Hina antwortete nicht. Die innerliche Kälte füllte sie vollends aus, als würde ein anderer ihren Willen übernehmen und sie wie im Kino nur ein Zuschauer sein. Ein völlig unbeteiligter Mensch, der sich mit Popcorn auf die nächste Schlacht vorbereitete.
Doch diese Spannung blieb aus. Die Schärfe des Metalls spürte sie, als ein Blutstropfen aus der Haut hervorquoll. Doch nicht nur ihre Körperflüssigkeiten rannen zum Boden. Es war etwas mit diesem Mann. Das spürte Hina.
„Ihr könnt wahrlich stur sein, junge Dame.“ Spott und Hohn war sie ebenso gewohnt wie Brutalität und Gehorsamkeit. Hina spürte förmlich, wie ihr Vater vor den Monitoren stand, ihren Puls beschleunigen sah und auch, wie sich der Sauerstofftransport durch ihr Blut vergrößerte. Ihr Blutverlust war bisher nicht nennenswert. Ob sich das noch ändern würde?
„Ich denke, dass Ihr mir keine Antworten geben wollt. Doch seid versichert, ihr bin nicht gewillt eine junge Maid zu quälen.“ Damit stieß er sie nach vorn, sodass sie mit den Armen schwingend grade so das Gleichgewicht fand. Mit konzentriertem Ausdruck auf dem Gesicht drehte sie sich um, ballte ihre Fäuste und wollte bereits zuschlagen, als sie bei seinem Anblick erblasste. Wie sie vermutet hatte, seine Haare klebten an der Haut und das Rot füllte das Weiß. Sein verschmutztes Gesicht sah ausgemergelt und dünn aus. Es wirkte schwächlich und kränklich. Und er hatte seine Kräfte ans Limit gebracht, er war an seiner Grenze angelangt. Woher Hina das mit Sicherheit sagen konnte, wusste sie nicht. Doch das war ihr egal.
Sie wusste nur um ihren Vorteil. Seine Schultern hingen herab, sein Arm war mit einer tiefen Wunde versehen und auch sein Harnisch wirkte so benutzt und abgewetzt. Wären es nur diese Faktoren, würde Hina ihm leidtun.
Doch auch stand er stolz vor ihr, mit zurückgelehnten Schultern entfachte er seine volle Größe, das Schwert lechzte nach mehr Blut, als wäre das Ganze auf seinem Körper nicht gut genug oder viel zu wenig. Und seine Augen…seine Augen fixierten sie. Sie konnte nicht anders, als sie anzusehen. Anzustarren. Es waren keine menschlichen. Schlitzförmige Pupillen mit wechselnden Farbverlauf lösten sich ab, sodass dieser Mann nicht von dieser Welt war. Wie die pure Macht und das Leben selbst. Gottesgleich. Ja, das war das Wort, was Hina in den Sinn kam.
Doch Ehrfurcht war das, was sie gelernt hatte abzulegen. Sie wusste um ihren Vorteil seiner verlorenen Kraft, vielleicht durch die erschwerte Flucht aus seiner Zelle, und ihren Nachteil, dass sie seine Fähigkeiten nicht kannte. Also richtete sie sich auf, nahm den Dolch fester in die Hand und ging in Angriffsstellung. Doch der Mann legte nur den Kopf schief und schaute mit fast schon gelangweiltem Blick das Mädchen an.
„Ihr wollt kämpfen?“ Diesmal meinte er es ernst, doch glaubte nicht an ihren Sieg. Wie auch sie nicht an seinen glaubte.
„Wieso nicht?“, konterte Hina trocken und wartete auf einen Angriff.
Doch dieser blieb aus. Er bewegte sich nicht. Weder hob er die Klinge, noch beachtete er seine Umgebung oder ihren Willen in ihren Augen.
„Ich bin nicht interessiert einer holden Maid Schmerzen zuzufügen. Ich bin weder ein Ehrenmann noch ein kühner Recke. Versteht das nicht falsch. Nur was würde mir ein Kampf mit Euch nützen? Ihr verfolgt uns nicht, stinkt nur nach diesen Menschen wir in meinem Kerker und obgleich ihr mich attackiert oder nicht. Euer Tod würde nur diese Stadt in Aufruhr versetzen. Und wenn ich es bisher richtig verstanden habe, würde es in dieser Welt wirklich keinem gefallen, eine verstümmelte Leiche hier zu finden. Und Grün und Blau Euch zu schlagen? Was wäre ich dann für ein Tyrann?“ Ein lockeres Schulterzucken, ein ermüdeter Blick und träges Augenaufschlagen.
Hina erbleichte vor Scham und wurde zugleich Rot vor Zorn. Was bildete sich dieser hochnäsige Arrogant ein, sie so bloßzustellen? Ihr innere Tresor öffnete sich zunehmend von diesem Druck, der stetig in ihr wallte und nun drohte, alles herauszulassen und den Tresor von innen heraus zu zerstören, doch Hina atmete gekonnt ein und aus und verschloss diesen mit mehreren Ketten, rückte ihre Gefühle weiter nach hinten in den schwarzen Teil ihrer Seele, in den sie nie absichtlich gelangen wollte. Schwärze kroch darauf hervor, wie Tentakeln umschmeichelten sie ihren Geist, und übernahmen ihren Verstand. Vollkommen ruhig wie der Tod stellte sich Hina hin und sah den Mann an, der sie nicht ernst nahm. Dieser beobachtete ihre Wandlung mit Neugier in den Augen und achtete auf jedes ihrer Bewegungen. So gelangweilt, wie er tat, war er nicht. Er wollte spielen und alles aus ihren Nerven herauskitzeln? Bitte, das konnte er haben.
Durch die nächtliche Schwärze verband sie Hinas Macht mit ihrem Körper, als sie blitzschnell nach vorn preschte und ihn angriff.