Irgendwann. Irgendwann würde Amron diesen Dämon in die Hölle schicken. Und wenn diese ihm nicht die versprochenen Qualen bot, weil Buck eben ein Hohedämon war, würde er mit ihm in den Himmel fliegen. Oder vielleicht fiel ihm noch eine kreative Lösung ein, wie der Krieger den berüchtigten Burukvashrun zu Weißglut treiben konnte.
Keuchend stützte sich Amron an den Wänden ab. Sein Atmen ging stockend, während das nasse Haar unaufhörlich auf den Boden tropfte und sich vor ihm eine Lache bildete. Kniend versuchte der Mann, wieder nach Luft zu ringen und verstand die Welt nicht mehr. Erst war er den reisenden Stromfluten entkommen, indem er mit kräftigen Zügen unter den Wellen hindurchgetaucht war. Doch egal wie sehr er sich angestrengt hatte, Amron schaffte es nicht, dem Gebäude mehr als sich ein paar Fuß zu nähern. Mögen es Fallen sein, die er aus Versehen ausgelöst hatte, die natürlich starke Strömung unter dem Wasser oder etwas anderes. Irgendwann hatte der Krieger keine Luft mehr bekommen. Er war eben gefangen in dem Körper eines Menschen. Und dieser hatte irgendwann seine Grenzen erreicht. Als diese ihn fast in die Ohnmacht getrieben hatte, leuchtete der Obsidian auf und Amron plumpste mitsamt dem umliegenden Wasser in einen Flur. Inmitten einer Gruppe von Soldaten.
Amron sah hinter sich, erkannte die Waffen und Rohrmündungen, die ihn eigentlich hätten bedrohen sollten. Doch viel zu aufgewühlt waren die unerfahrenen jungen Menschen gewesen, sodass es dem Weißhaarigen ein Leichtes gewesen war, diese zu überwältigen.
Jetzt, nachdem Amron wieder sicher war, hing der Stein nun noch wertlos an seinem Hals, baumelte bei jeder Bewegung umher. Am liebsten würde er ihn von sich reißen und in die Ecke schmeißen. Ein solch mächtiges Artefakt wurde ihm gegeben, ohne zu erklären, wie es eigentlich funktionierte. Und dann noch diese schier totbringende Mission ohne jeglichen Anhaltspunkt. Amrons Finger krallten sich in das kühle Metall, während er zähneknirschend seine Umgebung im Blick behielt. Was dachte sich dieser Dämon eigentlich?
Doch es half als alles nichts. Amron schüttelte sich kurz wie ein Hund, sodass die Tropfen in alle Richtungen flogen. Dann schlich er weiter ins Innere.
Das Labyrinth war leer vor ihm, kein Lebenszeichen von Menschen, Wesen oder gar winzigen Hinweise, wo sich das Mädchen aufhalten könnte. Einige Minuten vergingen, während stechende Kopfschmerzen den Krieger zunehmend langsamer werden ließen. Doch nicht Magie ließ ihn vorsichtig werden, es war der Gestank nach Klinischem. Alles, was Amron hier sah, erinnerte ihn an den Moment, als er erwacht war. In diesem Raum voller Menschen in weisen Kitteln, mitsamt den Nadeln in seinem Körper. Als würde er wieder in der Zeit zurückreisen, schrak Amron hoch und hatte sein Schwert gezückt. Kalter Schweiß rann ihm den Rücken hinab, während das an ihm haftende Wasser ihn erzittern ließ. Es war kühl in den Gängen, die wirr irgendwo hinführten. Und trotzdem schwitzte der Krieger unaufhörlich. Er musste dringend hier weg.
Ein Lachen erklang. Eine Spur. Endlich.
Die Tür stand einen Spalt breit offen, sodass mindestens zwei Soldaten zu sehen waren. Anders als ihre Mitstreiter vorhin trugen diese keinen Helm, sodass die lachenden Gesichter zu erkennen waren. Einer hielt eine Kaffeetasse in der Hand und trank die Brühe daraus. Der Zweite lehnte lässig in einem Stuhl mit Rollen, die Füße auf dem Tisch überkreuzt. Ein Dritter kicherte hinter der Tür, doch Amron sah ihn nicht. Er nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, Bekanntes und Undefinierbares zu unterscheiden. Menschengeruch hing derb in der Luft. Ungewaschene Menschen. Wenig Sauberkeit. Kein Geruch, den ihn an ein Labor erinnerte. Metall und Schwarzpulver. Rauch. Viel Rauch. Ein Feuer?
„Und dann habe ich sie in die Zelle geschmissen!“, erklärte der Dritte und lachte keck. Die beiden Kollegen machten irgendwas, was alle Soldaten zum lachen brachte. Amron war sich mittlerweile sicher, dass diese drei allein waren und dem Wachpersonal zugeteilt waren.
„Man, ist die gruselig!“, kommentierte der Kaffeetassentyp mit Zigarette in der Hand. „Ich meine, die hat den letzten Soldaten, als sie hier drin war, einfach gegessen. Mit Haut und Haaren. Stellt euch das mal vor. Du kannst froh sein, Gregory, dass du noch alle zehn Finger hast!“ Daraufhin quietschte etwas, wohl die Stuhllehne. Amron musste die Augen zukneifen, um nicht aufzuschreien. Sein empfindliches Gehör war hier durch den so oder so schon kleinen Raum strapaziert, da alles, was einen Ton von sich gab, sich durch Hall weitertrug. Selbst das Atmen der Männer kam dem Krieger viel zu laut vor.
„Und jetzt? Ist die immer noch da drin?“, fragte einer, vermutlich der Sitzende.
„Ja, ich schau immer wieder auf die Kameras. Seht!“ Klappern von Plastik erklang, dann ein Aufatmen und ein Grunzen. „Was für ein Psychotante.“
„Die ist ja wieder ein Mensch.“
„Trotzdem Obacht. Nur weil sie wie eine Frau aussieht, die man am liebsten…“
„Tim, halt deine Klappe, wir sind hier zum Arbeiten!“, schnitt der Kaffeetassentyp Tim das Wort ab. Gregory dagegen lief um den Tisch, sodass Amron einen muskulösen Mann erkannte, der eine markante Narbe im Gesicht trug. Amron lehnte sich weiter vor, um den Raum besser anschauen zu können.
„Außerdem, wo bleibt Trupp Delta? Die müssten doch schon längst wieder zum Wechsel hier sein. Glaube nicht, dass die freiwillig eine Runde länger drehen als nötig, diese faulen Säcke!“ Enttäuscht drehte sich Gregory um, sah wohl auf die Wand. Gedankenverloren blickte er dann zur Tür. Und sah Amron direkt in die Augen. Die Zeit schien still zu stehen.
Der Krieger nutzte den Überraschungsmoment, traf mit der flachen Hand die Kehle des Mannes vor sich, der mit gurgelnden Geräuschen in die Knie ging. Tim fiel vom Stuhl, fluchte und riss seine Waffe hoch. Der dritte Wachsoldat ließ die Tasse fallen und rief ein paar Worte wie „Halt“, die den Krieger nur schmunzeln ließen. Schneller als ein Mensch je sehen könnte war Amron bereits vor Tim aufgetaucht, rammte ihn das Knie ins Gesicht. Dieser schrie auf, hielt sich die blutende Nase und fluchte in fremder Sprache. Der Dritte hinter Amron hatte bereits den Abzug gedrückt, doch die Kugel traf in Leere und damit in die gegenüberliegende Wand. Erschrocken feuerte der Mann wild umher, traf womöglich noch seine Kollegen. Amron kniete sich nieder, während er auf ihn zusteuerte, zog das Schwert, durchtrennte das Metall und kam hinter dem Mann wieder zum Stehen. In aller Ruhe steckte seine Klinge wieder in der Scheide, während das Gewehr in Einzelteilen zu Boden fiel und dessen Besitzer bereits im Blut badete. Der Geruch sorgte in Amron für Aufruhr, als er das Rot sah. Eine gähnende Leere in seinem Magen knurrte unablässig, verlangte etwas. Der Krieger ballte die Fäuste, während das Pochen in seinen Schläfen die Schmerzen weiter vorantrieben. Sehnsucht und Hunger trieben ihn an wie ein Pferd beim Rennen. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen?
Gib mir Fleisch!, forderte etwas in seinem Inneren.
Plötzlich durchstieß etwas seinen Körper, das Amron taumeln ließ. Er hatte den Abzug gar nicht gehört, während die Kugel in seinem Gewebe für weitere Schmerzen sorgte. Er ging in die Knie, sah den Anblick vor ihm. Ein lebloser Mensch, Blut, noch zwei aufrichtende Gestalten. Sein Blickfeld wurde nebelig, fast schon, als würde er das Bewusstsein verlieren. Gerissene Menschen hatten ihn überwältig. Wie war das möglich? Wie in Trance starrte er hinab auf die Flüssigkeit, während sein Kopf vollends leer wurde.
„Jetzt haben wir dich, du Biest!“, sagte der eine, während Amron etwas Kühles an den Kopf gehalten wurde und erneut pinkes Licht vom Alarm sein Blickfeld trübte.