Ängstlich wich die junge Frau zurück, stolperte fast gegen eines der Labortische. Keuchend und verschwitzt blickte Hina die Frau an, dessen stechender Blick ihren fixierte als wäre sie festgefroren. Sofort zielte das Rohr direkt zwischen den Augen. Ein Schuss, und das unbekannte Wesen würde sterben. Nur war sich Hina sicher, dass ein bloßes Blei-Projektil ein magisch behaftetes Wesen, das so unscheinbar aussah, sicher nicht töten würde.
Ihre Haare klebten Hina an der Stirn und Nacken, in ihrer zerrissenen Kleidung konnte man förmlich erkennen, ohne sie ansprechen zu müssen, dass sie selbst beschissene Tage oder Nächte hinter sich hatte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und wusste nicht einmal, wie lange sie schon hier festsaß. Sie roch nach Schweiß und weiteren Körperflüssigkeiten, ihr Hunger rieb sie in den Wahnsinn und selbst ihre Kräfte, so ruhig die letzten Minuten auch gewesen sein mögen, hatten ihre Maximalgrenze erreicht. Während sich Müdigkeit in ihren Gliedern breitmachte und in ihren scharfen Verstand schlich, wurde Hina zwar innerlich schwächer. Doch durch den konzentrierten Ausdruck im Gesicht würde sie keine Schwäche nach außen zeigen. Lediglich das leichte Zittern an ihren Händen verriet ihre Unsicherheit dem Wesen gegenüber, das Hina weder als Mensch noch als Fabelwesen identifizieren konnte. Dennoch würde sie keine Sekunde zögern, den Abzug zu betätigen, sofern es notwendig sein sollte.
Die Frau mit dem roten Haar schien gegenüber der Waffe unbeeindruckt. Mehr ruhte ihr sanfter Blick auf der Klinge, die lose an dem Bund von Hinas Hose, wenn man das noch Hose nennen konnte, hing.
„Du verstehst mich?“, fragte Hina und zerriss damit die Stille, die sich in der Halle voller Messgeräte, Labortische und Flüssigkeiten festgesetzt hatte. Hina war sich bewusst, wie sehr sie diese Stille beunruhigen sollte. Schließlich waren alle Soldaten tot, kein verrückter Krieger hier und auch ihr Vater ließ sich nicht blicken. Lediglich diese Frau, die im Geiste mir ihr zu sprechen schien. Sicherheit würde ein Gewehr nicht geben und auch Hinas Schatten würde sich nicht erbarmen, beim Sonnenuntergang, wenn noch Licht herrschte, ihr zu helfen. Außerdem wollte sie ihre Kontrolle nicht mehr aufgeben. Wer wusste schon, was Hina noch erwarten würde? Das Wesen vor ihr bewegte sich nicht. Stattdessen schnitt sie mit ihrer Stimme Hinas Gedanken ab.
„Ich bin erstaunt, dass Gladius´ Klinge dir gehorcht. Nicht jeder kann diese weitaus mächtige Waffe in den Händen halten, ohne dabei zu verglühen. Vor allem keine Menschen.“
Hina bemerkte, wie sie sich entspannte und trotzdem nicht aufhörte, rasende Kopfschmerzen beibehalten zu wollen, um sich von der Frau nicht irritieren lassen zu können.
„Wie heißt du, Mädchen?“, fragte die Frau weiter. Erst jetzt bemerkte die Schwarzhaarige, wie hell diese melodische Stimme war. Anders als die harschen Worte zuvor, bei sie Hina angesprochen hatte, verband man damit eine angenehme Wärme, wenn sie im Kopf sprach. Als würde eine Mutter eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen und man nahe war, einzuschlafen, aber dennoch so wach, dass man gespannt der Geschichte lauschen konnte. Dieses Wachkoma irritierte Hina, ihre Gedanken kreisten wild umher, was sie nun tun konnte. Dennoch verstand sie mehr, als sie eigentlich begreifen sollte. Die vorherige Idee, ihr Vater würde Gedanken lesen können, war eine dumme Aussage gewesen. Aber keine, die laut Hina hätte Realität werden sollen. Viel erschreckender war jedoch, dass es bereits so weit war.
Gleichzeitig verriet Hina sich durch ihre Nervosität, mit der aktuellen Situation nicht umgehen zu können. Die Mündung zeigte nun nicht mehr zielgerichtet auf das Wesen. Ihre Arme wurden schwer, als Hina sich ein kurzen Moment Zeit gab und nachdachte.
„Du kannst meine Gedanken lesen, also lese sie.“ Würde sich das Wesen bewegen wollen, so würde sie sicher den Kopf schräg stellen. Bei den kommenden Worten überraschte sie Hina allerdings.
„Ein schwarzes Wesen bist du, und doch so unscheinbar. Ich kenne einen, der ist genauso wie du. Dieser Mann, der mich hier eingesperrt hat. Tief in deinem Herzen bist du ein Mensch, doch teilst deinen Verstand mit einer tiefsitzenden Finsternis. Erstaunlich, dass sie dich noch nicht aufgefressen hat. Dennoch, es ist hoffnungslos.“ Seufzend würde sie sich sicher abwenden wollen, wenn sie ihren Körper bewegen könnte. Hina war ihr entweder keine Hilfe oder sie das Interesse an ihr verloren. Eigentlich könnte man froh sein, dass sie nun ignoriert wurde, doch blickten diese stechenden blauen Augen, dessen Farbe dem Meer glichen, sie weiterhin an. Verwirrt starrte Hina zurück, strich sich das schwarze Haar zurück und setzte sich auf den Boden. Sie musste zur Ruhe kommen.
„Du willst Informationen?“, fragte die Frau weiterhin und schien sich über die Gesellschaft doch irgendwie zu amüsieren.
„Ich will einen Weg hier raus, nicht mehr und nicht weniger“, gab Hina etwas lauter zu verstehen. Diese Flucht ging ihr durch Mark und Bein, dabei hatte sie noch nicht einmal etwas selbst getan. Ihre Erfolge bisher hingen von einem bisher verschwunden und gleichzeitig mörderlustigen Krieger ab, den sie vorher hatte umbringen sollen und einem geistlosen Mann, der sich bisher nicht mehr blicken ließ. Nun ein weibliches Wesen verblieb, das ihr ebenfalls nicht helfen konnte, weil es in einem Zylinder feststeckte.
„Ich kann dir helfen.“ Das leise Flüstern flog wie ein Windhauch durch den Verstand, als würde Hina dies selbst gedacht haben. Erstaunt blickte sie stumm nach oben. Diese blauen Kreise blickten sie unentwegt an, egal, wie sie sich hinsetzte. Paranoia fehlte augenblicklich wirklich noch.
„Ich mache dir ein Angebot. Du hilfst mir hier raus, und ich sage dir, wo du hinmusst, um fliehen zu können.“ Dieser Vorschlag weder dumm, einfältig und roch sowas von nach einer Falle, dass man Lachen würde, würde Hina zustimmen. Doch sie nickte, was blieb ihr anderes übrig? Schnell ging sie in die Knie und lächelte boshaft. Die Frau folgte den Bewegungen und verstand. Sie blinzelte sogar erstaunt.
„Ich bin Thiana, Tochter der Göttin Kalendria, Göttin der Wahrheit und Treue. Meine Gabe der Telepathie, sie verhilft mir zu sehen, was Menschen verbergen.“ Die kurze Vorstellungsrunde reichte Hina nicht, ihr zu vertrauen. Doch das war beiden klar, ohne, dass Hina etwas sagen musste. Durch diese Fähigkeit und der Tatsache, dass diese angebliche Gottheit bereits wusste, wer Hina war, ohne, dass sie etwas sagen musste, bewies genug.
„Ich vertraue dir nicht, aber du bist aktuell meine beste Chance. Dennoch ist deine Hülle auf Nahrung und Schlaf angewiesen. Sonst würdest du nicht in dieser Glibbermasse feststecken, am Kabelsalat festhängen und mich um Hilfe bitten müssen. Ich sage es nur einmal.“ Hina ließ das leere Magazin zu Boden fallen. Beim Aufprall erzeugte es einen gefährlich lauten Hall, den sicher noch nahe noch lebenden Soldaten vernommen haben mussten. Doch der Zorn lag in ihren Augen sowie ein stummes Versprechen, das sie nun abgab. Sie hatte gehörig die Schnauze voll, abhängig zu sein.
„Wenn du nur einmal versucht, mich zu hintergehen oder es auch nur in Erwägung ziehst, mich zu verraten, blase ich dir dein Hirn weg und verscharre deine Leiche dorthin, wo niemand sie je finden wird.“