, doch ebenso musste er seine Konzentration auf sein Vorhaben fokussieren. Beides zugleich würde ihm schwer fallen. Nebelschwaden durchzogen sein Sichtfeld, er begann zu schwanken. Mist, seine Kraft war noch nicht wieder vollständig hergestellt. Er hatte sich zu viel abgemüht.
„Findet Ihr wirklich, dass man Aufseher im Schlaf ermorden sollte? Das scheint mir doch ein wenig grausam. Obwohl, Ihr als ein...“, es schien zu grinsen, doch ein Zischen des Mannes vor dem Tor unterbrach den Hohn.
„Sprecht es nicht aus!“ Man durfte ihn nicht erkennen. Wenngleich sich hier düstere Gestalten rumtreiben und er ebenso zu solchen gehörte, durfte es keiner erfahren.
Durch die zufällig flüchtige Handbewegung fühlte er einige Schriftzeichen auf dem Tor, die ihm bekannt vorkamen. Er stockte und wand sich diesen zu. Die Stimme, diesmal näher, schnurrte und erklärte sich bereit, das Offensichtliche auszusprechen.
„Eine magisch versiegelte Tür. Was wohl in dem Herz des Schreiberlings vorgegangen sein muss, auf der Erde Magie anzuwenden?“ Der Herzschlag beschleunigte sich, während der Atem nur stockend aus ihm hervortrat. Eine nun offensichtliche Schwäche für Angreifer, dass ihm diese Art der Magie ein wenig vertraut war, wollte er sich ebenso wenig zugestehen, wie die Tatsache, dass dies seine Landessprache war. Eine magisch behaftete, die nur sein Volk sprach. Schriftzeichen wurden in das Metall geritzt, die magischen Linien zierten das Grau, als der Krieger sie nur mit großen Augen ansah. Er erkannte die Falle. Die Tür war versiegelt. Es gab kein Entkommen mehr. Wusste der Verfasser, dass er ihm dadurch jegliche Hoffnung nahm? Stockend holperten seine Schritte zurück, als der Weißhaarige sich abwand und sah das scheinbare Bekannte in Gedanken erneut formte. Er wollte es nicht wahrhaben. Ein trügerisch bekanntes Wunderwerk, das einer Schlinge glich. Dieses zog sich stetig um seinen Hals, je mehr er über sich, diese Welt und diese Tür erkannte. Und er erstickte daran. An diesem Wissen, dieser Erkenntnis. Seine Anwesenheit in dieser fremden Welt. Doch auch eine andere Frage kam ihm auf: Woher kannte der Verfasser diese längst ausgestorbene Sprache? War das etwa einer dieser Menschen gewesen?
Was haben diese scheußlichen Kreaturen mit ihm nur angestellt, bevor er erwacht war? Seine Gedanken rasten, überschlugen sich. Hoffentlich wussten diese Menschen nicht alles. Was sie doch für grausame Geschöpfe waren.
Bevor die Aufmerksamkeit wieder dem Moment zuwandte, rissen ihn leise Stimmen aus den gedanken, die hektisch umher schnatterten. Wie Gänse und Hühner, die aufgescheucht wurden. Sie haben wohl die Leichen entdeckt. Und noch viel schlimmer. Sie würden ihn bald zu fassen bekommen. Ihn als Testobjekt missbrauchen und ihn niemals wieder gehen lassen. Doch er durfte seine Kräfte hier nicht einsetzen. Die Schuld, so viele Lebende wieder in den Tod zu schicken, wollte der Krieger sich nicht aufbürden. Andererseits hatten diese ihn auch eingesperrt. Der Weißhaarige kniff die Augen zusammen und unterdrückte das Aufkommende. Nicht erneut. Bilder formten sich neu, bis das Sichtfeld rot wurde und er Leichen sah, die nicht real sein konnten.
„Ach, mein Gott und Oh weh, wieso der Mann nicht einfach geh´?“, reimte die mittlerweile nervige Stimme neben seinem Ohr. Er zischte, um sie zur Ruhe zu bringen, doch das Lachen erklang wieder. „Es ist so einfach und Ihr Dümmling steht Euch hier die Beine in den Bauch.“ Ein Hoffnungsschimmer entfachte sich in ihm.
„Ihr kennt einen Weg?“, fragte er außer Atem, kopfschüttelnd die schrecklichen Erinnerungen verdrängend.„Natürlich, folgt mir einfach, Ihr Dümmling.“ Die Stimme entfernte sich ins Irgendwo, doch die der Menschen, diese Stimme seiner Verfolger mitsamt ihren schweren Schritten hallten in den Gängen wieder und wurden lauter.
Was sollte er tun? Lieber einer unsichtbaren fremden Gestalt folgen, der man nicht vertrauen konnte, oder doch lieber verharren und auf eine nächste Chance warten? Fieberhaft überlegte der Krieger und wägte ab. Würde er sich wieder einfangen lassen oder eine Alternative für seine Flucht suchen müssen?
Doch es war zu spät.