Der merkwürdige Kasten bewegte sich weiter nach unten und Amron war im Begriff, sich ein weiteres Mal zu übergeben. Diese plötzlich wiederkehrende Übelkeit machte ihm zu schaffen, wenngleich nur sein Wille die Galle zurückhielt. Buck dagegen klopfte ihm ein wenig fester, als er dem Dämon zugetraut hätte, auf die Schulter.
„Mann, du kämpfst gegen den Tod höchstpersönlich, aber ein Aufzug macht dir zu schaffen! Was für ein Krieger!“, lachte der Geschminkte nun zum zehnten Mal laut auf und krümmte sich wegen seinen eigenen Sprüchen. Beide hatten in diesem Moment nur eines gemeinsam: Der Magen tat weh. Wenn auch wegen unterschiedlichen Gründen.
„Teufelswerk“, kommentierte Amron trocken und hielt sich eisern an den Griffen fest und wartete auf die Erlösung.
„Keine Sorge, das sind nur Sekunden. Die bringen dich nicht zu Fall.“ Buck rieb sich die Tränen aus den Augen, doch schaffte es, seine bunten Striche im Gesicht nicht zu verwischen. „Immerhin ist es wichtig, dass du das selbst siehst.“ Seine Laune wurde durch die Bedeutung dieses Satzes ernster, was man auch an dem belegten Ton der Stimme erkannte. Amron selbst lauschte der plötzlichen Veränderung, doch konnte an nichts denken, als aus dem bewegenden Kasten hinauszustürmen.
Als sich die Türen zu seinem Glück nun endlich öffneten und der Krieger ein wenig zu stürmisch aus dem Aufzug trat, lachte Buck nur noch lauter.
Der Krieger erkannte einen langen Gang vor sich. Dieser war mit teuer aussehenden Kronleuchtern an den Decken verziert, während die Wände mit den gleichen skurrilen Gemälden wie in seinem Schlafgemach verziert waren. An den Wänden entlang versahen in regelmäßigen Abständen aufwendig gehauene Marmorsäulen den Gang, welche mit feinen Goldranken den Stein schmückten. Selbst in regelmäßigen Abständen stellten die hohen Pflanzen oder Büsten verschiedenster Köpfe, die Amron nicht erkannte, einen viel zu aufwendigen Gesamteindruck dar, sodass die Atmosphäre zwar edel, aber viel zu gestellt wirkte.
Wie gut das auf den Charakter des Dämons passte, dachte der Krieger.
Dieser lief ein wenig angespannter als zuvor vor ihm her und winkte ihm, nachzukommen. Der Krieger tapste vorsichtig hinterher und schaute sich um, erkannte aber wirklich keine der gemalten Landschaften oder gehauenen Köpfe. Selbst die Pflanzen wirkten, fernab von seinen Kenntnissen, wie eine ihm viel zu unvertraute Welt.
Einige Meter und Abbiegungen später hielt Buck vor einer weiteren Flügeltür an und drehte sich um. Während die Hand des Mannes auf einer Erhebung an der Wand lag, wirkte die Miene des Dämons nun viel ernster. Unweigerlich spannten sich die Muskeln Amrons an, als dieser sprach.
„Du wirst nun einige Dinge sehen, die dich erschrecken könnten. Zwar würdest du bei einer spontanen Flucht nicht mehr aus dem Gebäude kommen, es sei denn ich will es, aber du würdest andere bei ihrer Arbeit stören. Und das wäre in diesem, dir gleich bekannten Zusammenhang sehr schlecht. Also würde ich dich bitte, so gut es geht Ruhe zu bewahren.“
Bevor Amron ein Wort mit seinem Gegenüber wechseln konnte, knarrte bereits das Holz und die quietschenden Scharniere eröffneten einen weiteren Korridor, der breiter und länger zu sein schien. Jegliche Kunst und Schönheit aus dem Gang zuvor war einem klinischen Metall gewichen. Das kalte und viel zu helle Licht blendete Amron, doch er trat mehrere Schritte vor. Seine Vorahnung warnte ihn, dass ihm ein Kampf bevorstehen könnte, doch seine Augen erfassten etwas viel Schrecklicheres. Die Tür schloss sich hinter ihm mit einem Klacken, das Schloss verriegelte und Amron fühlte sich, als würde er in der Falle sitzen.
Seine Augen weiteten sich kaum merklich, als er an der linken und rechten Wand große Glasscheiben erkannte. Dahinter tummelten sich Menschen in den ebenso gleichen weisen Kitteln wie seine Entführer, die mit unterschiedlichem Werkzeug hantierten. Amron erkannte die Spritzen und Metalltische, einige Phiolen mit Flüssigkeiten und Gerätschaften, dessen Zweck er sich nicht mal mehr erahnen konnte. Doch seine Nase trübte ihn nicht, auch wenn diese Menschen und ihn eine bloße Wand trennten. Sie forschten an Blut. Seinem Blut. Er roch es direkt. Doch nicht nur sein Eigengeruch erfüllte seine Sinne. Auch Fremdes mischte sich unter den starken Gerüchen. Er roch starken Alkohol und andere Mittel. Wegen der viel zu intensiven Eindrücken kritzelte die Nase und der Krieger nieste. Sofort erwachten seine Sinne und er dachte, er wäre bereits erwischt worden, als er zurücksprang und sich an das Holz der Eingangstür quetsche. So ein dummer Anfängerfehler! Sein Herz raste und der Puls erhöhte sich. Sofort sprangen Bilder von ihm in sein Blickfeld, als er sich auf einem dieser Metalltische wiederfand und diese unendlich vielen Kabel und Stiche ihn in den Wahnsinn trieben. Das Lachen und das Piepsen der Geräte hörten nicht auf, als eine Flüssigkeit in seinen Körper gepumpt wurde und…
„Hey!“, hörte Amron Buck rufen. Der Dämon schnippte ein paar Mal vor dem Gesicht herum und schüttelte mit der anderen Hand an der Schulter. Als das nicht wirklich half und Amron nicht reagierte, schlug der Dämon mit flacher Hand auf die Wange. Perplex starrte der Weißhaarige Buck an.
„Na geht doch“, murmelte dieser und wies auf die Scheibe.
„Sie sehen uns nicht, wir aber sie. Ich wäre dir dankbar, nicht an den Scheiben zu klopfen, denn das würde uns verraten. Für mich wäre das weniger ein Problem als für dich.“ Amron brauchte ein paar Minuten. Der Atem beruhigte sich wieder, als man die nicht vorhandenen Gefahr erkannte und der Krieger sich nun mit Vorsicht und Präzision, aber mehr angespannter Ruhe, umschaute. Mehrere Räumlichkeiten mit ebenso unterschiedlichen Menschen und Geräten sammelten sich in den Laboratorien. Buck erklärte, dass diese ihnen nichts tun würden.
„Sie forschen für mich. Ich denke, du wirst bereits bemerkt haben, mit was. Und bevor du mich verurteilst, das hat einen Grund!“
Die beiden Männer gingen den Flur weiter entlang. Die Schuhe erzeugten einen hallischen Laut, sodass Amron zwar nicht verstand, weshalb die Menschen selbst dieses laute Geräusch nicht wahrnahmen, doch umso mehr froh war, dass er sich nicht mit den Forschern rumschlagen musste. Mehr würde es ihn aber freuen, in einer ihm bekannten Umgebung zu sein. Seine Rechte ging automatisch zu seiner Hüfte und griff ins Leere.
„Wo ist mein Schwert?“, fragte er mit gefasster, aber gefährlich leiser Stimme.
„Deinen Zahnstocher habe ich weggelegt. Dem zu Schulden, dass du mich sonst bei deinem Aufwachen in zwei Teile gesäbelt hättest. Und du zum Schutz meiner Leute!“ Bucks Hände deuteten auf die Räume und meinte wohl die für ihn arbeitenden Menschen.
Endlich erreichten sie das Ende des Ganges und Amron amtete erleichtert auf, als sich ein Zimmer vor ihnen öffnete, an welchem sich keine weiteren Personen hinter Scheiben tummelten. Auch wenn diese nicht wussten, dass Amron da war, wollte er keine weiteren sehen. Er konnte in seiner aktuellen Phase nicht sagen, ob er genügend Kontrolle über seine Kräfte besaß und ob wieder diesen unbändigen Zorn ihn übermannen würde.
Buck zielte auf einen Tisch hin, auf welchem sich benutzte Objekte befanden. Während Amron sich umsah, schlich Buck zu einem Regal, aus welchem er etwas herauskramte. Er fand das Gesuchte wohl nicht auf Anhieb, also nutze Amron die Gelegenheit und suchte ebenfalls nach etwas Bekanntem, um sich zu beruhigen.
Die großen Wände zierten hauptsächlich ebenso große offene Schränke, dessen einzelne Regale mit Büchern, Phiolen und Gläsern mit unbekannten Inhalten befüllt waren. Eine Ordnung schien zwar zu herrschen, aber die Objekte wurden seit längerem nicht mehr bewegt. Amron roch Staub und war sich sicher, wenn er ein Buch herausziehen würde, würden Spinnen und andere Krabbeltiere das Weite suchen, die zuvor dort untergetaucht waren, um Schutz vor dem Licht zu suchen. Der Teppichboden war abgelaufen und siffig, und so lief der Krieger ins Zentrum. Nur sah er, dass der Raum durch viele Kanten der Wände abgerundet wirkte und weitere Türen zu mehr Räumlichkeiten führte. Doch was ihn am Allermeisten aufregte war das schlechte Licht. Zuvor wurde er fast geblendet, nun sah er eine einzige Glühbirne über sich, die gerade so Licht spendete für ein wenig Arbeit über dem Schreibtisch, vor welchem er grade stand.
Also verdunkelten die grade zu schwarzen Möbel die Ecken und der Raum wirkte vielleicht größer, als er eigentlich war. Gleichzeitig jedoch drückte die Umgebung auf das Gemüt eines jeden, der sich länger hier aufhielt, als er müsste.
Buck kam auf Amron zu geschlendert und hielt ihm zwei Kolben voller Blut entgegen. In einem roch er seines, in dem anderen schwappte schwarze Flüssigkeit vor sich hin. Amron trat einen Schritt zurück, als das fast schon verrückte Grinsen des Dämons seine nun plötzlich schelmische Art nur noch besser zur Geltung brachte. Ohne Schwert war Amron dem Dämon nicht gewachsen und ohne ihn würde er auch nicht mehr hier herauskommen. Dennoch traute Amron Buck keine Sekunde über den Weg.
„Hier haben wir einmal dein Lebenssaft, und einmal meins!“ Er stellte die Kolben auf den Schreibtisch und kramte das heraus, das er in dem Schrank gesucht hatte.
„Und hier haben wir die Dinger, die mich in diesem Höllenloch von Einrichtung festgehalten haben!“ Amron erkannte kleine schwarze Punkte mit Beinchen wieder, die er während des Rituals gesehen hatte.
„Und jetzt zeige ich dir, warum wir beide die einzigen sind, die überhaupt dort ausbrechen konnten!“