Der schwarze Nebel umwaberte Gestalt hinter ihr, eröffnete ihre Fühler und erstreckte sich bis zu den letzten kleinen Ecken des Raums. Wie ein Nebeldurchzogener See am Morgen dunstete die Nacht in dem Zimmer, verschlang jedes Geräusch, jeden Atemzug und verband sich zu etwas Größeren, das in ihr ein Zentrum fand. Sie wusste, wo sich James aufhielt, wie er da stand, wie sein Herz stetig und ruhig in seiner Brust klopfte. Sein Geruch von sanften Gewürzen und Kaffee machten Hina krank. Ihre Hände zitterten nicht, als die Krallen aus den Nägeln wuchsen und zu langen spitzen Waffen wurden. Solle er doch nur kommen, dieser Einfaltspinsel.
„Und das war es, was ihr aufzubieten vermögt?“ Hohn und Spott. Wie immer, wenn man sie so sah, als würde sie ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben. Nein, dieser Wicht war nun eine kleine Maus in ihrer Falle. Hina lächelte nicht, sie sagte nichts. Stand nur da, mit zorniger Miene. Das zweite Herzklopfen hinter ihr war wie ein Rhythmus, eine Melodie, die ihr Schatten sang.
Hallo, meine liebes Ich, begrüßte es sie und schien vor ihr zu tänzeln wie ein Kind. Ein verspieltes Kind. Dürfen wir nun also spielen, ja?
„Du darfst, töte ihn aber nicht.“ James schien die Worte nicht gehört zu haben. Und wenn, antwortete er nicht. Er schien auf ihre Vorsicht keine Rücksicht zu nehmen. Wie ein gehobener Verdammter stand er da, als wäre er wirklich im Begriff, ihr den ersten Vorstoß zu lassen. Doch darauf ließ sie sich nicht ein.
Töten ist doch langweilig. In Hinas leerem Verstand verklang das Kinderlachen ihrer dunklen Seite. Wir wollen nur ein wenig spielen, dann ein wenig leiden, dann ein wenig bluten. Und wenn es fertig ist, ist unser Kunststück vollbracht.
Hina lächelte, während ihr Nebel ihre Sinne ausweitete. Von Buck spürte sie nur den physischen Körper, als hätte er sich mental abgeschirmt. Doch James vor ihr war ein Mensch. Moment, wo war er denn?
Blitzschnell duckte sie sich, als ihre Instinkte die Gefahr witterten und der Faustschlag ins Leere lief. Hina rollte sich vorwärts, während ihr Schatten an Ort und Stelle verweilte, als würde er den Anschluss verloren haben. Hina rief ihm geistig zu, er solle ihr folgen, doch sie verpasste wieder die Möglichkeit, als ein erneuter Tritt folgte.
„Erste Lektion: Lasse deine Trümpfe bei dir.“ Irgendwo sagte Buck etwas, dass Hina nur halb mitbekam. James drängte sie schneller, als es für einen Menschen möglich gewesen wäre, an die hintere Wand. Sie wich aus. Durch ihre Instinkte und der Nebel, der sie bei jeder Bewegung ihres Gegners warnte, konnte sie mit ihm mithalten, bis schließlich ihr Rücken an die Wand stieß. Hina keuchte und ließ sich fallen, während der letzte Schlag in dem Beton landete. Sie konnte wahrlich gefährlich sein, die Faust eines Butlers. Der Arm war bis zu den Ellbogen eingedrungen, sicherlich prangte nun ein Loch in ihrem Zimmer.
„Es wäre schön, wenn du auch endlich mal zuschlagen würdest, Kleines.“ Bucks genialer Tipp verfehlte nicht seine Wirkung. In der Hocke sammelte sie Kraft in den Oberschenkeln, stieß sich ab und sprang auf. Der Kinnhaken traf das Ziel, während sie sofort zurückwich und hinter dem Butler stand. Durch die Schwaden konnte Hina selbst wenig erkennen, doch sie sah mehr durch den Tastsinn als durch ihre Augen.
„Mhh, netter Versuch.“ James richtete sich auf und drehte sich um. Kein Kratzer, nicht einmal ein blauer Fleck. Hina hatte schon vermutet, dass es kein Leichtes sein würde, ihn zu Fall zu bringen.
„Du solltest mehr auf dein Inneres achten. Dein Schatten fliegt immer noch wie ein einsamer Ballon umher und sucht dich.“ Er suchte sie? Hina rief ihn, doch er kam nicht zu ihr.
„Er ist doch kein Fifi“, lachte Buck und scherzte noch, während sie die Faust nicht kommen sah. Schmerz an der Schläfe explodierte in dem Moment, als sie schon am Boden auftraf und James näherkam. Sofort stand die Schwarzhaarige wieder auf und wurde wütender. Der Nebel reagierte darauf und verdichtete sich. „Na also, endlich mal ein wenig Intelligenz dabei.“
„Anstatt mich auszulachen, könntest du auch deinen Verdammten wieder zurückrufen!“ Fauchend drängte Hina sich zurück, stand nun erneut vor ihrem grausamen Abbild, das auf Befehle wartete.
„Wolltest du nicht mit ihm den Boden wischen? Stattdessen scheint er dich wohl fertig zu machen, wie?“ Die Belustigung wich keine Sekunde aus der beherzten Tonlage des Dämons.
Hina fauchte erneut, stieß zu und drosch auf James ein wie auf einen Boxsack. Er erhob keine Arme, blockte nicht, sondern schien ihre Schläge zu schlucken, während er gezielt austeilte. Hina fiel erneut zu Boden, während die Stimme in ihrem Kopf sang.
Spiele mit mir, Hina. Spiele mit mir.
„Du missverstehst wohl deinen Schatten, nicht?“ Der Tipp ging ins Leere, während die Schwarzhaarige das Blut aus dem Mund spuckte. Sie sollte mit…ihrem Schatten spielen? Sie dachte immer, der Schatten wolle ihre Beute…und da machte es klick. Und in dem Moment übermannte sie eine Schwärze, die selbst die dunkelsten Tage in ihrer Zelle nicht über sie gekommen war. Ihr leerer Verstand wurde noch dunkler, der Nebel verzog sich und gab James preis, wie er mit erhobenen Fäusten dem Schauspiel beiwohnte, auf alles gefasst. Seine Augen blitzten, als habe auch er den Ernst der Lage erkannt. Und Hina stand auf, während der Schatten in ihr sich labte. Wie ein Hai im Fischtank fraß er sich durch ihre Emotionen, ihre Gefühle und fegte jeden Gedanken weg, der sie an Trauer und Missgunst, Wut und Freude erinnerte. Die Erinnerungen blieben grau wie Steine zurück, bauten sich nicht neu auf. Wie Trümmer in ihrem Verstand. Das Chaos brannte in ihr wie ein Schmiedefeuer.
„Verstehst du jetzt, weshalb Dämonen die Emotionen menschlicher Seelen wollen? Warum sie sich nach nichts anderem sehnen als Gefühle?“ Bucks Stimme hallte in ihr wider, während die neutrale Miene ihr Spiegelbild musterte. Die bis zum Boden gewachsenen Haare wanden sich wie Schlangen, zischten bei Kontakt auf, während ihre Augen leblose Kreise waren. Kein Licht, keine Sonne, kein Leben. Nur Macht und Finsternis.
„Und nun, mein Liebes, zeigst du ihm, was in dir steckt.“
Sie lief langsam, während ein Schweißtropfen auf James Stirn auftauchte. Er wich nicht zurück, kam aber auch nicht näher.
Wir wollen bluten. Wir wollen Blut sehen! Überlagerte Stimmen, alle waren ihre, alle waren ihr fremd. Und doch höher und tiefer sangen sie im Chor ein Klagelied. Eine Sucht, die es auszumerzen, die es zu befriedigen galt. Ihre Krallen gruben sich in ihre Handflächen, zerfetzen die Haut, hinterließen Furchen voller Lebenssaft, voller wohlriechender Wonne.
Hina lächelte nicht, als die Melodie zu ihrem Herzschlag Fahrt aufnahm, als die Stimme verstummten und lauter wurden, als sie die Hand hob und James in Schatten hüllte.