Als würde der eiskalte Hauch von draußen über ihre Haut pusten und damit ihr Herz nur noch mehr gefrieren lassen, senkte Hina den Blick und konzentrierte sich auf die schwarze Brühe in ihren Händen. Selbst der letzte warme Schluck würde ihr Verstand nicht mehr anheizen. Nicht mehr.
„Ich lasse mich nicht mehr benutzen.“ Damit stand sie auf, ließ den Kaffee stehen und lief aus dem Laden. Der Wind, den sie zuvor nur ansatzweise gespürt hatte, errötete ihre Wangen. Selbst die geballten Fäuste in ihrer Tasche lenkten sie nicht ab. Sie dachte an eine eiskalte Dusche, doch nicht im mindesten hatte sie erwartet, dass Buck nun neben ihr lief.
„Wer redet denn hier von benutzen?“ Hina ignorierte seinen Versuch, ihre Aufmerksamkeit zu ernten und schlug den Weg Richtung Hochhaus ein. Buck tat scheinbar eh, was er wollte, also war pure Ignoranz das einzige, dass ihn in Schach halten könnte. Doch ganz der Dämon schlug das nicht ansatzweise auf dessen Gemüt.
„Ich rede von einer Zusammenarbeit zwischen dir und mir.“ Hina lief schneller, doch er hielt mühelos mit. Die Drehtür des Foyers trennte die beiden vorerst, doch kaum war Hina in der Wärme angelangt und steuerte den Fahrstuhl an. Bucks Grinsen wurde breiter, als er sich neben sie stellte. Fast anderthalb Minuten dauerte die Fahrt zu ihrer Suite. Das nutzte der Hohedämon aus, um sich lässig gegen das Geländer zu lehnen und die Hände hinter dem Kopf zu verschränken.
„Du und ich haben ja schließlich ein gemeinsames Ziel.“ Das da wäre? Hina wollte nur ihre Ruhe, also suchte sie einen Ort auf, den der Dämon nicht so schamlos betrat. Kaum im Stockwerk angekommen öffnete sie das Badezimmer und stampfte in die Dusche. Die Klamotten lagen verstreut auf den Fliesen.
Stell dir mal vor, ewige Freiheit. Das liebliche Säuseln seiner Worte war wie Balsam auf der Seele. Burukvashrum war ein Teufel durch und durch. Er wusste geschickt mit Worten und Ton zu spielen. Er bekam wohl immer, was er wollte.
Hina schwieg eisern, ließ ihn plaudern. Irgendwann gewöhnte sie sich an seine kläglichen Versuche, stellte die Dusche aus und sah sich im Spiegel an. Bis auf den Unterkörper sah sie die blasse Haut, die das helle Licht greller wirken ließ. Dagegen wirkte das schwarze Haar und die dunklen Augen, als würden sie die Helligkeit aufsaugen und verschlingen.
Ganz Recht. Kam das von ihrem Schatten? War sie dieser Schatten. Wieso sollte sie denn noch kämpfen?
Sie dachte an die kühlende Ruhe Thianas, an die sengende Wut, als sie ihren Vater erblickt hatte. Buck hatte sie da rausgeholt, wie auch immer er es geschafft hatte. Er hatte ihr Freiheiten gegeben, sie wie einen Menschen behandelt. So dankte sie es ihm? War sie denn diesem Dämon überhaupt was schuldig?
Ihre Mutter war doch der einzige Mensch, auf den sie aufpassen musste. Doch da diese Aufgabe ebenso kläglich gescheitert war wie die Tatsache, den Krieger zu fangen oder überhaupt etwas in ihrem Leben erreicht zu haben hat es dieser Teufel geschafft, in ihr ein Gefühl zu wecken, dass sich richtig anfühlte. Trauer.
Sie trat hinaus, nur bedeckt mit einem Handtuch und suchte in dem Kleiderzimmer nach passenden Sachen. Buck dagegen saß auf dem Sessel und beäugte sie neugierig. Hina kramte im Dunkeln nach farblich passenden Sachen, als ein pinkes Oberteil in ihr Blickfeld sprang. Sie fasste danach.
„Nun gut, du lebst seit einer Woche auf meine Kosten und meinst, das könnte ewig so weiter gehen?“ Die Stimme wirkte entfernt. Hina suchte weiter.
„Und meinst du wirklich, dass ich es zu schätzen weiß, wenn man mich ignoriert?“ Hina lächelte gedehnt, drehte sich zu ihm und sah ihn im Türrahmen stehen. Sie stapfte auf ihn zu, sah ihn stumm an und deutete auf den Wohnraum. Der Dämon blieb stehen.
„Und dass man nicht einmal Worte für mich übrig hat?“ Nun verschränkte er doch tatsächlich die Arme, als wäre der Hohedämon beleidigt.
Hina zuckte mit den Schultern und quetschte sich schnell durch eine freie Stelle, die er bei dieser Bewegung erzeugt hatte. Buck ließ es zu.
Im Wohnbereich angekommen, ließ Hina das Handtuch fallen und drehte sich um. Buck blinzelte nicht einmal, als die Frau nackt vor ihm stand. Er hatte wohl weit schlimmeres gesehen. Das Fuchsrot schien dunkler, als er die blasse Haut betrachtete. Nicht auf ihre Rundungen, sondern die Schulter und der Rücken. So makellos und weich.
Bucks Schultern spannten sich an, als sie sich anzog und seinem direkten Blick auswich. So kämpferisch sie sich auch gab, so scheu wirkte Hina unter diesem prüfenden Blick. Zu genüge hatte sie Jack dabei beobachtet wie er sie abschätzen musterte. Doch es war nicht diese minderwertigen Gefühle in seinem Gesicht, sie ihn ernst wirken ließen. Er wusste es. Unter dieser reinen und weisen Haut verbargen sich Narben, tausende. Schnell schaute sie irgendwo hin, erkannte jedoch, dass Buck in dem Türrahmen stehen blieb. Die Nasenflügel bewegten sich leicht. Seine Augen verengten sich.
„Dein Duft ist anders. Er riecht...ein wenig rosiger. Nicht so schwer wie sonst.“
Hina spannte sich an. Verdammt. Sie hatte vergessen, wie genau Buck sein konnte.
„Ja, es gleicht dem des Kriegers, und doch irgendwie nicht.“
„Ich habe dir nichts zu sagen.“ Das Flüstern, während sie sich umzog, überlagerte nicht die Stille, die sich zwischen beiden auftat. Buck versteckte seine Fäuste in den Jeanstaschen, doch man konnte an seine angespannte Miene erkennen, wie sehr er mit sich rang. Die stetige Belustigung ist aus seiner Haltung gewichen. Vor ihr stand ein Herrscher, ein Krieger, ein Dämon. Ein wütender Dämon.
Hina hatte sich das rosige Kleid übergezogen und funkelte Buck schließlich an. „Ich schulde dir auch nichts.“
„Nein, aber deiner toten Mutter.“ Der Kopf fuhr hoch, als der Mann keinen Meter mehr vor ihr stand.
„Was weißt du schon?“ Buck lachte trocken auf. Er nahm ihr Kinn in seine Hände und funkelte amüsiert.
„Glaubst du wirklich, ich habe meine Hausaufgaben nicht gemacht?“ Er wusste alles. Von ihr. Von ihrem Leben. Das wurde Hina sofort klar. Das Zucken seiner Mundwinkel hörte auf, als glasklare Augen ihre trafen.
„Ich bin zwar dein Vater, Hina, aber nicht derjenige, der nach dir sehen wird, wenn du einsam bist. Ich bin auch keiner, der dich glücklich machen wird. Ich bin keiner, der sich in den Gefühlen der Menschen wiederfindet, in den Träumen den Romantiker spielt oder dir bei deinen kleinen weiblichen Problemen hilft. Wenn du alt und grau bist, werde ich noch der sein, der nun vor dir steht.“ Machtimpulse umringten sie, als seine Stimme tiefer wurde. Leiser. Gefährlicher.
„Aber ich ein Beschützer, wenn es um mein Eigentum geht. Ich bin ein machtvoller Kämpfer und ein unglaublich schlechter Verlierer. Ein Mann gab es, der es gewagt hat, mit mir zu spielen. Und er hat gewonnen, mit wirklich miesen Tricks.“ Nun schienen seine Augen ihre zu durchbohren, als würde der Drache vor ihr sie gleich verschlingen. Seine Worte brannten sich in ihre Haut, während der Druck in ihrem Schädel wuchs.
„Was ich dir geben kann, Hina, ist Rache. Ich gebe dir dein Leben zurück, deine Würde, deine Freiheit. Ich werde dich nicht ausnutzen, keine Spiele spielen, ich werde mich für dein Leben danach nicht mehr bürden. Ich brauche jemanden wie dich, damit ich diesem Mann, der es gewagt hat, sich mit mir anzulegen, in seine Schranken weisen kann.“
„Wieso?“ Der klägliche Laut ihrer Kehle erschien ihr wie der Laut einer Ameise gegenüber einem Drachen. Hina spürte keine Angst, dennoch war sie auf alles gefasst. Er ließ sie los, doch Abstand hielt er nicht.
„Der Schlüssel zu allem ist das Schwert, das Amron trägt. Ich kann es mit Gewissheit sagen, dass diese Waffe der Grund allen Übels ist. Meine Macht springt auf diesen Gegenstand an, ich kann ihn jedoch weder spüren, noch weiß ich, wo Amron sich aufhält. Ich habe gedacht, ich könnte mit ihm eine Allianz Gründen, aber...“
Hina unterbrach ihn. „Was habe ich mit all dem zu tun? Erst Jack, dann du? Wieso sollte ich dir dabei helfen können?“
Buck nahm ihr die Unterbrechung nicht übel, dennoch lächelte er wieder. Hina fühlte sich wie die unschuldige Maus vor der Katze. „Wieso hat Jack dich auf Amron angesetzt?“ Die Gegenfrage kam scharf zurück. „Sicherlich, weil er wollte, du würdest ihn mit meinen Mächten zurückbringen können. Aus irgendwelchen Gründen kannst du mit Amron Schritt halten. Du bist ihm ebenbürtig.“
„Und du? Wieso du nicht?“ Die unausgesprochene Tatsache verstand Hina einfach nicht.
„Ich..“, Buck lachte wieder auf. „…würde gegen ihn ankommen. Ich bin nach menschlichen Maßstäben mächtig, ja. Aber was wäre, wenn es etwas gibt, dass nichtmenschlich ist. Dass meine Macht verpuffen lässt wie Luft.“
„Ich bin zur Hälfte du….wie soll ich gegen..“ Er hob eine Hand, ließ sie damit verstummen.
„Dein anderes Ich.“ Hina blinzelte. „Was?“
„Einerseits bist du ein Dämon. Andrerseits ist in deinen Genen etwas, das nicht von dieser Welt, von dieser Dimension ist. Er hat in dir eine Mischung aus Mensch, Dämon und Wesen kreiert, das sowohl Segen als auch Fluch ist. Dein Schatten, wie du ihn nennst, ist von mir, dein Äußeres entstammt deiner Mutter. Aber dein magisches Ich ist das, was gegen Amron ankommt.“
Verblüfft schüttelte Hina den Kopf. „Wie kommst du auf den Blödsinn?“
„Ist es denn so unvorstellbar?“ Nein. Tief in seinem Inneren wusste Buck, was Hina war. „Wieso sonst könntest du eine weitere Seele in deinen Körper aufnehmen?“ Selbstzufriedenheit huschte über sein Gesicht, als er sich zu ihr herunterbeugte.
„Ich mag gegen Amron machtlos sein, aber Geheimnisse hat keiner vor mir. Schon gar nicht meine eigene Tochter.“